Du hast sicher schon mal von § 20 StGB gehört: Wer sich in einem Zustand befindet, in dem er nicht mehr schuldfähig ist, kann nicht bestraft werden. Gilt auch für schwere Straftaten. Klingt erstmal logisch – aber was ist, wenn jemand sich vorsätzlich so abschießt, dass genau dieser Zustand erreicht wird, und er in genau diesem Zustand dann ausrastet? Irgendwo muss das Recht dazwischengehen – und genau hier kommt § 323a StGB ins Spiel.

Dieser Paragraf ist so etwas wie der Notnagel des Strafrechts. Er greift dann, wenn jemand sich bewusst oder fahrlässig in einen Zustand der (möglichen) Schuldunfähigkeit versetzt und dann im Rausch eine Straftat begeht – die man ihm eigentlich gar nicht mehr anlasten könnte. Nur dass man ihm hier nicht die Rauschtat selbst zur Last legt, sondern das Sichberauschen, das dazu geführt hat. Der Rausch wird also nicht einfach hingenommen – aber auch nicht automatisch bestraft. Erst wenn im Rausch etwas passiert, was strafrechtlich relevant ist, wird der Berauschte zur Verantwortung gezogen.

Viele Juristen ringen mit dem Tatbestand. Denn ganz ehrlich: Allein sich zu betrinken ist gesellschaftlich weit verbreitet. Sollen wir das wirklich kriminalisieren, bloß weil daraus etwas passieren könnte? Und genau da liegt der Knackpunkt: Das Gesetz will gerade nicht den Rausch an sich bestrafen, sondern nur den Fall, in dem der Rausch zu einer rechtswidrigen Tat führt. Das ist die „objektive Bedingung der Strafbarkeit“ – ohne sie gibt’s keine Strafe.

Die herrschende Meinung sieht in § 323a StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Warum? Weil niemand mit Sicherheit sagen kann, wie jemand im Rausch reagiert. Und weil ausuferndes Verhalten im Vollrausch eben nicht so selten ist, dass man die Allgemeinheit davor nicht schützen müsste. Trotzdem bleibt der Gesetzgeber zurückhaltend: Erst wenn der Rausch tatsächlich zu einer rechtswidrigen Tat führt, wird es brenzlig.

Einige Kritiker meinen: Moment mal, das Schuldprinzip verlangt doch, dass wir jemanden nur bestrafen, wenn er schuldhaft gehandelt hat. Und ein Rausch sei doch nicht per se schuldhaft. Schließlich ist das Trinken – ob nun auf der Wiesn oder zu Hause – gesellschaftlich toleriert. Andere halten dagegen: Wenn Du weißt, dass Du im Rausch nicht mehr Du selbst bist, dann hast Du eben auch eine Verantwortung dafür, Dich nicht so zu berauschen. Vor allem, wenn Du schon mal im Rausch aus der Reihe getanzt bist.

Es gibt Versuche, einen Mittelweg zu finden: Manche fordern, dass der Täter im Vorfeld hätte vorhersehen müssen, dass er im Rausch zu Straftaten neigt. Andere sagen, es reicht, wenn er die Möglichkeit irgendeiner Straftat hätte einkalkulieren können. Und wieder andere stellen nur darauf ab, ob er die generelle Gefahr kannte, in diesem Zustand etwas Strafbares zu tun. Alles hat seine Haken – je enger man die Anforderungen fasst, desto schwieriger wird es, überhaupt jemanden nach § 323a StGB zu verurteilen. Und desto näher kommt man der actio libera in causa – einem ganz eigenen Rechtsinstitut, das nochmal eine andere Baustelle aufmacht.

Im Ergebnis bleibt die h. M. (also das, was die meisten sagen) beim abstrakten Gefährdungsgedanken. Der Gesetzgeber sagt: Wer sich freiwillig in einen Zustand versetzt, in dem er nichts mehr peilt, der muss auch dafür einstehen, wenn es dann knallt. Dass dabei die eigentliche Rauschtat nicht bestraft wird, sondern nur das Sichberauschen unter bestimmten Bedingungen – das ist Ausdruck dieser zurückhaltenden, aber trotzdem verantwortungsbewussten Linie.

Rausch

Du brauchst erst mal einen Rausch. Nicht nur einen leichten Schwips, sondern einen Zustand, der entweder die Schuldfähigkeit komplett ausschaltet (§ 20 StGB) oder sie zumindest erheblich einschränkt (§ 21 StGB). Klassischerweise passiert das mit Alkohol, aber auch Drogen, Medikamente oder eine wilde Mischung können da mitspielen.

Ab wann ist jemand „im Rausch“? Die Rechtsprechung sieht das – zumindest beim Alkohol – oft ab 3,0 Promille kritisch. Aber das ist keine harte Grenze. Es kommt auf das Gesamtbild an: War die Person noch zielgerichtet unterwegs? Hat sie planvoll gehandelt oder war sie komplett von der Rolle? Alkoholgewöhnung spielt hier genauso rein wie körperliche oder psychische Ausnahmesituationen.

Sichversetzen in den Rausch

Der Täter muss sich selbst in diesen Zustand versetzt haben – entweder vorsätzlich oder fahrlässig. Und das berauschende Mittel muss die Ursache für diesen Zustand sein. Klar, andere Faktoren können mitspielen (z. B. Medikamente, Krankheiten oder Emotionen). Aber wenn das berauschende Mittel dabei keine zentrale Rolle spielt, fehlt’s am Rausch im Sinne des § 323a StGB.

Entscheidend ist: Die Rauschtat muss Ausdruck des Rauschmittels sein. Wenn jemand im Suff ausrastet, ja – dann ist das die typische Rauschwirkung. Wenn jemand dagegen nüchtern Medikamente schluckt und dann durchdreht, ist das eine andere Baustelle.

Objektive Bedingung der Strafbarkeit

Jetzt wird’s spannend: Im Zustand des Rausches muss eine „rechtswidrige Tat“ passiert sein. Diese Rauschtat muss alle Merkmale eines Delikts erfüllen – also Handlung, Tatbestand, Rechtswidrigkeit. Und sie kann sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig begangen worden sein.

Beispiele, wo keine rechtswidrige Tat vorliegt: Jemand kotzt im Rausch auf jemanden – unangenehm, aber keine strafbare Handlung. Jemand torkelt gegen ein Auto und verursacht einen Kratzer – unbeabsichtigt, also evtl. keine relevante Handlung. Jemand verwechselt eine fremde Wohnung mit seiner eigenen und schläft auf der Couch – kein Vorsatz zur Hausfriedensbruch.

Nicht auszuschließende Schuldunfähigkeit

Was ist, wenn sich im Nachhinein gar nicht mehr mit Sicherheit sagen lässt, ob jemand beim Begehen der Tat wirklich schuldunfähig war? Genau da kommt die nicht auszuschließende Schuldunfähigkeit ins Spiel. Klingt erstmal kompliziert, ist aber im Kern ganz einfach: Wenn jemand so betrunken oder berauscht war, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass er im Zustand des § 20 StGB gehandelt hat – also schuldunfähig war –, dann reicht das für den Vollrausch nach § 323a StGB aus. Strafbar ist also auch, wer im Rausch eine rechtswidrige Tat begeht, bei dem sich aber nicht mehr eindeutig klären lässt, ob er dafür noch schuldfähig war oder nicht.

Die Gerichte sagen dazu: Wenn ein Restzweifel an der Schuldfähigkeit bleibt – also nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass der Täter schuldunfähig war –, dann gilt in dubio pro reo. Das heißt, die eigentliche Rauschtat (zum Beispiel eine Körperverletzung oder Sachbeschädigung) bleibt straflos. Und genau in diese Lücke springt § 323a StGB: Er greift, wenn die Tat selbst wegen möglicher Schuldunfähigkeit nicht bestraft werden kann, das Sichberauschen aber trotzdem strafwürdig erscheint. Mit anderen Worten: Das Strafrecht will hier nicht akzeptieren, dass jemand sich einfach rausredet mit „Ich weiß von nichts mehr“ – zumindest dann nicht, wenn er sich sehenden Auges in diesen Zustand gebracht hat.