§ 164 StGB ist nicht einfach irgendeine Strafnorm – sie ist ein doppelter Schutzschild. Einerseits bewahrt sie unsere Strafverfolgungsbehörden davor, sinnlos in Bewegung gesetzt zu werden. Andererseits schützt sie Dich, mich und alle anderen davor, unschuldig ins Fadenkreuz staatlicher Ermittlungen zu geraten. Die beiden Schutzrichtungen stehen nicht in Konkurrenz, sondern gelten nebeneinander – so sagt es die Alternativitätstheorie, und das ist auch gut so.
Was bedeutet das konkret? Selbst wenn jemand freiwillig in eine falsche Beschuldigung einwilligt, ist das noch lange kein Freibrief. Denn auch dann bleibt die Rechtspflege beschädigt (Rechtspflegetheorie). Und wenn ein Deutscher im Ausland falsch beschuldigt wird – oder selbst im Ausland jemanden falsch bezichtigt – reicht das regelmäßig, damit das deutsche Strafrecht greift (§ 7 StGB lässt grüßen).
Andere Theorien stellen sich da quer: Die einen wollen nur die Rechtspflege schützen, die anderen nur das Individuum (Individualgutstheorie). Wer dieser Linie folgt, müsste bei einer Einwilligung in die Falschbeschuldigung plötzlich von Straflosigkeit sprechen. Auch Falschverdächtigungen im Ausland blieben auf dieser Linie ohne Folgen – ziemlich gefährlich.
Und dann gibt’s noch eine vierte Meinung, die es ganz genau nimmt: Beide Schutzrichtungen sollen gleichzeitig verletzt sein. Klingt zunächst ausgewogen – aber § 164 StGB will vor allem eines: die Strafverfolgung sauber halten. Und da wiegt der Schutz der Rechtspflege eben mehr.
Um eine falsche Verdächtigung im strafrechtlichen Sinne handelt es sich nicht schon dann, wenn jemand Unsinn redet. Es braucht ein ganz bestimmtes Setting: Eine andere Person wird bei einer Behörde, einem zuständigen Amtsträger oder öffentlich einer rechtswidrigen Tat oder Dienstpflichtverletzung verdächtigt – und zwar zu Unrecht.
Ein anderer wird…
Die Verdächtigung muss sich auf eine bestimmte, lebende, natürliche Person beziehen. Klar: Wer sich selbst anzeigt, fällt hier raus. Ebenso sind Anzeigen gegen „Unbekannt“, gegen Tote oder frei erfundene Personen nicht von § 164 Abs. 1 StGB erfasst. Solche Konstellationen spielen aber später bei Abs. 2 eine Rolle.
Bei einer Behörde…
Es reicht, wenn der falsche Verdacht gegenüber einer Behörde, einem zur Anzeigenannahme befugten Amtsträger (wie nach § 158 StPO) oder öffentlich geäußert wird. Eine Plauderei unter Freunden reicht nicht – aber ein Post in sozialen Medien? Durchaus denkbar, wenn der öffentliche Charakter gegeben ist.
Einer rechtswidrigen Tat…
Die falsche Verdächtigung muss sich auf eine rechtswidrige Tat im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB beziehen – also auf eine Straftat. Es reicht nicht, wenn jemand „nur“ beim Falschparken erwischt wurde. Entscheidend ist, ob das, was behauptet wird, überhaupt strafrechtliche Folgen haben könnte. Und das ist dann der Fall, wenn die Staatsanwaltschaft nach § 152 Abs. 2 StPO grundsätzlich ermitteln müsste.
Typischer Fall: Wenn jemand bewusst entlastende Infos verschweigt und dadurch einen falschen Verdacht aufkommen lässt – auch das ist ein aktives Tun im Sinne des § 164 StGB.
Durch unwahre Angaben…
Es reicht nicht, wenn jemand übertreibt oder die Situation dramatischer darstellt, als sie war – solange die Kernaussage stimmt. Aber sobald die Vorwürfe in wesentlichen Punkten falsch sind, wird’s kritisch. Ob absichtlich erfundene Details, künstlich aufgebauschte Sachverhalte oder glatt gelogene Beweise – § 164 StGB ist dann schnell erfüllt.
Verdächtigt
Das Verdächtigen kann auch still und leise erfolgen. Es genügt, einen Anfangsverdacht zu wecken oder zu verstärken.
Vollendet ist die Tat schon, wenn die falsche Verdächtigung bei der Behörde ankommt oder in einer Vernehmung geäußert wird. Ob die Polizei tatsächlich darauf hereinfällt, ist rechtlich egal.
Verdächtigen durch Unterlassen
Du musst nicht explizit sagen: „Der war’s.“ Es reicht, wenn Du eine belastende Beweissituation konstruierst. Beispiele? Klar: Du deponierst fremde Ausweisdokumente am Tatort, meldest eine fremde Identität oder verteilst anonyme Schreiben mit falschen Namen. Auch das ist eine Verdächtigung im Sinne des Gesetzes – und eine ziemlich hinterhältige noch dazu.
Verdächtigung eines Schuldigen
Hier wird’s knifflig: Was, wenn jemand tatsächlich eine Tat begangen hat, aber falsch beschrieben wird? Nach einer Ansicht ist § 164 StGB dann nicht erfüllt – schließlich trifft der Vorwurf ja (irgendwie) ins Schwarze. Die herrschende Meinung ist da strenger: Auch ein Schuldiger darf nicht mit falschen Tatsachen belastet werden. Der Rechtsstaat lebt davon, dass Verfahren nur auf echten Fakten beruhen – selbst gegenüber jemandem, der tatsächlich Dreck am Stecken hat.
Verdächtigen durch Schweigen
Manchmal ist Reden Silber – und Schweigen strafbar. Jedenfalls dann, wenn man eine Garantenstellung hat. Zwei Konstellationen sind hier besonders relevant: Jemand sieht, wie ein anderer falsch beschuldigt wird, weiß, dass es nicht stimmt – und sagt trotzdem nichts, obwohl er die Pflicht hätte, einzuschreiten. Jemand verschweigt entlastende Umstände gezielt, weil er will, dass das Verfahren weiterläuft – auch das kann strafbar sein, wenn eine Garantenpflicht besteht und das Unterlassen bewusst erfolgt.
Falsche Fremdverdächtigung und Selbstbegünstigung
Stell Dir vor, Du sitzt mit jemandem im Auto. Beide habt Ihr ordentlich einen sitzen. Wer am Ende wirklich gefahren ist, weiß nur Ihr zwei. In so einer Situation stellt sich eine spannende Frage: Darf man sich rausreden? Darf man lügen? Und vor allem – wird’s dann gleich strafbar?
Genau darum geht’s bei der falschen Verdächtigung (§ 164 Abs. 1 StGB) – und um die Abgrenzung zur Selbstverteidigung, die das Strafprozessrecht uns netterweise zugesteht. Das Spannungsfeld ist klar: Auf der einen Seite soll niemand jemand anderen ans Messer liefern, auf der anderen Seite muss man sich selbst nicht belasten. Und irgendwo dazwischen liegt das taktische Schweigen oder ein schlichtes: „Ich war’s nicht!“
Als Beschuldigter hast Du ein Schweigerecht. Das steht in § 136 StPO und gilt ohne Einschränkung. Wenn Du von diesem Recht Gebrauch machst, dann ist das völlig legal – auch wenn die Ermittler dadurch auf eine andere Person als Täter kommen. Du darfst also schweigen, selbst wenn Dein Schweigen den Verdacht auf jemand anderen lenkt. Das allein erfüllt noch lange nicht § 164 StGB.
Jetzt wird’s interessant: Wenn Du nicht nur schweigst, sondern aktiv sagst: „Ich war’s nicht“ – ist das schon eine falsche Verdächtigung? Nein. Jedenfalls nicht automatisch. Ein schlichtes Leugnen („Ich bin nicht gefahren“) ist laut herrschender Meinung genauso zu behandeln wie Schweigen. Es ist Deine Verteidigung – und kein Angriff auf andere.
Beispiel gefällig? A und B sind Brüder. Nach einem feuchtfröhlichen Abend fahren sie im Auto nach Hause – A fährt, B sitzt daneben. Die Polizei stoppt sie. A steigt aus und sagt: „Ich bin nicht gefahren.“ Mehr nicht. Die Polizei schaut dann natürlich automatisch auf B. Trotzdem: Keine Strafbarkeit nach § 164 Abs. 1 StGB. Warum? Weil A nur seine eigene Schuld leugnet, ohne jemand anderen aktiv zu belasten.
Jetzt drehen wir die Schraube weiter: Was ist, wenn A sagt: „Mein Bruder ist gefahren!“? Auch das bleibt nach herrschender Meinung straffrei – solange A nur das sagt, was sich ohnehin logisch ergibt. In der Zwei-Personen-Konstellation war es entweder A oder B. Wenn A behauptet, er war’s nicht, dann bleibt automatisch nur noch B übrig. Sagt A dann zusätzlich: „B war’s“, dann drückt er nur aus, was sich logisch ohnehin ergibt. Auch das ist noch gedeckt vom Selbstschutz.
Die Grenze zur strafbaren falschen Verdächtigung ist erst dann überschritten, wenn A zusätzlich lügt – also wenn er dem Bruder etwas unterstellt, das gar nicht stimmt. Beispielsweise: A behauptet, B habe das Auto nach einem Streit unter Gewaltandrohung an sich gerissen. Oder A tauscht mit B den Platz, bevor die Polizei ankommt, und tut so, als wäre B gefahren. Das ist keine schlichte Leugnung mehr – das ist aktive Manipulation, also eine falsche Tatsachenbehauptung zulasten eines anderen. Und damit fällt es voll unter § 164 Abs. 1 StGB.
Was nicht mehr unter das Selbstbegünstigungsprivileg fällt: Wenn Du, um Deinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, eine unbeteiligte Person erstmals ins Spiel bringst und sie wahrheitswidrig beschuldigst. Also: Du bist alleine im Auto erwischt worden – und behauptest, jemand anderes sei gefahren. Diese völlig neue, erfundene Fremdverdächtigung erfüllt ganz klar § 164 StGB.
Vorsatz
Wer falsche Tatsachen verbreitet, muss sich darüber im Klaren sein, dass diese Tatsachen falsch sind. Und er muss wollen, dass die Behörde oder der Amtsträger dadurch tatsächlich gegen die andere Person ermittelt oder zumindest ein Anfangsverdacht entsteht. Das heißt: Wer nur aus Spaß einen Unsinn erzählt, ohne dass eine Behörde das ernstnimmt, hat noch keinen Vorsatz im Sinne des § 164 StGB.
Das heißt aber auch: Wer gar nicht daran denkt, ob das stimmt oder nicht, sondern einfach drauflos plappert, kann vorsätzlich handeln, wenn er billigend in Kauf nimmt, dass jemand verdächtigt wird.
Absicht
Nicht jeder, der eine falsche Verdächtigung ausspricht, verfolgt das Ziel, die andere Person zu schädigen. Die reine Absicht, jemandem zu schaden, ist nicht nötig. Es reicht, wenn die falschen Tatsachen bewusst (wider besseres Wissen) behauptet werden und der Täter will, dass dadurch Ermittlungen gegen die Person angestrengt werden.
Einwilligung
Manche meinen, wenn das Opfer selbst zustimmt, darf man das. Falsch gedacht! Die Rechtsprechung macht hier einen klaren Strich: Selbst wenn das „Opfer“ einverstanden ist, wird die falsche Verdächtigung nicht straffrei. Denn die Rechtspflege wird hier verletzt – und die ist wichtiger als die Einwilligung des Einzelnen.
Sonstige unwahre Behauptung
Zu den von Abs. 2 erfassten Verfahren gehören Verfahren mit hoheitlicher Zwangswirkung wie Bußgeldverfahren.
