Allgemeines Zurückbehaltungsrecht

Stell Dir vor, jemand will etwas von Dir – zum Beispiel Geld, eine Sache oder eine bestimmte Handlung – aber selbst hat diese Person ihre eigene Pflicht Dir gegenüber noch nicht erfüllt. Da fragst Du Dich zu Recht: Warum sollte ich zuerst liefern? Und genau für solche Fälle gibt’s das Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 1 BGB. Es sagt: Wer eine eigene Forderung hat, darf die Leistung verweigern, solange diese eigene Forderung nicht erfüllt ist – wenn beide Ansprüche aus demselben rechtlichen Zusammenhang stammen.

Ein Beispiel aus dem echten Leben: K und V sind Geschäftspartner. Am 1. Juli kauft K Ware bei V und will sie geliefert bekommen. V wiederum sagt: Moment mal, K hat doch seine Rechnung vom 2. Mai noch nicht bezahlt! Also hält V die neue Lieferung erstmal zurück. Das darf er – denn auch er hat einen Anspruch gegen K, und beide Ansprüche hängen eng miteinander zusammen. Sein Joker: § 273 BGB.

Das Zurückbehaltungsrecht ist keine magische Schranke, die sich automatisch aktiviert. Es ist eine Einrede. Das heißt: Der Schuldner muss sie selbst geltend machen, sonst bleibt sie unbeachtet. Wird sie geltend gemacht, führt das im Prozess nicht dazu, dass der Gläubiger leer ausgeht – aber das Gericht spricht ihm seine Leistung nur Zug um Zug zu (§ 274 Abs. 1 BGB). Praktisch bedeutet das: Wer Leistung will, muss selbst liefern. Und solange der Gläubiger nicht zur Gegenleistung bereit ist, kann er auch keinen Verzug oder Schadensersatz geltend machen (§§ 280, 286 BGB). Prozesszinsen nach § 291 BGB? Gibt’s in dem Fall ebenfalls nicht.

Übrigens: Der Gläubiger kann das Zurückbehaltungsrecht durch eine Sicherheitsleistung abwenden (§ 273 Abs. 3 BGB). Wenn er zahlt oder eine Bankbürgschaft rausrückt, hat das Warten ein Ende.

Gegenseitigkeit

Zurückbehaltungsrecht funktioniert nur, wenn wir es mit einem Geben und Nehmen zwischen denselben Parteien zu tun haben. Du schuldest mir was – und ich Dir auch. Das nennt sich Gegenseitigkeitsverhältnis. Dabei ist es egal, ob die Forderungen gleichartig sind. Sind sie das – etwa bei zwei Geldforderungen –, ist die Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB) oft das passendere Werkzeug.

Kleiner Twist: Selbst wenn der Anspruch nicht nur mir alleine gehört – zum Beispiel, weil ich Miterbe bin – kann ich trotzdem das Zurückbehaltungsrecht nutzen.

Konnexität

Die beiden Forderungen müssen inhaltlich zusammenhängen. Keine bloße Zufallsbekanntschaft, sondern ein gemeinsamer Nenner – zum Beispiel dieselbe Geschäftsbeziehung oder derselbe Lebenssachverhalt. Die Rechtsprechung ist hier großzügig. Sie sagt: Auch bei mehreren Verträgen oder Sachverhalten reicht es, wenn es wirtschaftlich und inhaltlich verbunden ist.

Achtung: Bei gegenseitigen Verträgen – also Kauf, Miete, Dienstvertrag usw. – läuft das Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB ins Leere. Da gilt § 320 BGB (Einrede des nicht erfüllten Vertrages). Und der ist spezieller – also Vorrang durch Spezialgesetz.

Fälligkeit und Durchsetzbarkeit

Wenn Du Dein Zurückbehaltungsrecht auspacken willst, muss Deine eigene Forderung fällig und durchsetzbar sein. Ein Anspruch, der noch gar nicht besteht oder voller Einreden steckt, reicht nicht.

Und wie ist das mit verjährten Forderungen? Auch die können als Druckmittel dienen – wenn sie zum Zeitpunkt der Entstehung des Zurückbehaltungsrechts noch nicht verjährt waren (§ 215 BGB). Klingt nach Kulanz – ist aber nur gerecht.

Kein Ausschluss

Das Zurückbehaltungsrecht kann ausgeschlossen sein – entweder vertraglich oder gesetzlich. Beispiel: Wenn im Vertrag eine Vorleistungspflicht steht, dann musst Du zuerst liefern. Aber: In AGB darf das nicht einfach so geregelt sein (§ 309 Nr. 2b BGB). Auch das Gesetz selbst kennt Ausschlussfälle: Der Vermieter kann sich z. B. nicht auf § 273 BGB berufen, wenn es um die Rückgabe der Wohnung geht (§ 570 BGB). Oder der Vollmachtgeber kriegt die Urkunde zurück – ohne Wenn und Aber (§ 175 BGB).

Und wenn jemand durch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung an die Sache gekommen ist (etwa durch Diebstahl), kann er sich ebenfalls nicht auf das Zurückbehaltungsrecht berufen (§ 393 BGB analog).

Es geht noch weiter: Auch aus dem Charakter des Schuldverhältnisses selbst kann sich ein Ausschluss ergeben. Beispiel: Führerschein oder Personalausweis – die muss man einfach zurückgeben, selbst wenn man noch Geld kriegt. Und auch bei besonders schutzwürdigen Gläubigern, etwa bei Unterhaltszahlungen, gibt es kein Zurückbehaltungsrecht.

Zum Schluss: Auch § 242 BGB kann Dir einen Strich durch die Rechnung machen. Wenn Dein Anspruch ohnehin gut abgesichert ist oder die Forderung des anderen überwiegt, dann wird das Recht zur Einrede unzulässig. Gerechtigkeit geht vor Formalismus.

Zurückbehaltungsrecht bei Herausgabe

Jetzt wird’s etwas spezieller: Wenn Du zur Herausgabe eines Gegenstandes verpflichtet bist – etwa einer Sache oder eines Rechtes – und Du wegen dieses Gegenstands selbst Kosten hattest oder Schaden erlitten hast, kannst Du die Herausgabe verweigern – § 273 Abs. 2 BGB regelt das.

Anders als beim „normalen“ Zurückbehaltungsrecht wird hier die Konnexität automatisch angenommen. Du musst also nicht beweisen, dass die Forderungen zusammengehören – das wird einfach unterstellt.

Beispiel: A findet den entlaufenen Schäferhund von B. Er füttert ihn (25 Euro) und wird auch noch gebissen (Arztkosten: 50 Euro). B will seinen Hund zurück. A sagt: Kein Problem – aber nur, wenn ich meine Kosten ersetzt bekomme. Das darf er. § 273 Abs. 2 BGB gibt ihm das Recht, den Hund erst dann herauszugeben, wenn seine eigenen Ansprüche bezahlt sind.

Und übrigens: Nur weil § 273 Abs. 2 BGB speziell ist, heißt das nicht, dass § 273 Abs. 1 BGB nicht mehr gilt. Beide können nebeneinander greifen, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Es lohnt sich also, beim Streit um Herausgabe beide Normen im Blick zu behalten.

Eine wichtige Grenze: Wenn der Schuldner den Gegenstand vorsätzlich unrechtmäßig erlangt hat – zum Beispiel durch Diebstahl – kann er sich nicht auf § 273 Abs. 2 BGB berufen. Ob er dann noch § 273 Abs. 1 BGB nutzen kann, ist umstritten. Die herrschende Meinung sagt: Ja – aber § 393 BGB analog schiebt auch hier in vielen Fällen einen Riegel vor.

Kaufmännisches Zurückbehaltungsrecht

Wenn sich zwei Kaufleute gegenüberstehen, gibt’s eigene Spielregeln: §§ 369 ff. HGB. Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht setzt voraus, dass ein Händler eine fällige Forderung gegen einen anderen Händler hat – und zwar aus einem beiderseitigen Handelsgeschäft. Was darunter fällt? Kauf, Kommission, Spedition und viele andere Deals unter Kaufleuten.

Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht ist übrigens deutlich weiter gefasst als § 273 BGB. Es erlaubt in bestimmten Fällen sogar die Verwertung der zurückgehaltenen Sachen – also quasi eine pfandähnliche Wirkung. Aber Achtung: Genau wie im BGB gilt auch hier, dass bestimmte Dinge (zum Beispiel durch Gesetz oder Natur der Sache) ausgeschlossen sein können.

Zurückbehaltungsrecht des Besitzers gegenüber dem Eigentümer

Stell Dir vor, Du hast Dir eine Sache geliehen oder bist irgendwie rechtmäßig in den Besitz einer fremden Sache gekommen – und hast währenddessen Geld oder Arbeit investiert, um sie in Schuss zu halten. Vielleicht hast Du die kaputte Gartenhütte repariert oder das Fahrrad neu lackiert. Jetzt will der Eigentümer seine Sache zurück. Und Du? Du stehst da und fragst Dich: „Und wer ersetzt mir jetzt meine Mühe?“

Genau hier setzt das Zurückbehaltungsrecht aus § 1000 BGB an. Dieses Recht gibt Dir als Besitzer einen Trumpf gegen den Herausgabeanspruch des Eigentümers (§ 985 BGB) an die Hand: Du darfst die Sache behalten, bis Deine Aufwendungen ersetzt werden – auch wenn Dein Anspruch auf Ersatz noch gar nicht fällig ist. Normalerweise dürftest Du eine Leistung ja nur zurückhalten, wenn Dein Gegenanspruch fällig ist (§ 273 Abs. 2 BGB). Aber hier hat der Gesetzgeber gesagt: „Nee, das wäre ungerecht.“ Denn nach § 1001 BGB wird Dein Ersatzanspruch oft erst fällig, wenn der Eigentümer Deine Investitionen ausdrücklich genehmigt. Das könnte dazu führen, dass Du die Sache herausgeben müsstest, ohne vorher auch nur einen Cent für Deine Mühen zu bekommen. Und genau das soll durch § 1000 BGB verhindert werden.

Leistungsverweigerungsrecht aufgrund der Corona-Krise

Springen wir ins Jahr 2020, mitten in die Corona-Krise. Geschäfte geschlossen, Einnahmen weg – aber die Rechnungen laufen weiter. Wie sollten Menschen da noch Strom, Internet oder Versicherungen zahlen? Der Gesetzgeber hat schnell reagiert und ein spezielles Leistungsverweigerungsrecht geschaffen: Art. 240 § 1 EGBGB. Klingt technisch, war aber ein echter Schutzschirm für Verbraucher und Kleinstunternehmen.

Konkret heißt das: Wenn Du Verbraucher warst (§ 13 BGB) oder ein Mini-Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern und höchstens zwei Millionen Euro Jahresumsatz, konntest Du Deine Zahlungen für bestimmte Dauerschuldverhältnisse erstmal verweigern. Vorausgesetzt natürlich, Corona hat Dich wirtschaftlich so getroffen, dass Du sonst Deinen Lebensunterhalt (oder den Deiner Familie) nicht mehr sichern konntest – oder bei Unternehmen die Existenz des Betriebs auf dem Spiel stand. Die Vorschrift galt ab dem 1. April 2020 und lief zunächst bis zum 30. Juni 2020. Eine Verlängerung bis September 2020 oder sogar 2022 war möglich, wurde aber nie umgesetzt.

Wichtig war auch, welche Verträge betroffen waren: Es musste sich um Dauerschuldverhältnisse handeln, die vor dem 8. März 2020 geschlossen wurden. Und es ging nur um „wesentliche“ Verträge – also solche, die für Deinen Alltag oder den Betrieb wirklich wichtig waren. Für Verbraucher zum Beispiel Energie-, Telekommunikations- oder Krankenversicherungsverträge. Für Kleinstunternehmen Verträge, die notwendig waren, um den Betrieb irgendwie am Laufen zu halten.

Aber auch hier galt: Ganz ohne Rücksicht auf den Vertragspartner ging es nicht. Wenn Deine Leistungsverweigerung dazu geführt hätte, dass der andere selbst in eine existenzielle Notlage gerät, war das Recht ausgeschlossen. Beispiel: Dein Stromanbieter hätte selbst pleitegehen können, wenn keiner mehr zahlt – dann wärst Du nicht aus der Nummer raus gewesen.

Rechtlich musstest Du das Leistungsverweigerungsrecht übrigens aktiv geltend machen – also als Einrede erheben. Wenn Du das getan hast, konnte der Gläubiger Dich zum Beispiel nicht in Verzug setzen oder Schadensersatz verlangen (§§ 281, 286, 288, 323 BGB). Und das Beste: In lebenswichtigen Bereichen wie Strom und Gas durfte Dir der Anbieter nicht einfach den Saft abdrehen.

Bei Miet- und Pachtverträgen lief das Ganze etwas anders. Art. 240 § 1 EGBGB galt hier nicht. Aber der Gesetzgeber hat gesagt: Wer zwischen dem 1. April und 30. Juni 2020 seine Miete oder Pacht nicht zahlen konnte, dem durfte der Vermieter oder Verpächter nicht einfach kündigen. Das war in Art. 240 § 2 EGBGB geregelt. Klar, irgendwann musste die Miete natürlich doch bezahlt werden. Und wenn die Corona-Pandemie eine Vertragspartei wirtschaftlich völlig aus der Bahn geworfen hat, blieb als letztes Mittel immer noch die Berufung auf die Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB.