Stell Dir vor, Du hast eine Forderung – also einen Anspruch auf eine Leistung – und behältst diese einfach bis zur Fälligkeit. Dann forderst Du irgendwann vom Schuldner, dass er zahlt oder leistet. Das ist der Normalfall. Aber es geht eben auch anders: Eine Forderung kann nämlich ihren Besitzer wechseln. Der ursprüngliche Gläubiger kann sie an jemand anderen weitergeben, sodass plötzlich ein ganz neuer Gläubiger vor dem Schuldner steht.

Gerade in der heutigen Wirtschaft wäre es völlig undenkbar, wenn Forderungen nicht übertragbar wären. Sie werden verkauft, als Sicherheit abgetreten oder im Rahmen von Vollstreckungsmaßnahmen gepfändet. Du merkst: Forderungen sind keine starren Rechtspositionen, sondern bewegliche „Wertgegenstände“. Deshalb gibt es klare Regeln, wann und wie so ein Wechsel ablaufen darf – vor allem in den §§ 398 ff. BGB und ergänzend in der ZPO.

Wie kann es zu einem Gläubigerwechsel kommen? Der häufigste Fall: Abtretung. Ein Gläubiger überträgt seine Forderung per Vertrag auf einen Dritten (§ 398 BGB). Aber auch das Gesetz selbst kann anordnen, dass eine Forderung den Besitzer wechselt – dann spricht man vom gesetzlichen Forderungsübergang. Ein klassisches Beispiel: Der Versicherer zahlt dem Geschädigten den Schaden, und dessen Ersatzanspruch gegen den Schädiger geht automatisch auf die Versicherung über (§ 86 VVG). Das Ganze läuft also ohne Extra-Vertrag, sondern „per Gesetz“. Und schließlich gibt es noch den exotischen Fall: die Übertragung durch Hoheitsakt, etwa wenn im Rahmen einer Pfändung die Forderung an den Vollstreckungsgläubiger überwiesen wird (§ 835 ZPO).

Worum geht es in den §§ 398 ff. BGB? Die Vorschriften regeln unmittelbar nur die Übertragung von Forderungen – also von Ansprüchen gegen einen Schuldner auf Leistung. Aber: Das Ganze lässt sich nach § 413 BGB auch auf andere Rechte anwenden, solange es keine Spezialregel gibt. So gibt es z. B. Sondervorschriften bei GmbH-Anteilen, Aktien oder Schutzrechten. Für Sachen wiederum gelten die Vorschriften zum Eigentumsübergang (§§ 873, 929 ff. BGB).

Abtretung

Nach § 398 BGB passiert die Abtretung durch Vertrag zwischen Alt- und Neugläubiger. Ergebnis: Der neue Gläubiger steht an Stelle des alten. Wichtig ist hier die Terminologie: Zedent = der alte Gläubiger, der abtritt. Zessionar = der neue Gläubiger. Zession = Abtretung allgemein. Legalzession = Abtretung kraft Gesetzes.

Die Abtretung ist ein Verfügungsgeschäft. Damit gehört sie in dieselbe Kategorie wie z. B. die Übereignung einer Sache. Der Unterschied: Bei Sachen haben wir etwas Körperliches (§ 90 BGB), bei Forderungen dagegen ein unkörperliches Recht. Und ganz wichtig: Auch hier gilt das Trennungs- und Abstraktionsprinzip. Das heißt, Abtretung (Verfügung) und das zugrunde liegende Geschäft (meist Kaufvertrag, § 453 BGB) sind strikt auseinanderzuhalten.

Ein paar Beispiele machen das klar: Gläubiger G verkauft und überträgt seine Forderung an den Minderjährigen M. Der Kaufvertrag ist schwebend unwirksam (§§ 107, 108 BGB), die Abtretung aber wirksam, weil sie für M rechtlich vorteilhaft ist. Umgekehrt: Ein Minderjähriger verkauft und tritt seine Forderung ab. Hier sind beide Geschäfte unwirksam, weil rechtliche Nachteile vorliegen – das nennt man Fehleridentität.

Und was, wenn die Abtretung wirksam ist, das Kausalgeschäft aber nicht? Dann greift das Bereicherungsrecht (§ 812 BGB). Der neue Gläubiger muss die Forderung zurückübertragen.

Abgrenzungen

Vertragsübernahme: Hier geht es nicht nur um eine einzelne Forderung, sondern um die komplette Vertragsposition. Damit wechseln Rechte und Pflichten – also auch die Schuldnerseite.

Einziehungsermächtigung: Ganz andere Baustelle. Hier bleibt der Gläubiger Eigentümer der Forderung, erlaubt aber einem Dritten, sie einzuziehen. Typisch, wenn der Gläubiger im Hintergrund bleiben möchte.

Voraussetzungen für eine wirksame Abtretung

Ein Vertrag zwischen Alt- und Neugläubiger

Der Schuldner muss nicht gefragt werden – er kann sogar völlig ahnungslos bleiben. Genau deshalb gibt es umfangreiche Schuldnerschutzvorschriften.

Form ist grundsätzlich keine vorgeschrieben, außer Spezialgesetze verlangen es (z. B. Hypothek: § 1154 BGB).

Aber Achtung: Wenn die Abtretung gegen ein Verbotsgesetz verstößt, ist sie nach § 134 BGB nichtig. Beispiel: Der Zahnarzt, der seine Honorarforderungen an ein Abrechnungszentrum abtritt. Der BGH sagt: verboten, weil dadurch die Schweigepflicht verletzt wird (§ 203 StGB).

Existenz der Forderung und Inhaberschaft des Zedenten

Es gilt: Niemand kann mehr Rechte übertragen, als er selbst hat. Deswegen gibt es beim Forderungsrecht grundsätzlich keinen gutgläubigen Erwerb. Es sei denn, es liegt eine Schuldurkunde oder ein Erbschein vor – dann schafft der Rechtsschein eine Ausnahme (§§ 405, 2366 BGB). Auch künftige Forderungen können abgetreten werden, solange sie bestimmbar sind.

Bestimmbarkeit

Man muss genau wissen, welche Forderung betroffen ist. Deswegen spricht man vom Spezialitätsgrundsatz.

Bei Globalzessionen (also Abtretung ganzer Forderungspakete) wird es spannend: Zu unbestimmt ist die „Abtretung aller Forderungen bis 225.000 Euro“. Zu weitreichende Globalzessionen können außerdem sittenwidrig sein (§ 138 BGB).

Übertragbarkeit

Manche Forderungen sind gar nicht übertragbar. Beispiele: höchstpersönliche Ansprüche (z. B. ärztliche Behandlung, Unterricht, anwaltliche Beratung), unpfändbare Forderungen (§ 400 BGB) und Forderungen, deren Übertragung den Inhalt verändern würde (§ 399 BGB).

Außerdem können Schuldner und Gläubiger ein vertragliches Abtretungsverbot vereinbaren (§ 399 Alt. 2 BGB). Dann entsteht die Forderung von Anfang an als „unabtretbar“. Ausnahme: Der Schuldner stimmt später ausdrücklich zu – dann wird die Abtretung wirksam, allerdings erst ab diesem Zeitpunkt.

Rechtsfolgen der Abtretung

Übergang der Forderung auf den Neugläubiger

Sobald eine Forderung nach § 398 S. 2 BGB abgetreten wird, wechselt sie den Besitzer: Der neue Gläubiger (Zessionar) ist nun am Steuer, der alte Gläubiger (Zedent) hat keine Handhabe mehr. Für ihn bedeutet das: Er kann die Forderung nicht nochmal wirksam abtreten – die Inhaberschaft ist schlicht weg. Wenn also mehrere Abtretungen hintereinander passieren, gilt das Prioritätsprinzip: Nur die erste zählt, alles Weitere läuft ins Leere.

Auch beim Einziehen der Forderung ist der alte Gläubiger raus – es sei denn, der neue räumt ihm ausdrücklich ein Einziehungsrecht ein.

Übergang von Sicherungs- und Vorzugsrechten (§ 401 BGB)

§ 401 BGB stellt klar: Mit der Forderung wechseln auch bestimmte Sicherungsrechte den Besitzer. Dazu gehören Hypotheken, Pfandrechte oder Bürgschaften – also klassische akzessorische Sicherheiten, die ohne die Forderung gar keinen Sinn machen. Weil Forderung und Sicherheit hier eng miteinander verbunden sind, folgt das Recht dieser Logik.

Anders sieht es bei nicht-akzessorischen Sicherheiten wie Grundschuld, Sicherungsübereignung oder Eigentumsvorbehalt aus: Die hängen nicht automatisch an der Forderung, § 401 BGB greift also nicht. Wer so eine Sicherheit haben will, muss sie gesondert übertragen. Nur in engen Ausnahmefällen – etwa bei einer sichernden Schuldmitübernahme – wird eine analoge Anwendung zugelassen.

Zusätzlich gehen nach § 401 Abs. 2 BGB auch Vorzugsrechte über, die etwa bei Zwangsvollstreckung oder Insolvenz eine Rolle spielen (§ 804 Abs. 2 ZPO, §§ 49 ff. InsO).

Pflichten des Altgläubigers (§ 402 BGB)

Mit der Abtretung kommen für den alten Gläubiger auch Pflichten ins Spiel. Er muss dem neuen Gläubiger alle Auskünfte geben, die dieser braucht, um die Forderung durchzusetzen. Außerdem muss er einschlägige Urkunden herausgeben, die er noch hat. An manchen Dokumenten – etwa Schuldscheinen oder Sparbüchern – wird der neue Gläubiger sogar automatisch Eigentümer (§ 952 BGB). Auf Verlangen muss der Zedent dem Zessionar schließlich auch eine öffentlich beglaubigte Abtretungsurkunde ausstellen – die Kosten trägt der neue Gläubiger (§ 403 BGB).

Schutz des Schuldners

Einwendungen im Zeitpunkt der Abtretung

Für den Schuldner soll sich durch die Abtretung möglichst wenig ändern. Deshalb bestimmt § 404 BGB: Der Schuldner kann dem neuen Gläubiger alle Einwendungen und Einreden entgegenhalten, die er schon gegenüber dem alten hatte. Mit anderen Worten: Die Forderung geht in dem Zustand über, in dem sie existierte – inklusive aller Belastungen.

Das gilt nicht nur für Einwendungen wie Formmängel oder Sittenwidrigkeit, sondern auch für Erfüllung oder Rücktritt, wenn diese schon vor der Abtretung entstanden sind. Selbst Einreden wie Verjährung oder Stundung bleiben erhalten.

Wichtig: Es reicht, wenn die Einwendung im Zeitpunkt der Abtretung „begründet“ war – also im Schuldverhältnis angelegt. Auch wenn ein Gestaltungsrecht erst später ausgeübt wird, kann es noch durchschlagen.

Beispiel: Eine Gesellschaft (G) verkauft Pelze an S, Rücktrittsrecht bis Saisonende inklusive. Danach tritt G die Kaufpreisforderung an K ab. S macht vor Saisonende ihr Rücktrittsrecht geltend. Ergebnis: K geht leer aus. Denn nach § 404 BGB übernimmt er die Forderung so, wie sie bestand – also mit Rücktrittsrecht belastet.
Ob K das wusste oder nicht, spielt keine Rolle. Die Gutgläubigkeit des neuen Gläubigers schützt ihn hier nicht.

Ausschluss von Einwendungen

Eine Ausnahme gibt es aber: § 405 BGB kann dem Schuldner Einwendungen abschneiden. Das passiert, wenn der Schuldner eine Schuldurkunde ausgestellt hat und diese dem neuen Gläubiger bei der Abtretung vorgelegt wird.

Zwei Konstellationen sind denkbar. Scheingeschäft (§ 117 BGB): Wurde die Forderung nur zum Schein begründet, kann der Schuldner sich darauf nicht berufen, wenn der neue Gläubiger gutgläubig war. Hintergrund: Mit der Urkunde hat der Schuldner selbst einen Rechtsschein geschaffen. Abtretungsverbot: Haben Schuldner und Altgläubiger ein Abtretungsverbot vereinbart, das in der Schuldurkunde aber nicht auftaucht, kann sich der Schuldner dem Neugläubiger gegenüber nicht darauf berufen. Auch hier zeigt sich: Der Schutz des Rechtsverkehrs steht im Vordergrund.

Aufrechnung gegenüber dem neuen Gläubiger

Die Aufrechnung ist ein weiterer wichtiger Schutzmechanismus. Schon erklärtes Aufrechnen vor der Abtretung wirkt automatisch auch gegenüber dem neuen Gläubiger. Schwieriger wird es, wenn die Aufrechnung erst nach der Abtretung erklärt wird: Da fehlt normalerweise die Gegenseitigkeit. § 406 BGB schließt hier die Lücke.

Aufrechnungslage vor Abtretung: Der Schuldner darf auch gegenüber dem neuen Gläubiger aufrechnen.

Aufrechnungslage nach Abtretung: Auch dann kann eine Aufrechnung möglich sein – allerdings mit Einschränkungen. Wenn der Schuldner beim Erwerb der Gegenforderung von der Abtretung wusste, oder wenn die Hauptforderung vor der Gegenforderung fällig wird, ist die Aufrechnung ausgeschlossen. Die Beweislast für diese Ausschlusstatbestände trägt der neue Gläubiger.

Schutz bei Leistung an den Altgläubiger

Kernidee: Der Schuldner soll nicht zweimal zahlen müssen, nur weil die Forderung hinter seinem Rücken den Besitzer gewechselt hat. Grundsatz (§ 407 Abs. 1 BGB): Leistet der Schuldner in Unkenntnis der Abtretung an den bisherigen Gläubiger, wird er frei. Der alte Gläubiger bekommt also Geld, obwohl er gar nicht mehr forderungsberechtigt ist – trotzdem ist die Schuld erloschen.

Dasselbe gilt nicht nur für Zahlungen, sondern auch für andere rechtsgeschäftliche Erklärungen gegenüber dem alten Gläubiger, z. B. Erlass (§ 397 BGB), Stundung oder Aufrechnung.

Beispiel: A tritt seine Forderung gegen S an B ab. S zahlt in gutem Glauben weiter an A. Ergebnis: Schuld erloschen, § 407 Abs. 1 BGB. B könnte meinen, er habe gegen S einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB (Leistungskondiktion). Aber: § 407 BGB sperrt das. S hat „mit Rechtsgrund“ an den Altgläubiger geleistet, weil das Gesetz ihn befreit. Stattdessen muss sich B an A halten – und zwar über § 816 Abs. 2 BGB (Herausgabe des Erlangten, weil A eine Leistung empfangen hat, die „dem Berechtigten gegenüber wirksam“ war).

Mehrfache Abtretung

Hier wird es knifflig: Stellt sich später heraus, dass eine Forderung mehrfach abgetreten wurde, weiß der Schuldner nicht, wem er eigentlich leisten soll.
Leistet er an einen „scheinbaren“ Gläubiger in Unkenntnis der mehrfachen Abtretung, wird er durch § 408 geschützt. Wieder gilt: Der wahre Neugläubiger hat dann einen Bereicherungsanspruch gegen den Zahlungsempfänger aus § 816 Abs. 2 BGB.

Schutz durch Abtretungsanzeige

Noch ein Spezialfall: Der Altgläubiger teilt dem Schuldner mit, er habe die Forderung abgetreten. Leistet der Schuldner daraufhin an den in der Anzeige genannten Neugläubiger, wird er befreit – auch wenn die Abtretung tatsächlich unwirksam oder nie erfolgt ist.

Wieder liegt der Gedanke dahinter beim Vertrauensschutz: Der Schuldner darf auf die Anzeige vertrauen, weil sie nur vom bisherigen Forderungsinhaber kommen kann.

Beispiel: A behauptet wahrheitswidrig, er habe seine Forderung an B abgetreten, und zeigt dies S an. S zahlt an B. Ergebnis: Befreiung des S (§ 409 BGB). B muss ggf. an A herausgeben, und A steht ziemlich blamiert da.

Leistungsverweigerungsrecht

Damit der Schuldner nicht vorschnell an irgendeinen „Gläubiger“ leisten muss, gibt § 410 BGB ihm ein Leistungsverweigerungsrecht: Er kann die Zahlung solange verweigern, bis ihm eine Abtretungsanzeige oder eine Abtretungsurkunde vorgelegt wird. Die Kosten für die Abtretungsurkunde trägt nach § 403 BGB der Neugläubiger.

Spezielle Abtretungsmodelle

Sicherungszession

Hier dient die Forderung als Sicherheit, etwa bei Bankkrediten. Der neue Gläubiger wird Inhaber der Forderung, im Innenverhältnis regelt eine Sicherungsabrede die Bedingungen. Ist der Sicherungszweck erfüllt, fällt die Forderung meist zurück.

Inkassozession

Die Forderung wird auf den Zessionar übertragen, damit dieser sie einzieht. Der Vorteil: Er ist voller Forderungsinhaber und kann auch klagen – anders als bei bloßer Einziehungsermächtigung.

Legalzession

Manchmal ordnet das Gesetz selbst den Forderungsübergang an – etwa beim Rückgriff des Bürgen (§ 774 BGB) oder beim Gesamtschuldnerausgleich (§ 426 BGB). Hier gelten grundsätzlich die Regeln der Abtretung (§ 412 BGB), mit Ausnahme des gutgläubigen Erwerbs nach § 405 BGB.