Es gibt Situationen, in denen man sich nicht einfach raushalten darf. Wenn jemand in einer besonderen Schutzbeziehung zu einem Kind oder einer wehrlosen Person steht, dann hat er nicht nur Verantwortung, sondern auch eine gesetzliche Pflicht. Und wenn diese Pflicht mit Füßen getreten wird – durch Quälen, rohe Misshandlung oder gezielte Vernachlässigung – dann greift § 225 StGB. Der Tatbestand ist kein Allerweltsparagraf. Er schützt die Schwächsten – und verlangt vom Täter mehr als nur: „Ich hab nichts gemacht.“
Schutzbefohlene Person
Im Zentrum des Ganzen steht eine Person, die entweder unter 18 Jahre alt ist oder aufgrund von Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlos ist.
Aber das allein reicht noch nicht. Zusätzlich muss zwischen dieser Person und dem Täter eines von vier gesetzlich geregelten Schutzverhältnissen bestehen – die stehen in § 225 Abs. 1 Nr. 1-4 StGB. Und ganz wichtig: Das ist nicht einfach ein netter Onkel, der gelegentlich babysittet. Nein – das Verhältnis muss rechtlich verpflichtend sein. Ein bloßes Gefälligkeitsverhältnis, wie „Ich hab mal aufgepasst, weil die Nachbarin weg musste“, reicht eben nicht.
Und falls Du Dich fragst, wie das bei Teilnehmern aussieht, die selbst keine Schutzpflicht haben: Für sie regelt § 28 StGB, ob eine Strafbarkeit überhaupt möglich ist. Grundsätzlich gilt: Wenn Du das Schutzverhältnis nicht hast, dann greift § 28 Abs. 2 StGB – also keine Strafbarkeit wegen § 225 StGB. Eine Ausnahme gibt’s nur dann, wenn § 223 StGB nicht einschlägig ist, etwa bei rein seelischem Quälen. Dann kommt doch wieder § 225 StGB ins Spiel – und zwar über § 28 Abs. 1 StGB.
Tathandlungen
§ 225 StGB kennt drei verschiedene Tathandlungen. Alle drei haben es in sich – und sie können entweder durch Tun oder (unechtes) Unterlassen verwirklicht werden. Das bedeutet: Auch wer nur danebensteht, obwohl er hätte eingreifen oder Hilfe holen müssen, kann sich strafbar machen.
Quälen
Das ist die seelisch oder körperlich besonders fiese Variante. Es reicht schon, wenn jemand über längere Zeit oder wiederholt erhebliche Schmerzen oder Leiden verursacht – körperlich oder seelisch. Ja, richtig gelesen: Auch rein seelische Beeinträchtigungen können ausreichen.
Typisch ist, dass die Tat nicht aus einer einzigen Handlung besteht, sondern sich über Tage oder Wochen zieht. Wichtig ist: Anders als bei der rohen Misshandlung braucht’s hier keine besondere Gesinnung – es zählt der objektive Schmerz. Deshalb können in bestimmten Ausnahmefällen auch Handlungen strafbar sein, die gar nicht unter § 223 StGB fallen.
Ein Klassiker: Das Kind wird regelmäßig in den dunklen Keller gesperrt und dort so lange allein gelassen, bis es Todesangst bekommt. Keine körperliche Gewalt – aber ein Fall von Quälen nach § 225 StGB.
Rohe Misshandlung
Hier wird’s körperlich – aber mit einer entscheidenden Zusatzkomponente. Die rohe Misshandlung geht über § 223 StGB hinaus: Der Täter fügt dem Opfer erhebliche körperliche Schmerzen oder Beeinträchtigungen zu – und das aus einer gefühllosen, mitleidlosen Gesinnung heraus. Er hat das Gefühl für das Leid des anderen verloren. Klingt hart? Ist es auch.
Auch wenn das wie eine rein innere Haltung klingt, ist es trotzdem ein tatbezogenes Merkmal – ähnlich wie die Grausamkeit im Mordrecht. Es reicht also nicht, dass der Täter „einfach nur“ zuschlägt – er muss es tun, weil es ihm egal ist, wie sehr das Opfer leidet.
Gesundheitsschädigung durch Vernachlässigung der Sorgepflicht
Die dritte Variante ist ein echter Klassiker aus der Ecke der Unterlassungsdelikte. Hier geht’s nicht um das, was der Täter tut – sondern um das, was er nicht tut: Wer seine Pflicht, für das körperliche Wohl eines Schutzbefohlenen zu sorgen, böswillig verletzt, und dadurch eine Gesundheitsschädigung verursacht, hat sich strafbar gemacht.
Beispiel: Ein Vater weiß, dass sein Kleinkind hohes Fieber hat, weigert sich aber aus Hass auf seine Ex-Partnerin, mit dem Kind zum Arzt zu gehen – obwohl er weiß, dass es gefährlich ist. Genau das ist gemeint. Und damit sind wir auch schon beim nächsten Punkt:
Subjektiver Tatbestand
Natürlich braucht’s Vorsatz – bei allen drei Varianten. Also Wissen und Wollen der Tathandlung und der Schutzbefohlenenstellung. Aber es kommt noch etwas dazu:
Bei der dritten Variante – der Vernachlässigung der Sorgepflicht – verlangt das Gesetz zusätzlich Böswilligkeit. Und das ist mehr als bloße Nachlässigkeit. Der Täter muss seine Pflicht aus einem besonders verwerflichen Motiv verletzen – zum Beispiel aus Hass, Sadismus, Geiz oder Bosheit. Wer einfach überfordert oder gleichgültig ist, handelt noch nicht böswillig. Wichtig ist auch hier: Die Böswilligkeit ist ein besonderes subjektives Tatbestandsmerkmal. Und sie gehört – wie das Schutzverhältnis – zu den persönlichen Merkmalen im Sinne von § 28 StGB. Das heißt: Für Teilnehmer, die selbst keine Sorgepflicht haben, ist das ein strafbarkeitsbegründendes Merkmal. Die Strafbarkeit steht und fällt also mit der Böswilligkeit des Täters selbst, nicht eines anderen.
Qualifikationen
Und jetzt wird’s richtig ernst. Abs. 3 enthält die Qualifikationen – und die machen § 225 StGB zum Verbrechen. Hier geht es nicht mehr nur um Schmerzen, sondern um ganz konkrete Folgen: Wenn das Opfer in Lebensgefahr gerät, oder wenn es ernsthaft geschädigt wird (z. B. Lähmung, Siechtum, Entstellung). Diese Varianten sind konkrete Gefährdungsdelikte – das heißt: Der Täter muss nicht nur vorsätzlich handeln, sondern sich auch über die Gefahr im Klaren sein. Reine Fahrlässigkeit reicht nicht.
Versuch
Ja, § 225 StGB ist versuchs- und damit auch vorbereitungsfähig – siehe Abs. 2. Wer also zum Beispiel bereits ansetzt, ein Kind zu quälen, kann schon strafbar sein, selbst wenn das Kind noch nicht wirklich leidet. Entscheidend ist der unmittelbare Beginn der Tathandlung. Und je nach Variante gelten die allgemeinen Regeln des Versuchs.
