Anders als beim erpresserischen Menschenraub geht es dem Täter bei § 239b StGB nicht um Geld, sondern um etwas Vermögensunabhängiges.

Objektiver Tatbestand

Damit wir überhaupt im Bereich von § 239b StGB unterwegs sind, muss zunächst jemand Opfer einer Geiselnahme geworden sein. Das passiert entweder durch ein klassisches Entführen – also das Verbringen an einen anderen Ort gegen den Willen des Opfers – oder durch ein schlichtes Sich-Bemächtigen. Letzteres meint, dass der Täter irgendwie die Verfügungsgewalt über das Opfer übernimmt, ohne es räumlich zu bewegen. Beide Varianten müssen sich auf einen anderen Menschen beziehen – klar, sich selbst kann man schwer geiseln.

Wichtig ist: Bei der Variante des § 239b Abs. 1 Alt. 2 StGB genügt es, wenn durch die Geiselnahme eine Lage geschaffen oder ausgenutzt wird, die dann zur Begehung einer (mindestens versuchten) Nötigung dient. Das Mittel der Nötigung muss dabei eine Drohung mit einem qualifizierten Übel sein, also nicht einfach nur „Ich tue Dir weh“, sondern schon „Ich bringe Dich um“ oder etwas ähnlich Heftiges.

Die Vorschrift übernimmt inhaltlich vieles aus § 239a Abs. 1 Alt. 2 StGB. Auch hier reicht es nach herrschender Meinung, wenn die angedrohte Nötigung versucht ist – also das Ziel (etwa: „Du sagst nix bei der Polizei“) ernsthaft angestrebt wird, selbst wenn es nicht gelingt. Die Gegenmeinung geht sogar davon aus, dass schon eine vollendete Nötigung nötig ist, was die Sache deutlich enger fasst.

Subjektiver Tatbestand

Geisel nehmen ist nicht gleich Geisel halten – strafrechtlich zählt vor allem das Warum. Der subjektive Tatbestand verlangt nämlich eine ganz bestimmte Absicht: Der Täter muss die Geisel benutzen wollen, um etwas zu erzwingen – zum Beispiel Geld, Fluchtmöglichkeiten oder ein Verhalten des Staates. Genau diese Zweck-Mittel-Verknüpfung ist der Knackpunkt bei § 239b StGB – und den schauen wir uns hier genauer an.

Qualifizierte Nötigungsabsicht

Der Unterschied zur Schwester-Vorschrift § 239a Abs. 1 Alt. 1 StGB liegt im Detail: § 239b Abs. 1 Alt. 1 StGB verlangt nämlich nicht irgendeine Erpressungsabsicht, sondern das bewusste Einsetzen eines ganz bestimmten Drohungsmittels – und das muss heftig sein. Die Norm spricht ausdrücklich von Drohungen „mit dem Tod oder mit schweren Misshandlungen“, also nichts, was man beiläufig sagt.

Auch hier gilt: Es reicht eine als ernsthaft gemeinte, vorgespiegelte Drohung – solange sie beim Opfer ankommt und realistisch wirkt.

Ein paar typische Szenarien, die der Täter mit dieser Drohung erreichen will, können sein: Die Freilassung von Gefangenen, die Verlesung politischer Botschaften, der Rücktritt von Ministern, die Rückkehr der Ehefrau. Oder auch einfach, dass die Polizei nicht informiert wird. Das Spektrum ist weit – Hauptsache, das Ziel wird mittels qualifizierter Drohung durchgezogen.

Was genau das Opfer machen, lassen oder dulden soll, ist egal – Hauptsache, der Täter will dadurch irgendeinen Erfolg erreichen. Das Gesetz lässt sich da bewusst offen. Die Palette reicht von konkreten Handlungen wie „Geld übergeben“ bis hin zu bloßem Stillhalten wie „nicht zur Polizei gehen“.

Zwei- oder Drei-Personen-Verhältnis

Seit einer Reform im Jahr 1989 wird § 239b StGB auch auf Zwei-Personen-Verhältnisse angewendet. Es reicht also, wenn der Täter sich die Kontrolle über eine einzige Person verschafft – auch ohne „klassisches“ Geiseldrama mit drittem Beteiligten. Entscheidend ist, dass der Täter durch die Kontrolle über das Opfer eine Nötigung durchziehen will.

Das Problem des zeitlichen Zusammenhangs spielt in Zweierkonstellationen eine große Rolle: Wenn der Nötigungserfolg erst nach Beendigung der Zwangslage eintreten soll, ist der Tatbestand in der Regel nicht erfüllt. Beispiele: Der Täter entführt einen Zeugen, bedroht ihn mit dem Tod – aber nur, damit er in Zukunft schweigt oder eine Aussage widerruft. Das genügt für § 239b Abs. 1 Alt. 1 StGB nicht. Oder das Opfer soll später keine Beziehung zur Schwester des Täters mehr führen – auch das ist zeitlich zu weit weg von der Geisellage. Ebenso, wenn das Opfer nicht zur Polizei gehen oder doch bitte nicht umziehen soll. Aber: Wenn der Täter während der Zwangslage schon einen Teil-Erfolg anvisiert – etwa das Opfer schweigt erstmal jetzt – dann kann das ausreichen. Wichtig ist dabei, dass dieser Zwischenschritt aus Tätersicht eigenständige Bedeutung hat und nicht nur Mittel zum Zweck ist.

Auch das typische Sexualdelikt mit Einsatz von Gewalt und Drohung erfüllt in aller Regel nicht § 239b StGB, wenn es nur darum geht, das Opfer zu missbrauchen. Hier fehlt meist die „eigene Qualität“ der Bemächtigung. Anders sieht’s aus, wenn das Opfer etwa entführt und gezielt eingeschüchtert wird, um sexuelle Informationen preiszugeben oder bestimmte Erklärungen abzugeben – dann sind wir wieder mitten in § 239b StGB drin.

Auch in Raubfällen kann § 239b StGB greifen – etwa wenn der Täter nicht nur Gewalt anwendet, sondern gezielt „mit dem Tod oder …“ droht, damit das Opfer die Wegnahme duldet. Dann kann § 239b StGB neben dem Raub in Betracht kommen.