Fahrlässiges Handeln ist nicht automatisch strafbar. Damit es Konsequenzen nach sich zieht, muss das Gesetz es ausdrücklich unter Strafe stellen – so sagt es § 15 StGB. Ein paar Beispiele dafür finden sich in den §§ 222, 229, 306d oder 316 Abs. 2 StGB. Interessanterweise bleibt fahrlässige Sachbeschädigung aber straflos, wie ein Blick in § 303 StGB zeigt.

Klingt logisch: Entweder handelt jemand vorsätzlich oder fahrlässig – beides gleichzeitig geht nicht. So sieht es zumindest die herrschende Meinung. Vorsatz ist also keine besonders krasse Form der Fahrlässigkeit. Wenn Du also zu dem Ergebnis kommst, dass jemand vorsätzlich gehandelt hat, musst Du nicht zusätzlich noch prüfen, ob er vielleicht auch fahrlässig war. Trotzdem gibt es eine Verbindung: Vorsatz und Fahrlässigkeit stehen in einem Stufenverhältnis. Der Vorsatz ist gewissermaßen die „höhere Stufe“ des Fehlverhaltens.

Wenn es um Versuch oder Teilnahme geht ist Vorsatz Pflicht. Bei Fahrlässigkeitsdelikten haben diese beiden Spielarten deshalb keinen Platz. Trotzdem kann es knifflig werden: Wer durch eine fahrlässige Handlung jemand anderem bei dessen ebenfalls fahrlässigem Fehltritt hilft, kann als sogenannter Nebentäter belangt werden.

Die fahrlässige Mittäterschaft ist ein echter Streitfall. In § 25 Abs. 2 StGB ist nur von „gemeinschaftlicher Begehung“ die Rede, ohne eine klare Einschränkung auf Vorsatztaten. Stell Dir folgende Situation vor: A und B wollen sich einen Spaß machen und beschließen, jeder einen großen Felsbrocken einen Hang hinunterzurollen. Sie wissen, dass sich am Fluss unten oft Menschen aufhalten. Einer der Steine trifft eine Person tödlich – aber es lässt sich nicht mehr feststellen, wessen Stein es war. Je nachdem, was A und B dachten oder wollten, ergeben sich verschiedene Varianten: In der ersten Variante vertrauen beide darauf, dass schon nichts passieren wird. Würden wir hier nur mit der Nebentäterschaft arbeiten, könnten sich A und B jeweils darauf berufen, dass es ja gerade nicht ihr Stein gewesen sein könnte – und nach dem Grundsatz in dubio pro reo wären sie freizusprechen. Hier spielt die fahrlässige Mittäterschaft ihre Stärke aus. Wenn wir nämlich nicht nur das einzelne Handeln betrachten, sondern die gemeinsame Absprache als pflichtwidriges Verhalten werten, dann haften beide für den tödlichen Ausgang. Denn A und B haben sich bewusst und gewollt auf ein gemeinsames, gefährliches Verhalten eingelassen, das in voraussehbarer Weise zu einem tödlichen Ergebnis geführt hat. Diese gemeinschaftliche Verantwortlichkeit rechtfertigt eine Verurteilung beider nach § 222 StGB in Verbindung mit § 25 Abs. 2 StGB.

Während der Vorsatztäter ganz bewusst bestimmte Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist der Fahrlässigkeitstäter eher der Typ „ups, das wollte ich nicht“. Sein Verhalten ist sorgfaltswidrig und führt in der Regel unbewusst zum Erfolg. Beide Deliktsarten – ob vorsätzlich oder fahrlässig – haben gemeinsam, dass sie einen bestimmten Erfolg voraussetzen, wie etwa die Verletzung oder Tötung eines Menschen. Der Unterschied liegt im Handlungsunwert, also darin, wie sehr man das Verhalten selbst als Vorwurf einordnet. Beim Vorsatz liegt der Fokus auf dem Willen zur Tatbestandsverwirklichung – das gehört deshalb zum subjektiven Tatbestand. Beim Fahrlässigkeitsdelikt liegt der Schwerpunkt hingegen auf der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung. Deshalb gibt es bei der Fahrlässigkeit keinen subjektiven Tatbestand. In der Prüfung wird die subjektive Fahrlässigkeit erst bei der Schuldfrage relevant – nicht schon bei der Tatbestandsmäßigkeit.

Die klassische Definition von Fahrlässigkeit lautet: Wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt – obwohl er dazu verpflichtet und fähig ist – handelt fahrlässig. Das kann auf zwei Weisen geschehen: Entweder erkennt der Täter die Möglichkeit des Erfolgs nicht (unbewusste Fahrlässigkeit), oder er hält den Erfolg für möglich, glaubt aber fest daran, dass schon nichts passieren wird (bewusste Fahrlässigkeit).

Die unbewusste Fahrlässigkeit ist der Klassiker. Bewusste Fahrlässigkeit wird vor allem dann spannend, wenn es um die Abgrenzung zum Eventualvorsatz geht. Für die Prüfung selbst spielt die Unterscheidung keine große Rolle – relevant wird sie erst bei der Strafzumessung.

Normalerweise reicht schon die einfachste Form von Fahrlässigkeit aus, um ein Fahrlässigkeitsdelikt zu verwirklichen. Es gibt aber Fälle, in denen das Gesetz eine gesteigerte Form verlangt: die Leichtfertigkeit. Diese entspricht im Wesentlichen grober Fahrlässigkeit. Damit ist gemeint, dass der Täter besonders sorgfaltswidrig handelt – zum Beispiel aus Gleichgültigkeit oder extremer Unachtsamkeit. Gleichzeitig muss der Erfolgseintritt so offensichtlich sein, dass er sich förmlich aufdrängt. Nur dann ist die Schwelle zur Leichtfertigkeit überschritten und das Gesetz greift härter durch.

Objektive Fahrlässigkeit

Objektive Sorgfaltspflichtverletzung

Wer sich im Alltag oder im Beruf nicht an die Spielregeln hält, kann schnell im Bereich der Fahrlässigkeit landen. Objektiv pflichtwidrig handelt nämlich derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Das klingt erst mal abstrakt, aber stell Dir einen „Normalmenschen“ vor, der in die Lage des Täters versetzt wird. Wie würde dieser gewissenhafte und besonnene Mensch in der gleichen Situation handeln? Genau an diesem Maßstab wird das Verhalten gemessen. Dabei kommt es auf die konkrete Lage und den jeweiligen Verkehrskreis an – also darauf, ob es sich beispielsweise um einen Autofahrer, Arzt oder Veranstalter handelt.

Die Regeln, die die Sorgfaltspflicht bestimmen, können dabei aus geschriebenen oder ungeschriebenen Vorschriften stammen. Geschriebene Regeln nennt man Sondernormen. Typische Beispiele dafür sind die Straßenverkehrsordnung (StVO), die FIS-Regeln für Skifahrer oder Unfallverhütungsvorschriften. Aber Vorsicht: Auch wenn eine Sondernorm verletzt wird, ist das nicht automatisch sorgfaltswidrig. Und umgekehrt: Wer sich an die Regeln hält, handelt nicht immer sorgfaltsgemäß. Ein Klassiker ist der Autofahrer, der bei Grün fährt, obwohl noch ein Fußgänger auf dem Zebrastreifen ist – erlaubt, aber eben nicht sorgfaltsgemäß.

Wenn es keine Sondernormen gibt, kommen ungeschriebene Sorgfaltsregeln ins Spiel. Das sind allgemeine Erfahrungswerte und die übliche Verkehrssitte. Ein Arzt muss sich an die Regeln der ärztlichen Kunst halten, ein Tierhalter dafür sorgen, dass sein Hund niemanden beißt, und ein vernünftiger Bergsteiger sollte das Wetter im Blick behalten. Diese ungeschriebenen Regeln machen den Kern der objektiven Sorgfaltspflicht aus.

Sonderwissen und Sonderkönnen

Interessant wird es, wenn jemand über besonderes Wissen oder besondere Fähigkeiten verfügt. Dann muss dieser höhere Standard auch eingehalten werden. Wer mehr weiß oder kann als der Durchschnitt, muss auch entsprechend handeln.

Wenn ein erfahrener Rennfahrer im normalen Straßenverkehr unterwegs ist, muss er seine besonderen Fahrkünste einsetzen, um Unfälle zu vermeiden. Gleiches gilt für einen Spitzenschwimmer, der in einer Notsituation nicht einfach nur durchschnittlich schnell schwimmen darf. Und ein besonders begabter Chirurg darf bei einer schwierigen Operation nicht auf Durchschnittsniveau operieren – er muss alles geben.

Vertrauensgrundsatz

Im Straßenverkehr und auch in anderen Lebensbereichen gibt es eine wichtige Entlastung: den Vertrauensgrundsatz. Wer sich selbst korrekt verhält, darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass auch andere sich an die Regeln halten. Das bedeutet, dass man sich nicht auf jedes mögliche Fehlverhalten anderer einstellen muss – außer es gibt konkrete Anzeichen dafür, dass jemand Mist bauen könnte. Das gilt übrigens nicht nur auf der Straße, sondern auch in komplexeren Arbeitsabläufen, wie zum Beispiel in Ärzteteams. Solange keine offensichtlichen Warnsignale auftauchen, darf man darauf vertrauen, dass alle ihre Aufgaben ordnungsgemäß erledigen.

Übernahmefahrlässigkeit

Ein besonderer Fall der Sorgfaltspflichtverletzung ist die sogenannte Übernahmefahrlässigkeit. Wer eine Aufgabe übernimmt, obwohl er dafür nicht qualifiziert ist, handelt fahrlässig – erst recht, wenn er trotz offensichtlicher Überforderung weitermacht.

Ein Arzt, der eine komplizierte Operation durchführt, obwohl er nicht ausreichend ausgebildet ist, begeht Übernahmefahrlässigkeit. Das Gleiche gilt, wenn er trotz besserer Alternativen an einer misslungenen Behandlung festhält, anstatt einen geeigneten Spezialisten hinzuzuziehen. Wer Verantwortung übernimmt, muss sich also vorher sicher sein, dass er den Anforderungen gewachsen ist. Andernfalls riskiert er, sich wegen fahrlässigen Handelns verantworten zu müssen.

Objektive Zurechnung

Objektive Voraussehbarkeit

Die objektive Voraussehbarkeit fragt danach, ob der eingetretene Erfolg nach allgemeiner Lebenserfahrung vorhersehbar war. Einfach gesagt: Wenn das, was passiert ist, nicht völlig aus dem Rahmen des Erwartbaren fällt, dann war es auch objektiv vorhersehbar.

Pflichtwidrigkeitszusammenhang

Jetzt wird es etwas kniffliger. Wenn jemand die Sorgfaltspflicht verletzt und dadurch einen Erfolg verursacht, dann bedeutet das nicht automatisch, dass er auch strafrechtlich dafür verantwortlich ist. Es reicht nämlich nicht aus, dass die Pflichtverletzung und der Erfolg einfach nebeneinanderstehen. Der Erfolg muss gerade auf der Pflichtverletzung beruhen – hier kommt der Pflichtwidrigkeitszusammenhang ins Spiel.

Stell Dir vor, ein Lkw-Fahrer überholt einen Radfahrer mit zu geringem Seitenabstand, der Radfahrer stürzt und kommt ums Leben. Wenn dieser Radfahrer jedoch so stark betrunken war, dass er auch bei korrektem Seitenabstand gestürzt wäre, dann fehlt es am Pflichtwidrigkeitszusammenhang. Warum? Weil der Unfall auch bei pflichtgemäßem Verhalten nicht zu verhindern gewesen wäre. Das bedeutet: Kein Zusammenhang, keine Strafbarkeit.

Wenn wir diesen Zusammenhang prüfen, schauen wir uns an, wie die Situation bei pflichtgemäßem Verhalten ausgesehen hätte. Dabei darf nichts hinzugefügt oder weggenommen werden – wir ersetzen nur die Pflichtverletzung durch das richtige Verhalten (hypothetisches pflichtgemäßes Alternativverhalten).

Ein weiteres Beispiel: Ein Autofahrer fährt mit abgefahrenen Reifen und erfasst bei einer Vollbremsung einen Fußgänger. Wenn feststeht, dass der Unfall auch mit neuen Reifen unvermeidbar gewesen wäre, fehlt der Pflichtwidrigkeitszusammenhang und der Autofahrer ist nicht strafbar.

Manchmal gibt es aber Unsicherheiten, ob ein korrektes Verhalten den Erfolg wirklich verhindert hätte. Hier gilt: Wenn es auch nur möglich ist, dass der Erfolg trotz pflichtgemäßen Verhaltens eingetreten wäre, muss das zugunsten des Täters angenommen werden – das nennt sich der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ (in dubio pro reo).

Es gibt allerdings auch eine Gegenmeinung: die sogenannte Risikoerhöhungstheorie. Nach dieser Auffassung reicht es aus, wenn das pflichtwidrige Verhalten das Risiko des Erfolgseintritts erhöht hat. Wenn jemand also durch seine Pflichtverletzung die Überlebenschancen eines anderen mindert, soll das für die Strafbarkeit genügen. Diese Theorie ist allerdings problematisch, weil sie die Grenzen der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit ausweitet und den Grundsatz in dubio pro reo untergräbt.

Bleiben wir bei unserem Lkw-Fahrer: Nach der Risikoerhöhungstheorie wäre er strafbar, weil sein zu geringer Seitenabstand das Risiko erhöht hat – auch wenn der Radfahrer wahrscheinlich so oder so gestürzt wäre. Nach der herrschenden Meinung, die den Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ achtet, wäre er dagegen nicht strafbar.

Schutzzweckzusammenhang

Ein weiterer wichtiger Punkt bei der objektiven Zurechnung ist der sogenannte Schutzzweckzusammenhang. Dabei geht es um die Frage, ob die verletzte Sorgfaltsnorm gerade dazu dient, den eingetretenen Erfolg zu verhindern. Wenn das nicht der Fall ist, fehlt die objektive Zurechnung.

Nehmen wir das Beispiel eines Autofahrers, der innerorts mit 80 km/h unterwegs ist. Ein Fußgänger läuft plötzlich auf die Straße, der Autofahrer bremst, kann den Zusammenstoß aber nicht verhindern. Wenn unklar bleibt, ob der Unfall auch bei erlaubten 50 km/h passiert wäre, fehlt der Pflichtwidrigkeitszusammenhang. Das gilt zumindest nach der herrschenden Meinung – die Risikoerhöhungstheorie sieht das anders.

Doch selbst wenn man argumentiert, dass der Autofahrer bei 50 km/h später an der Unfallstelle angekommen wäre, hilft das nicht weiter. Denn Geschwindigkeitsbegrenzungen sollen nicht den Zeitpunkt regeln, wann jemand einen bestimmten Ort erreicht, sondern die Verkehrssicherheit gewährleisten.

Anders sieht es aus, wenn die Geschwindigkeitsüberschreitung direkt den Unfall verursacht. Wenn ein Fahrer mit 65 km/h bei Grün eine Kreuzung überquert und mit einem Rotlichtsünder kollidiert, könnte man ihm vorwerfen, dass er den Unfall bei 50 km/h hätte vermeiden können. Hier erfüllt die Geschwindigkeitsbegrenzung ihren Zweck: Sie soll gerade solche Unfälle verhindern.

Noch komplizierter wird es bei Fällen, in denen jemand unter Alkoholeinfluss fährt. Wenn ein alkoholisierter Fahrer einen Unfall verursacht, könnte man meinen, er sei automatisch strafbar. Aber Vorsicht: Der Schutzzweck des Alkoholverbots im Straßenverkehr ist es, Gefahren durch verminderte Reaktionsfähigkeit zu verhindern – nicht aber, jeden denkbaren Unfall zu vermeiden. Wenn also feststeht, dass der Unfall auch für einen nüchternen Fahrer unvermeidbar gewesen wäre, fehlt der Schutzzweckzusammenhang.

Es zeigt sich also: Für eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung muss nicht nur die Pflichtverletzung den Erfolg verursacht haben – dieser Erfolg muss auch genau in den Schutzbereich der verletzten Norm fallen. Fehlt es daran, entfällt die objektive Zurechnung, und der Täter kann nicht bestraft werden.

Abgrenzung nach Verantwortungsbereichen

Die Abgrenzung der Verantwortungsbereiche ist bei der Frage der objektiven Zurechnung oft entscheidend. Besonders spannend wird es, wenn Opfer oder Dritte durch eigenes Verhalten den Kausalverlauf beeinflussen. Hierbei gibt es drei typische Konstellationen: die Selbstgefährdung oder Selbstschädigung des Opfers, die Retter- und Verfolgerfälle sowie das vorsätzliche Dazwischentreten Dritter.

Verantwortungsbereich des Opfers

Fangen wir bei der Selbstgefährdung des Opfers an. Wenn sich jemand aus eigenem, freien Willen in Gefahr bringt oder sich selbst schädigt, kann das den Zurechnungszusammenhang unterbrechen. Das bedeutet, dass der Täter nicht mehr für den Erfolg verantwortlich gemacht wird. Entscheidend ist dabei, ob das Opfer tatsächlich freiverantwortlich gehandelt hat oder ob äußere Umstände diesen Entschluss beeinflusst haben.

Ein Klassiker in diesem Bereich sind die sogenannten Retterfälle. Hier bringt der Täter das Opfer in eine Gefahrenlage – sei es durch eine Brandstiftung oder einen Verkehrsunfall – und ein Helfer wird bei der Rettungsaktion verletzt oder stirbt. Ob der Täter dafür haftet, hängt davon ab, ob das Verhalten des Retters als freie oder unfreie Selbstgefährdung gewertet wird. Wenn der Retter aus einer rechtlichen Verpflichtung heraus handelt – etwa weil er Polizist oder Feuerwehrmann ist – spricht vieles dafür, dass sein Verhalten „unfrei“ ist. Auch wenn jemand ohne gesetzliche Pflicht handelt, aber aufgrund einer besonderen Nähe zu einer gefährdeten Person eingreift, wird sein Verhalten oft als unfreie Selbstgefährdung betrachtet. Entscheidend ist letztlich, ob der Täter durch sein Verhalten ein einsichtiges Motiv zur Rettung geschaffen hat und der Retter nicht unvernünftig riskant gehandelt hat.

Ganz ähnlich funktionieren die weniger bekannten Verfolgerfälle. Hier nehmen Polizisten, Detektive oder auch mutige Passanten die Verfolgung eines Straftäters auf und verunglücken dabei – manchmal mit tödlichen Folgen. Die Frage, ob der Flüchtende dafür haftet, hängt davon ab, ob er durch sein pflichtwidriges Verhalten ein starkes Motiv für die Verfolgung geschaffen hat. Wenn die Gefahr typischerweise mit der Verfolgung zusammenhängt, kann ihm der Erfolg zugerechnet werden – es sei denn, der Verfolger hat sich völlig unvernünftig verhalten oder es realisiert sich nur ein allgemeines Lebensrisiko. Besondere Aufmerksamkeit verdienen hier Fälle, in denen der Flüchtende Verkehrsregeln verletzt oder die Beute nicht herausgibt, denn diese Handlungen können den Zurechnungszusammenhang verstärken.

Spannend wird es auch bei den sogenannten Fluchtfällen. Hier geht es um die Zurechnung von Flucht- und Ausweichreaktionen des Opfers. Wenn jemand aus berechtigter Angst vor einer Straftat einen gefährlichen Fluchtweg wählt und sich dabei verletzt oder stirbt, wird das dem Täter zugerechnet – zumindest dann, wenn das Opfer nicht grob fahrlässig gehandelt hat. Gerade im Straßenverkehr führt die Fahrlässigkeit von Unfallopfern oft zu Diskussionen. Ein grob fahrlässiges Verhalten des Opfers kann den Zurechnungszusammenhang durchbrechen, während einfache Fahrlässigkeit den Täter nicht entlastet.

Verantwortungsbereich Dritter

Jetzt zu den Dritten im Spiel: Was passiert, wenn jemand fahrlässig eine Situation schafft, die ein anderer vorsätzlich für seine Tat ausnutzt? Diese Frage stellt sich besonders bei der Abgrenzung zwischen einem „Ersttäter“ – der die Gefahr fahrlässig begründet – und einem „Zweittäter“, der dann vorsätzlich handelt. Hier gilt grundsätzlich: Fahrlässige Mitwirkung an einer vorsätzlichen Tat bleibt straflos, weil es im Strafgesetzbuch keine fahrlässige Teilnahme gibt. Trotzdem kann der Ersttäter haften, wenn sein fahrlässiges Verhalten objektiv vorhersehbar zur Vorsatztat geführt hat und die verletzte Sorgfaltsnorm gerade solche Taten verhindern soll.

Ein berühmter Fall hierzu ist der sogenannte Jäger-Fall. Der Jäger hängt in einer Kneipe sein geladenes Gewehr an die Garderobe. Ein anderer nimmt es und erschießt damit jemanden. Hier bejaht die herrschende Meinung die Strafbarkeit des Jägers wegen fahrlässiger Tötung. Warum? Weil Sicherheitsvorschriften gerade dazu dienen, vorsätzliche Missbräuche zu verhindern. Außerdem ist der Jäger als Überwachungsgarant verpflichtet, seine Waffe so zu sichern, dass niemand Schaden nimmt – egal, ob der Schaden vorsätzlich oder fahrlässig verursacht wird.

Die Grenze der Zurechnung zeigt sich besonders deutlich in Fällen wie dem „Geliebte-Fall“ oder dem „Rocker-Fall“. Im Geliebte-Fall überlässt eine Frau ihrem Liebhaber Gift, mit dem dieser später seine Ehefrau tötet. Obwohl sie keine direkte Beteiligungsabsicht hatte, bejahte die Rechtsprechung ihre Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung. Anders im Rocker-Fall: Hier äußert ein Rockerchef, ein Mitglied der Gruppe müsse für eine Beleidigung bestraft werden, woraufhin ein anderer Mitglied den Beleidiger verprügelt. Da der Chef keine erkennbare Tatgeneigtheit des Täters gefördert hatte, bleibt er straffrei.

Diese Fälle zeigen: Der Vertrauensgrundsatz – also die Erwartung, dass andere keine Straftaten begehen – schützt grundsätzlich den fahrlässig handelnden Ersttäter. Aber wenn er die Tatgeneigtheit eines anderen fördert, entfällt dieser Schutz. Wer also erkennt, dass sein Verhalten jemand anderen zu einer Straftat motivieren könnte, muss mit strafrechtlicher Verantwortung rechnen.

Rechtswidrigkeit

Rechtfertigungssituationen

Auch bei Fahrlässigkeitsdelikten kann es Gründe geben, die eine Tat rechtfertigen. Dazu gehören unter anderem die Notwehr nach § 32 StGB, der rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB oder eine wirksame Einwilligung. Entscheidend ist dabei, ob der Täter die Tat auch vorsätzlich hätte begehen dürfen. Wenn das der Fall ist, kann eine Rechtfertigung greifen.

Nehmen wir an, jemand wird von einem Angreifer massiv bedroht. Trotz zweier Warnschüsse lässt sich der Angreifer nicht abschrecken. Als das Opfer einen dritten Warnschuss abgibt, trifft dieser ungewollt das Bein des Angreifers. Obwohl der Schuss ohne Körperverletzungsvorsatz abgegeben wurde, könnte hier § 229 StGB (fahrlässige Körperverletzung) einschlägig sein. Die entscheidende Frage ist, ob das Opfer sorgfaltswidrig gehandelt hat. Ein besonnener Mensch würde schließlich keine Schüsse in der Nähe anderer Personen abgeben. Damit wäre das Risiko grundsätzlich unerlaubt. Trotzdem ist die Handlung durch Notwehr nach § 32 StGB gerechtfertigt, weil das Opfer den Angreifer auch vorsätzlich hätte verletzen dürfen.

Besonders heikel wird es, wenn eine Verteidigungshandlung unbeabsichtigte Folgen hat. Wenn jemand beispielsweise bei einem Angriff einen Schlag auf den Kopf ausführt und der Angreifer dabei tödlich verletzt wird, bleibt die Notwehr grundsätzlich eine mögliche Rechtfertigung.

Auch beim rechtfertigenden Notstand gibt es spannende Fälle. Denkbar ist etwa eine Trunkenheitsfahrt nach § 316 Abs. 2 StGB, bei der die Fahrt aus einer Notlage heraus erfolgt. Wenn jemand bei einem Ausweichmanöver, um sich selbst aus Lebensgefahr zu retten, ungewollt einen Unbeteiligten verletzt, könnte § 34 StGB greifen.

Eine weitere wichtige Rolle spielt die Einwilligung, insbesondere bei fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung nach den §§ 229, 222 StGB. Dabei kommt es oft darauf an, ob jemand bewusst ein Risiko eingeht oder nur an einer Selbstgefährdung teilnimmt. Diese Unterscheidung ist entscheidend, um zu klären, ob eine wirksame Einwilligung vorliegt.

Subjektives Rechtfertigungselement

Ob bei Fahrlässigkeitsdelikten auch das subjektive Rechtfertigungselement erforderlich ist, sorgt für Diskussionen. Die herrschende Meinung sagt: Ja, das ist nötig. Das passt auch zur Systematik der Rechtfertigungsgründe und wird in manchen Fällen sogar ausdrücklich vom Gesetz verlangt. Während es bei vorsätzlichen Taten auf die Rechtfertigungsabsicht ankommt, genügt bei Fahrlässigkeit die Kenntnis der rechtfertigenden Umstände.

Und was passiert, wenn jemand objektiv gerechtfertigt handelt, aber diese Rechtfertigung gar nicht erkennt? Auch hier bleibt die Diskussion spannend. Der objektive Erfolgsunwert – also die Verletzung oder der Tod – wird durch die Rechtfertigung ausgeglichen. Es bleibt nur der Handlungsunwert übrig, also die sorgfaltswidrige Handlung. Dieser allein reicht aber nicht für eine Strafbarkeit aus. Deshalb scheidet bei fahrlässigen Delikten in solchen Fällen eine Bestrafung aus.

Ein Beispiel: Stell Dir vor, T sitzt in einem Biergarten am Bodensee und genießt sein Getränk. Als sein alter Rivale R vorbeikommt, wirft T spontan den Bierkrug nach ihm, um ihn zu verletzen. T trifft aber nicht R, sondern den Taschendieb D, der gerade dabei war, einem Touristen die Geldbörse zu klauen. Durch den Treffer wird D gestoppt. Was bedeutet das für T? Gegenüber R bleibt es beim Versuch einer gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 22 StGB. Hinsichtlich D ist T zwar sorgfaltswidrig, aber objektiv gerechtfertigt durch Nothilfe nach § 32 StGB. Der tatbestandliche Erfolgsunwert wird dadurch aufgehoben, und der verbleibende Handlungsunwert allein begründet keine Strafbarkeit. Und der zerschmetterte Bierkrug? Auch hier könnte eine Rechtfertigung greifen – nämlich § 904 BGB, der in Notlagen eine Einwirkung auf fremdes Eigentum erlaubt. Weil T jedoch vorsätzlich handelte, kommt hier eine Versuchsstrafbarkeit gemäß §§ 303, 22 StGB in Betracht.

Subjektive Fahrlässigkeit

Es reicht nicht aus, nur objektiv zu prüfen, ob eine Sorgfaltspflicht verletzt wurde. Es kommt auch darauf an, was Du persönlich hättest erkennen und vermeiden können. Dabei spielen Deine individuellen Fähigkeiten und Kenntnisse eine entscheidende Rolle – und genau hier setzt die subjektive Fahrlässigkeit an.

Manche Menschen können bestimmte Gefahren schlechter erkennen als andere. Wer sich nicht erinnert, kann sich nicht wappnen, und wer wenig Erfahrung hat, übersieht vielleicht leicht Risiken. Deshalb können Faktoren wie Intelligenzmängel, Gedächtnisschwächen, Wissenslücken, mangelnde Erfahrung oder auch Altersabbau dazu führen, dass Dir subjektiv kein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden kann. Auch plötzliche Schockmomente oder Verwirrung können eine Rolle spielen – niemand reagiert unter Stress wie eine Maschine.

Subjektive Sorgfaltspflichtverletzung

Die subjektive Seite der Fahrlässigkeit verlangt, dass Du die Sorgfaltspflicht tatsächlich hättest einhalten können. Dabei zählt nicht, was ein idealer Durchschnittsmensch gewusst hätte, sondern was Du aufgrund Deiner Kenntnisse und Fähigkeiten erkennen und vermeiden konntest.

Wenn Du also aufgrund mangelnder Erfahrung oder fehlendem Wissen nicht in der Lage warst, die Gefahr zu erkennen, entfällt der Fahrlässigkeitsvorwurf.

Subjektive Voraussehbarkeit

Neben der Frage, ob Du die Sorgfaltspflicht hättest einhalten können, geht es auch darum, ob Du den Kausalverlauf in seinen wesentlichen Zügen vorhersehen konntest. Hier kommt es nicht auf theoretisches Wissen an, sondern darauf, was Dir in Deiner konkreten Situation vorhersehbar war.

Interessant ist, dass die Kriterien, die beim Verbotsirrtum zur Vermeidbarkeit geprüft werden, auch hier greifen: War die Gefahr für Dich erkennbar, oder wurdest Du von den Ereignissen überrascht?

Nehmen wir ein Beispiel: Dass die Einnahme von 0,5 bis 1 Gramm Kochsalz pro Kilogramm Körpergewicht tödlich sein kann, ist ohne medizinische Fachkenntnisse nicht vorhersehbar – da kann Dir niemand einen Fahrlässigkeitsvorwurf machen.

Oder stell Dir die Krankenschwester S vor, die frisch aus der Ausbildung kommt und ihren ersten Nachtdienst hat. Ein Alarmsignal deutet sie falsch – ein Patient stirbt. Objektiv betrachtet hat S gegen die Sorgfaltspflicht verstoßen, denn eine erfahrene Krankenschwester hätte anders gehandelt. Doch subjektiv fehlt es am Fahrlässigkeitsvorwurf, weil S die Gefahr aufgrund mangelnder Erfahrung nicht erkennen konnte. Allerdings könnte ihr zur Last gelegt werden, keine Hilfe geholt zu haben – Fahrlässigkeit kann also auch früher ansetzen, etwa wenn jemand eine Aufgabe übernimmt, der er offensichtlich nicht gewachsen ist.

Entschuldigungsgründe

Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens

Es gibt Situationen, in denen Dir einfach nicht zugemutet werden kann, die Sorgfaltspflichten einzuhalten – und genau das ist bei der Fahrlässigkeit als Entschuldigungsgrund anerkannt. Diese Fälle sind zwar selten, aber wenn Du in einer extremen Konfliktsituation steckst, kann dieser Grund Dich entschuldigen.

Besonders relevant ist das bei Arbeitnehmern, die aus Angst um ihren Job gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen. Denk an einen LKW-Fahrer, der die vorgeschriebenen Ruhezeiten nicht einhält, weil sein Chef Druck macht. Oder an einen Angestellten, der Unfallverhütungsvorschriften missachtet, um nicht gekündigt zu werden. Wenn die Erfüllung der Sorgfaltspflicht eine unzumutbare Aufopferung Deiner eigenen Interessen bedeuten würde, kann das strafbefreiend wirken – schließlich bist Du kein Held in einem Actionfilm, der seine Existenz aufs Spiel setzt, um alle Regeln einzuhalten.