Wenn’s kracht, schützt § 142 StGB nicht die Polizei oder den Staat, sondern ganz allein die privaten Interessen der Beteiligten – also die derjenigen, die entweder einen Schaden erlitten haben oder Angst haben, für etwas haften zu müssen. Der Sinn dahinter: Wer möchte, soll die Chance haben, zivilrechtliche Ansprüche geltend zu machen oder abzuwehren. Strafverfolgung? Fehlanzeige. Dass der Paragraf trotzdem unter den „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung“ gelistet ist, ist also etwas irreführend. Tatsächlich geht es hier nicht um den Schutz eines Gemeinschaftsgutes, sondern rein um ein Individualinteresse – das Interesse daran, dass mögliche Ersatzansprüche nicht im Sand verlaufen. Und wenn genau dieses Interesse im konkreten Fall gar nicht (mehr) besteht – etwa weil der Schaden sofort reguliert wurde, jemand freiwillig auf Ansprüche verzichtet hat oder der Verursacher ein klares Schuldanerkenntnis abgegeben hat – dann fehlt dem Ganzen auch die Grundlage. Sprich: Der Tatbestand entfällt.
Abs. 1 ist das Herzstück: Er legt fest, was Unfallbeteiligte zu tun haben – und zwar sofort. Wer in einen Unfall verwickelt ist, muss entweder direkt mit feststellungsbereiten Personen (z. B. dem Geschädigten oder der Polizei) kooperieren oder, wenn niemand da ist, eine angemessene Zeit am Unfallort warten – für den Fall, dass noch jemand eintrifft. Falls dann wirklich jemand auftaucht, heißt’s: Bleiben, sich vorstellen, alle Angaben machen, die nötig sind, um die zivilrechtliche Haftung zu klären.
Abs. 2 kommt erst dann ins Spiel, wenn Abs. 1 nicht greift. Wer also nach dem Entfernen der Nachholpflicht nicht nachkommt, indem er sich nicht später bei der Polizei meldet. Aber klar ist: Abs. 2 ist nur dann anwendbar, wenn Abs. 1 nicht schon die Strafbarkeit abdeckt.
Unfall im Straßenverkehr
Ein „Unfall im Straßenverkehr“ ist laut Rechtsprechung mehr als nur Blechschaden. Gemeint ist ein plötzliches Ereignis, das durch typische Gefahren des Straßenverkehrs verursacht wird – mit Folgen für Menschen oder Sachen, die nicht völlig belanglos sind.
Aber Achtung: Vier Punkte sollte man sich hier besonders anschauen:
Öffentlich
Nicht nur die Autobahn zählt – auch der Supermarktparkplatz kann „öffentlicher Verkehrsraum“ sein, wenn er für den allgemeinen Verkehr freigegeben ist. Entscheidend ist, ob die Fläche allgemein oder mit Zustimmung nutzbar ist. Auch wenn sich ein Teil des Geschehens auf einem privaten Grundstück abspielt, kann es ein Unfall im Straßenverkehr sein – etwa beim Wenden auf einem Firmengelände.
Straßenverkehr
Man denkt sofort an Autos, aber der Begriff ist weiter. Auch Fußgänger, Radfahrer oder sogar Einkaufswagen-Nutzer können im „Straßenverkehr“ unterwegs sein. Einige vertreten die Auffassung, dass es immer zumindest ein Fahrzeug geben muss, aber andere sagen: Auch ein Zusammenstoß zwischen zwei Fußgängern auf einer öffentlichen Straße zählt. Wer also mit Inline-Skates jemanden anfährt, ist voll im Spiel.
Und ja: Sogar der Klassiker – Einkaufswagen trifft geparkten Pkw – kann unter den Tatbestand fallen. Warum? Weil sich darin eine typische Gefahr des ruhenden Verkehrs verwirklicht. Gleiches gilt fürs Be- und Entladen von Fahrzeugen.
Schadensverursachung
Ein Unfall bleibt ein Unfall, auch wenn er absichtlich herbeigeführt wurde – zumindest dann, wenn er für andere Beteiligte überraschend kam und in einem Zusammenhang mit typischen Verkehrssituationen steht.
Wer etwa jemanden mit dem Auto rammen will, nur um ihn zu verletzen, handelt nicht mehr im „straßenverkehrsspezifischen Rahmen“. Dann geht’s eher um ein ganz anderes Delikt.
Grenzfälle gibt’s natürlich: Wenn ein Polizeibeamter einen flüchtenden Verdächtigen mit dem Streifenwagen stoppt, liegt ein Unfall im Straßenverkehr vor – trotz Vorsatz. Hier kommt’s auf den Gesamtkontext an.
Erheblichkeit
Kleine Kratzer und Hautabschürfungen fallen raus. Als „nicht ganz unerheblich“ gelten Schäden erst ab 25 Euro – nach herrschender Meinung. Das bedeutet: Der Lackkratzer durch einen Einkaufswagen ist meist noch drin, ein kaum sichtbarer Pinselstrich eher nicht.
Unfallbeteiligter
Nur wer auch „Unfallbeteiligter“ im Sinne des Gesetzes ist, kann Täter des § 142 StGB sein. Und das ist jeder, dessen Verhalten irgendwie zum Unfall beigetragen haben könnte – und sei es auch nur theoretisch. Es reicht, dass es nach außen so aussieht, als ob jemand irgendwie mitverantwortlich war. Dabei muss es nicht um Schuld oder Verkehrsverstöße gehen – der bloße äußere Anschein genügt.
Und das ist weiter gefasst, als man denkt: Fußgänger, Radfahrer, Leute mit Einkaufswagen – alle können beteiligt sein. Auch Beifahrer, wenn sie aktiv ins Geschehen eingreifen, etwa indem sie ins Lenkrad greifen. Selbst der Halter eines Wagens, der ihn einem ungeeigneten Fahrer überlässt, ist dabei, wenn gerade das zum Unfall geführt hat.
Wichtig ist: Der Beteiligte muss zur Unfallzeit vor Ort gewesen sein. Wer erst später dazukommt, kann sich schwerlich „vom Unfallort entfernen“.
Unerlaubtes Entfernen
Auch wenn der Gesetzestext suggeriert, es handle sich um ein „Tun“ („sich entfernen“), liegt hier im Kern ein Unterlassen vor. Warum? Weil das Gesetz erwartet, dass man bleibt – also eine Wartepflicht erfüllt. Und wie bei allen Unterlassungsdelikten spielt die Frage eine Rolle: War es zumutbar?
Bei § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist die Zumutbarkeit sogar ausdrücklich im Gesetz berücksichtigt: Wer zum Beispiel aus Angst vor Übergriffen flüchtet oder verletzt ist, hat mitunter gute Gründe.
Wer sich nur versteckt, entfernt sich (noch) nicht. Das Sich-Entfernen setzt ein willensgetragenes Verhalten voraus.
Anwesende feststellungsbereite Personen
Sind feststellungsbereite Personen vor Ort – etwa der Geschädigte oder die Polizei –, muss der Unfallbeteiligte dableiben und dafür sorgen, dass die wichtigsten Infos zur Person, zum Fahrzeug und zum Hergang auf den Tisch kommen. Das können direkt die Geschädigten übernehmen oder auch Dritte, wie die Polizei – sofern klar ist, dass sie im Sinne des Geschädigten handeln.
Nicht jeder, der etwas fragt, ist gleich feststellungsbereit. Wer etwa nur die Polizei rufen will, gilt noch nicht als bereit, Feststellungen zu treffen. Dann greift die Wartepflicht des § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB – bis jemand auftaucht, der es ist.
Zwei Pflichten muss der Unfallbeteiligte erfüllen: passiv bleiben (also das Feststellen ermöglichen) und sich aktiv vorstellen (also sagen, dass man beteiligt ist). Beides ist nötig. Und auch wenn es nicht verlangt ist, sofort den Personalausweis rauszuholen – wer sich komplett verweigert, muss halt warten, bis die Polizei kommt.
Unter dem Unfallort ist übrigens der unmittelbare Unfallbereich zu verstehen, indem der Unfallbeteiligte seine Pflichten erfüllen kann oder in dem feststellungsbereite Personen einen Wartepflichtigen vermuten würden.
Nicht anwesende feststellungsbereite Personen
Jetzt kommt die Variante, in der niemand am Unfallort steht und sofort sagt: „Moment, ich will wissen, wer Du bist und was hier passiert ist.“ Wenn also keine feststellungsbereiten Personen vor Ort sind – also weder der Geschädigte noch jemand, der in seinem Sinne handeln könnte – dann kommt § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB ins Spiel. Und der verlangt: Warten. Aber nicht irgendwie, sondern in einer „den Umständen angemessenen Zeit„.
Was das konkret heißt? Das hängt natürlich vom Einzelfall ab. Ein Totalschaden mitten im Berufsverkehr auf der Hauptstraße? Da ist wahrscheinlich eine längere Wartezeit zumutbar als bei einem kleinen Parkrempler auf dem Supermarktparkplatz. Jedenfalls: Wer zu früh geht, macht sich strafbar – selbst wenn niemand da war. Warum? Weil immer noch jemand hätte kommen können. Und genau für diesen Fall soll man erreichbar bleiben.
Wenn dann doch noch jemand auftaucht – also eine feststellungsbereite Person – springt § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB wieder an. Dann ist es an Dir, Dich vorzustellen und Deine Beteiligung offen zu legen. Und zwar so lange, bis alle relevanten Infos festgehalten werden konnten. Wenn das passiert ist: Erst dann darfst Du rechtlich sauber den Ort verlassen.
Sich-Entfernt-Haben vom Unfallort
Manchmal ist der Moment verpasst. Die feststellungsbereite Person kam doch noch, aber Du warst schon weg. Oder Du hast gewartet, niemand kam – und dann bist Du gefahren. Und später denkst Du: „Mist, das hätte ich vielleicht doch anders lösen sollen.“ Für genau diese Konstellationen gibt es § 142 Abs. 2 StGB. Der greift dann, wenn Du Dich bereits vom Unfallort entfernt hast – also nachträglich sozusagen noch die Kurve kriegen willst.
Das Gesetz bietet Dir hier zwei Rettungsanker – vorausgesetzt, Du greifst rechtzeitig danach. Denn wenn einer dieser beiden Tatbestände erfüllt ist, dann wird das Entfernen nicht automatisch zur Straftat. Aber dafür musst Du Dich bewegen – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Also schauen wir uns die zwei Wege an, die § 142 Abs. 2 StGB vorsieht.
Nach Ablauf der Wartefrist
Hier in Nr. 1 geht’s um die Situation, in der Du vor Ort warst, niemand kam, und Du nach einer angemessenen Zeit das Weite gesucht hast. Vielleicht war’s ein leichter Parkrempler ohne sichtbaren Schaden, und nach 20 Minuten im Nieselregen dachtest Du: „Okay, das reicht jetzt.“ Und ja – vielleicht stimmt das sogar. Das Gesetz verlangt keine ewige Präsenzpflicht.
Aber: Auch wenn Du ordentlich gewartet hast, bist Du noch nicht ganz raus aus der Nummer. Denn nachträglich musst Du dann unverzüglich die Feststellungen ermöglichen. Und das geht nur durch aktives Handeln: Du musst zur Polizei gehen oder die betroffene Person benachrichtigen. Zeit spielt hier eine Schlüsselrolle – „unverzüglich“ meint nämlich: ohne schuldhaftes Zögern. Je schneller, desto besser. Wenn Du also nach Hause fährst, Dir erst mal einen Tee machst und dann in Ruhe überlegst, was zu tun ist, wird es eng.
Die Norm ist also gnädig – aber nicht naiv. Sie sagt: Wenn Du objektiv korrekt gehandelt hast, weil Du gewartet hast, dann darfst Du auch gehen. Aber danach musst Du sofort tätig werden. Und wenn Du das nicht tust? Dann ist das Entfernen doch wieder strafbar. Ganz einfach.
Berechtigt oder entschuldigt
Noch ein Rettungsweg: Wenn Du aus gutem Grund gegangen bist. Stell Dir vor, Du hattest einen Schock. Oder einen medizinischen Notfall. Oder Angst vor einer Eskalation. Solche Szenarien kennt das Gesetz – und lässt das Entfernen dann ausnahmsweise durchgehen. Natürlich nur, wenn Dein Verhalten berechtigt oder entschuldigt war.
Berechtigt wäre das etwa bei einem Notstand oder wenn Dich jemand mit Gewalt bedroht. Entschuldigt – das ist der weichere Begriff – heißt: menschlich nachvollziehbar, auch wenn’s nicht ganz legal war. Etwa, wenn Du wirklich geglaubt hast, es sei alles in Ordnung, obwohl es das objektiv nicht war. Oder wenn Du panisch reagiert hast – verständlich, aber nicht richtig.
Auch hier gilt: Wer aus gutem Grund weggeht, muss nachträglich wieder auf die Bühne. Du musst auch in diesen Fällen unverzüglich die Feststellungen ermöglichen – also quasi die verspätete Visitenkarte abgeben. Nur dann bleibt das Ganze folgenlos.
Unvorsätzliches Entfernen
Jetzt kommen wir zu einem richtig spannenden Knackpunkt – und der ist umstritten. Was ist, wenn Du gar nicht wusstest, dass Du einen Unfall verursacht hast? Du fährst vom Parkplatz, denkst an nichts Böses – und abends ruft die Polizei an: „Sie haben da heute Vormittag ein anderes Fahrzeug touchiert.“ Und Du denkst: „Was?! Ich?“
Die Frage lautet: Macht sich auch jemand strafbar, der sich ohne Vorsatz entfernt hat – aber später nichts unternimmt? Also: Ist § 142 StGB ein echtes Vorsatzdelikt – oder reicht schon eine fahrlässige Nachlässigkeit beim Nachmelden?
Die herrschende Meinung ist hier klar: § 142 StGB ist ein echtes Vorsatzdelikt. Das heißt: Wenn Du beim Wegfahren nicht wusstest (und auch nicht hättest wissen müssen), dass es einen Unfall gab, fehlt der Vorsatz – und damit die Strafbarkeit nach Abs. 1. Begründet wird das mit dem strafrechtlichen Analogieverbot zulasten des Täters, denn mangelnde Kenntnis ist nun einmal nicht gleichbedeutend mit gerechtfertigt oder entschuldigt und verlangt dementsprechend auch keinen „guten Grund“.
Problematisch wird’s aber bei Abs. 2: Wenn Du später merkst: „Oh, da war wohl doch was“, und dann nichts machst – was dann? Hier gehen die Meinungen auseinander. Einige sagen: Dann lebt der Vorsatz quasi auf, und Du bist jetzt verpflichtet, die Polizei zu informieren – sonst erfüllst Du § 142 Abs. 2 StGB. Andere argumentieren: Wenn Du Dich bereits unvorsätzlich entfernt hast, dann ist das Ganze nicht mehr zu retten – denn Abs. 2 setzt voraus, dass die Entfernung vorsätzlich war. Sonst passt das System nicht mehr zusammen. Eine nachträgliche Pflicht könne man da nicht mehr reininterpretieren.
Die Praxis? Unentschieden. Manche Staatsanwaltschaften stellen in solchen Fällen das Verfahren ein, andere ermitteln weiter. Sicher ist nur: Wer sich später meldet, steht besser da – selbst wenn es formal keine Pflicht gibt. Denn das zeigt Kooperationsbereitschaft. Und selbst wenn das den Straftatbestand nicht verhindert, kann es das Strafmaß drücken. Also: Wer spät kommt, dem glaubt man nicht unbedingt alles – aber besser spät als nie.
