Okay, nun beschäftigen wir uns mit der Auslegung, dem Widerruf und der Anfechtung von Verfügungen von Todes wegen.

Auslegung

Los geht’s mit der Auslegung.

Testament

Fangen wir vorne an: Ein Testament ist eine einseitige Willenserklärung, die niemandem zugehen muss. Klingt erst mal simpel, aber beim Auslegen gibt’s Feinheiten. Maßgeblich ist nur eins: der wirkliche Wille des Erblassers. Juristen sagen: § 133 BGB gilt, § 157 BGB dagegen nicht.

Heißt: Wir müssen rausfinden, was der Erblasser wirklich wollte – und dürfen dabei auch mal über den Tellerrand der Urkunde schauen. Freunde, Familie, Umstände – all das kann man heranziehen.

Aber Vorsicht: Was wir finden, muss sich irgendwie im Testament andeuten. Nennt sich Andeutungstheorie. Das ist kein Auslegungsproblem, sondern ein Formproblem: Ohne Spur im Testament selbst ist auch der schönste mutmaßliche Wille nicht zu retten.

Beispiel: Stell Dir vor, E hat eine Ehefrau F, eine Mutter M und eine uneheliche Tochter T. Im Testament enterbt er die F und sagt: „Im Übrigen: gesetzliche Erbfolge.“ Damit wollte er M zur Alleinerbin machen. Sein Denkfehler: Er meinte, T wäre gar nicht gesetzliche Erbin, weil unehelich. Pech gehabt: Der Wille, M allein einzusetzen, taucht im Testament schlicht nicht auf. Ergebnis: keine Alleinerbin M.

Öffentliches Testament

Hier sieht’s etwas anders aus: Der Notar muss nach § 17 Abs. 2 BeurkG darauf achten, dass der Text den Willen des Erblassers wiedergibt. Deswegen haben notarielle Testamente eine Art Richtigkeits– und Vollständigkeitsvermutung. Klar, man darf auch hier auslegen – aber nur, wenn richtig starke Indizien vorliegen. Erst wenn sich Hinweise auf einen Fehler des Notars zeigen, darf man die Formulierungen gegen den Strich bürsten.

Erbvertrag

Beim Erbvertrag wird’s bunter: Für einseitige, nicht bindende Verfügungen gelten die Testamentsregeln. Für bindende, also vertragsmäßige Verfügungen, greift dagegen das Vertragsrecht – und da ist § 157 BGB wieder mit im Boot.

Gemeinschaftliches Testament

Jetzt wird’s romantisch – Ehegatten (oder eingetragene Lebenspartner) setzen sich häufig wechselseitig im gemeinschaftlichen Testament ein. Hier sagt die Auslegung: Wir schauen, was der andere verstanden hat, also § 133 und § 157 BGB. Schließlich baut das, was einer bestimmt, auf dem des anderen auf. Für den Rest gelten wieder die normalen Testaments-Auslegungsgrundsätze.

Auslegungsgrundsätze

Nun zu den Auslegungsgrundsätzen.

Einfache Auslegung

Klarer Fall: Benutzt der Erblasser Begriffe so, wie wir alle sie verstehen (allgemeiner Sprachgebrauch), dann keine Hexerei.

Erläuternde Auslegung

Aber Achtung: Manchmal spricht der Erblasser seine ganz eigene Sprache. Nennt er den Weinkeller „Bibliothek“ oder die Ehefrau „Mutter“, dann muss man das berücksichtigen – sofern es beweisbar ist. Auch die Familiensprache zählt.

Beispiel: „Meine Tochter bekommt die Briefmarkensammlung.“ – und jeder weiß, dass er damit eigentlich seine Münzen meinte.

Ergänzende Auslegung

Lücke entdeckt? Dann dürfen wir ergänzen – wenn sie planwidrig ist. Klassischer Fall: Bedachter oder Gegenstand fällt weg.

Beispiel: E setzt seine Geliebte G als Alleinerbin ein, heiratet sie später – und als er stirbt, ist sie schon verstorben. Ihre Tochter T stand E nahe. Kann sie Ersatzerbin sein? Manche Gerichte sagen ja (§ 2069 BGB analog), andere sagen: Nur wenn man klar erkennt, dass E das auch wollte.

Korrigierende Auslegung

Sehr umstritten. Hier geht’s darum, was der Erblasser nicht angeordnet hätte, wenn er die Wahrheit gekannt hätte.

Beispiel: E setzt seinen Butler B zum Alleinerben ein und lässt die Köchin K außen vor, weil er sie für eine Diebin hielt. Später stellt sich raus: B war’s. Korrigieren oder nicht? Gegner sagen: Das sprengt Auslegung, dann bleibt nur Anfechtung (§§ 2078 ff. BGB). Problem: Anfechtung führt oft zur gesetzlichen Erbfolge – und das wollte E ja gerade nicht.

Gesetzliche Auslegungsregeln

Dann gibt’s da noch die gesetzlichen Auslegungsregeln.

Erbeinsetzung vs. Vermächtnis

Ganz wichtig: Erbeinsetzung bedeutet Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 Abs. 1 BGB). Zuwendung nur eines einzelnen Gegenstands? Normalerweise Vermächtnis (§ 2087 Abs. 2 BGB).

Aber: Viele Laien verteilen einfach einzelne Gegenstände, ohne das Prinzip zu kennen. Dann muss man trotzdem einen Erben bestimmen. Markante Gegenstände können also als Erbeinsetzung zählen.

Anwachsung vs. Ersatzerbschaft

Fällt ein Erbe weg, stehen zwei Modelle im Raum: Anwachsung (§ 2094 BGB) oder Ersatzerbschaft (§ 2096 BGB). Gesetz sagt: Ersatzerbschaft geht vor (§ 2099 BGB).

Beispiel: E setzt F, S und T zu je 1/3 ein. S stirbt früh, hat aber Kinder A und B. T meint: „Sein Drittel wächst uns zu.“ Falsch – nach § 2069 BGB erben A und B je 1/6. Ergebnis: F und T je 1/3, A und B je 1/6.

Auswirkungen einer späteren Ehescheidung

Verfügt E zugunsten seines Ehepartners – und wird die Ehe geschieden –, puff: Die Verfügung ist weg (§ 2077 Abs. 1 BGB).

Beim Erbvertrag gilt das über § 2279 Abs. 2 BGB, beim gemeinschaftlichen Testament über § 2268 BGB.

Aber Achtung: Die Norm ist offen für abweichende Auslegung (§ 2077 Abs. 3 BGB).

Und auf Schwiegerkinder wird das Ganze nicht analog angewendet – sagt der BGH.

Grundsatz der wohlwollenden Auslegung

Wenn mehrere Lesarten möglich sind, gilt nach § 2084 BGB: Wir nehmen die, die das Testament wirksam macht.

Widerruf

Letztwillige Verfügungen können auch widerrufen werden.

Testament

Ein Testament kann man jederzeit widerrufen (§ 2253 BGB). Auch ein notarielles Testament lässt sich durch ein einfaches, handschriftliches kippen. Möglichkeiten:

  • Neues Testament schreiben (§ 2254 BGB).
  • Urkunde vernichten oder ändern (§ 2255 BGB).
  • Rücknahme aus amtlicher Verwahrung (§ 2256 BGB).
  • Späteres, widersprechendes Testament (§ 2258 BGB).

Beispiel: E setzt 2003 A ein, 2007 B. Ergebnis: Das alte Testament ist automatisch aufgehoben.

Erbvertrag

Hier ist’s strenger: Bindende Verfügungen sind nicht einseitig widerruflich (§ 2289 BGB). Möglich nur: Anfechtung, Aufhebung oder Rücktritt.

Änderungsvorbehalte sind erlaubt, aber ein „Totalvorbehalt“ wäre unzulässig.

Gemeinschaftliches Testament

Nicht wechselbezügliche Verfügungen: frei widerruflich. Wechselbezügliche: nur mit notarieller Erklärung gegenüber dem anderen (§ 2271 BGB).

Nach Tod eines Ehegatten ist der Widerruf futsch.

Anfechtung

Manchmal hilft Auslegung nicht, dann bleibt nur die Anfechtung (§§ 2078 ff. BGB). Unterschiede zur normalen Anfechtung (§§ 119 ff. BGB): Nicht der Erblasser selbst ficht an, sondern Dritte – nach seinem Tod (§ 2080 BGB).

Frist: ein Jahr ab Kenntnis (§ 2082 BGB).

Gründe können sein:

  • Inhalts– und Erklärungsirrtum (§ 2078 Abs. 1 BGB).
  • Drohung (§ 2078 Abs. 2 Alt. 2 BGB).
  • Jeder Motivirrtum (!) (§ 2078 Abs. 2 Alt. 1 BGB).

Beispiel: E vermacht K sein Auto, B wird Erbe. Ficht B das Vermächtnis an, bleibt seine Erbeinsetzung wirksam.

Auch Übergehen eines Pflichtteilsberechtigten (§ 2079 BGB) kann ein Anfechtungsgrund sein.