Stell Dir vor, Du kaufst Dir ein neues Bike, aber zahlst erst mal nur eine Anzahlung. Bis der letzte Euro überwiesen ist, darfst Du zwar schon losradeln, aber Eigentümer im vollen Sinn bist Du noch nicht. Trotzdem: Der Verkäufer kann Dir das Rad nicht mehr einfach so wieder wegschnappen. Genau in dieser Zwischenwelt bewegt sich das Anwartschaftsrecht – ein „Recht im Werden“, sozusagen die Vorstufe zum Vollrecht.
Das Anwartschaftsrecht entsteht, wenn Du auf dem Weg bist, ein Recht (meist Eigentum) vollständig zu erwerben, aber die letzte Bedingung (z. B. Kaufpreiszahlung) noch nicht erfüllt ist. Wichtig: Der andere kann Dich da nicht mehr einseitig rauskicken – die Sache hängt jetzt nur noch an Dir.
Gesetzlich geregelt? Fehlanzeige. Der Begriff ist Richter- und Literaturwerkzeug. Trotzdem spielt es eine Riesenrolle, vor allem im Wirtschaftsverkehr.
Wo taucht das Anwartschaftsrecht auf? Die Klassiker: Eigentumsvorbehalt (§§ 929 ff., 158 Abs. 1 BGB), Hypothek (§ 1163 Abs. 1 S. 1 BGB: Zwischen Eintragung und Auszahlung der Hypothek hast Du ein Anwartschaftsrecht am entstehenden Recht), Grundstückskäufe (auch zwischen Einigung und Grundbucheintragung kann Dir ein Anwartschaftsrecht zustehen).
Was ist das Anwartschaftsrecht eigentlich? Der BGH sagt: ein dingliches Recht light, ein Minus zum Vollrecht. Manche sehen es eher gemischt: halb schuldrechtlich, halb dinglich. Andere sprechen von einem „subjektiv-dinglichen“ Recht. Fest steht: Der Verkäufer bleibt Eigentümer, ist aber gebunden. Du hast die „Vorstufe zum Eigentum“ und kannst schon einiges damit anfangen.
Erwerb des Anwartschaftsrechts
Beim Kauf beweglicher Sachen entsteht es durch Einigung über den bedingten Eigentumsübergang und Übergabe der Sache – also genau wie beim normalen Eigentum, nur mit eingebautem Vorbehalt.
Schutz des Anwartschaftsrechts
Klar, was nützt ein Recht, wenn man es nicht verteidigen kann? Deshalb hat der Anwartschaftsberechtigte jede Menge Schutzinstrumente:
Possessorischer Besitzschutz
Du bist Besitzer? Dann kannst Du Dich wie jeder andere auf §§ 858 ff., 1007 BGB berufen.
Besitzrecht gegenüber dem Verkäufer
Der Kaufvertrag gibt Dir regelmäßig schon ein Besitzrecht (§ 986 BGB). Das wirkt auch gegen Dritte.
Aber: Kann das Anwartschaftsrecht selbst ein absolutes Besitzrecht sein? Ein Teil der Lit. verneint: zu stark abhängig vom Schuldrecht. Andere (und das OLG Karlsruhe) sagen: Doch, dinglich gesichert, sonst wäre die Konstruktion wertlos. Der BGH macht’s pragmatisch: Steht die letzte Zahlung kurz bevor, darf der Verkäufer nicht einfach die Herausgabe verlangen (§ 242 BGB). Mit Zahlung bist Du dann endgültig Eigentümer.
Schutz vor Zwischenverfügungen
Versucht der Verkäufer, die Sache zwischenzeitlich noch einmal zu veräußern, hält Dein Anwartschaftsrecht dagegen mit § 161 Abs. 1 BGB. Mit Bedingungseintritt platzt die Zwischenverfügung – absolute Wirkung!
Kein gutgläubiger Wegerwerb
Dein Anwartschaftsrecht kann Dir nicht durch einen Dritten „wegerworben“ werden. § 936 Abs. 3 BGB (analog) schiebt dem Riegel vor – jedenfalls solange Du unmittelbarer Besitzer bist.
Treuwidrige Verhinderung
Weigert sich der Verkäufer, weitere Raten anzunehmen, gilt die Bedingung trotzdem als eingetreten (§ 162 Abs. 1 BGB). Nice Try, aber so billig kommt er nicht raus.
Schadensersatz
Geht die Sache durch Verschulden des Verkäufers kaputt, hast Du Ansprüche nach § 160 Abs. 1 BGB – zusätzlich zu § 280 Abs. 1 BGB.
Dinglicher und deliktischer Schutz
Die Mehrheit sagt: Du kannst analog §§ 985, 987 ff. BGB eigene Herausgabe- und Schadensersatzansprüche geltend machen. Nach dem BGH kann der Anwartschaftsberechtigte aber nur den Wert des Anwartschaftsrechts, d. h. die Differenz zwischen dem Wert der Sache und dem noch nicht gezahlten Restkaufpreis ersetzt verlangen.
§ 1004 BGB analog schützt Dich ebenfalls mit einem Unterlassungsanspruch.
Deliktsrechtlich ist Dein Anwartschaftsrecht ein sonstiges Recht i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB.
Übertragung des Anwartschaftsrechts
Auch Dein Anwartschaftsrecht kannst Du wie Eigentum übertragen. Einigung + Übergabe reichen (§§ 929 ff. BGB analog). Und ja: Dafür brauchst Du nicht mal die Erlaubnis des Vollrechtsinhabers.
Kommt es zu einer missglückten Eigentumsübertragung, kann man die Erklärung regelmäßig in die Übertragung des Anwartschaftsrechts umdeuten (§ 140 BGB). Oder – nach BGH – man legt sie gleich so aus.
Gutgläubiger Ersterwerb: Möglich! Wenn der Verkäufer eigentlich gar nicht Eigentümer ist, Du aber gutgläubig einen Eigentumsvorbehalt vereinbarst, bekommst Du dank §§ 932 ff. BGB wenigstens das Anwartschaftsrecht.
Gutgläubiger Zweiterwerb: Umstritten. Mehrheit sagt: ja, möglich, denn Anwartschaft ist „werdendes Eigentum“ – allerdings nur, wenn es tatsächlich bestand (und nicht etwa aufgrund eines schuldrechtlichen Mangels nie entstanden war).
Kreditsicherungsmittel
Warum das Ganze? Ein großer Zweck: Sicherheiten. Das Anwartschaftsrecht kann verpfändet, sicherungsübereignet oder sogar mit Pfandrechten belastet werden. Es ist also voll bankentauglich.
Es fällt übrigens auch als wesensgleiches Minus zum Vollrecht wie das Eigentum in den Haftungsverband der Hypothek (§§ 1120 ff. BGB).
Erlöschen
Das Anwartschaftsrecht endet, wenn die Bedingung nicht mehr eintreten kann – etwa bei Rücktritt vom Kaufvertrag, Verjährung oder Anfechtung.
Spannend: Es kann auch isoliert aufgehoben werden, ohne dass der Kaufvertrag selbst wegfällt. Dann behältst Du nur noch den schuldrechtlichen Anspruch (§ 433 Abs. 1 S. 1 BGB).
Anwartschaftsrecht in der Zwangsvollstreckung
Der Vollrechtsinhaber (Verkäufer) kann mit einem Titel (z. B. wegen der Kaufpreisforderung) direkt in die Sache vollstrecken. Er muss also nicht unbedingt zurücktreten, sondern kann auch diesen Weg gehen. Dass er schon Eigentümer ist, verhindert zwar ein Pfandrecht an der Sache, nicht aber die Verstrickung und die Pfändung selbst. Auch das Anwartschaftsrecht des Käufers wird zur Haftungsmasse. Wehren kann sich der Käufer nur, wenn das Vollstreckungsverfahren selbst falsch läuft (§ 766 ZPO). Außerdem hat der Gesetzgeber extra geregelt, dass bestimmte Pfändungsverbote (§ 811 ZPO) hier nicht mehr greifen (§ 811 Abs. 2 S. 1 ZPO). Damit soll dem Verkäufer der Umweg über Rücktritt und Herausgabeklage erspart bleiben.
Greifen die Gläubiger des Vorbehaltsverkäufers zu, schützt den Käufer meist schon der einfache Fakt, dass er die Sache in seinem Gewahrsam hat. Wegnehmen ohne Zustimmung geht nicht (§§ 808, 809 ZPO). Falls es doch passiert: Erinnerung nach § 766 ZPO einlegen. Steht die Sache nicht bei ihm, kann er mit Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) dagegenhalten, weil sein Anwartschaftsrecht einem Erwerb im Wege steht. Aber Vorsicht: In einer Zwangsversteigerung durch den Gerichtsvollzieher erwirbt der Ersteher lastenfrei. Da muss der Käufer aktiv werden, wenn er sein Recht retten will.
Die Gläubiger des Käufers können entweder auf die Sache selbst oder auf das Anwartschaftsrecht zugreifen. Gegen die erste Variante kann der Verkäufer mit Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) vorgehen. Die Gläubiger können das aber aushebeln, indem sie einfach die Kaufpreisforderung begleichen (§ 267 BGB). Dann wird der Käufer Eigentümer, und der Verkäufer geht leer aus. Lehnt er die Zahlung treuwidrig ab, greift § 162 BGB: Die Bedingung tritt trotzdem ein.
Noch schlauer ist für die Gläubiger die Pfändung nur des Anwartschaftsrechts. Das kann der Verkäufer nicht verhindern, weil sein Eigentum dabei unangetastet bleibt.
Und wie genau pfändet man so ein Anwartschaftsrecht? Genau darüber streiten sich die Geister. Einige sagen: nur über Sachpfändung (§§ 808 ff. ZPO). Problem: Der Gerichtsvollzieher müsste dabei ziemlich tief in juristische Feinheiten eintauchen. Andere meinen: reine Rechtspfändung nach §§ 857, 828, 829 ZPO. Dann gäbe es aber kaum Publizität. Die herrschende Meinung macht’s pragmatisch: Doppelpfändung! Also erst Rechtspfändung (§ 857 ZPO), dann Sachpfändung. Damit hat man beides: Transparenz und Rechtssicherheit. Die Folge: Sobald die Bedingung (Zahlung) eintritt, wandelt sich das Pfandrecht am Anwartschaftsrecht automatisch in ein Pfandrecht an der Sache um.
Anwartschaftsrecht in der Insolvenz
Gerät der Vorbehaltsverkäufer in die Insolvenz, bleibt der Käufer entspannt: § 107 Abs. 1 InsO verhindert, dass der Insolvenzverwalter den Vertrag einfach platzen lässt. Der Käufer zahlt weiter seinen Kaufpreis und bekommt am Ende Eigentum.
Ganz anders beim Käufer: Sein Insolvenzverwalter kann wählen, ob er den Vertrag erfüllt (§ 103 InsO). Entscheidet er sich dafür, wird die Restzahlung zur Masseschuld (§ 55 InsO) – und damit vorrangig bedient. Entscheidet er sich dagegen, verliert der Käufer sein Besitzrecht, und der Verkäufer darf die Sache aussondern (§ 47 InsO). Aber Achtung: Das gilt nur beim einfachen Eigentumsvorbehalt. Erweiterte Klauseln, die auch andere Forderungen absichern, werden wie Sicherungseigentum behandelt. Dann gibt’s nur ein Absonderungsrecht, kein Aussonderungsrecht. Und was, wenn die Ware schon weg ist? Wurde sie noch vor der Insolvenz an einen Dritten verkauft, kann der Verkäufer Ersatzaussonderung verlangen (§ 48 InsO). Hat der Insolvenzverwalter selbst veräußert, geht der Anspruch auf die Gegenleistung über – solange die noch unterscheidbar in der Masse liegt.
