Wenn ein Täter mehrere Strafgesetze auf einmal verletzt, stellt sich die Frage, wie diese Taten rechtlich zueinander stehen. Eine einfache Addition der Einzelstrafen wäre oft zu hart und würde die Schuld des Täters übersteigen. Daher regelt das Gesetz, wann Taten zusammengefasst werden und wann jede für sich zählt. Genau darum geht es bei den Konkurrenzen.
Handlungseinheit und Handlungsmehrheit
Der Ausgangspunkt für die Bewertung ist die Handlung selbst. Ob mehrere Verstöße als eine oder mehrere Taten behandelt werden, hängt davon ab, ob eine Handlungseinheit oder eine Handlungsmehrheit vorliegt.
Handlungseinheit
Von einer Handlungseinheit spricht man, wenn mehrere Gesetzesverstöße auf ein und derselben Handlung beruhen. Das führt zur Tateinheit nach § 52 Abs. 1 StGB. Aber wann beruhen mehrere Gesetzesverstöße eigentlich auf einer Handlung?
Eine Handlung im natürlichen Sinn liegt vor, wenn ein Entschluss zu einer Willensbetätigung führt. Dann liegt eine Handlung vor – egal, wie viele Straftatbestände dabei erfüllt werden. Die natürliche Handlungseinheit greift, wenn mehrere gleichartige Verhaltensweisen auf einem einheitlichen Willen beruhen und so eng zusammenhängen, dass sie objektiv als ein einziges Geschehen erscheinen. Wenn ein Täter beispielsweise bei einer Flucht sowohl einen Polizisten verletzt als auch einen Unfall verursacht, kann das als einheitliche Handlung gewertet werden – es sei denn, es sind höchstpersönliche Rechtsgüter wie Leib und Leben betroffen. Hier ist die Rechtsprechung strenger.
Und es gibt noch eine Möglichkeit:
Etwas komplizierter wird es bei der Handlung im juristischen Sinn. Hier fasst die Rechtsprechung mehrere einzelne Handlungen zu einer zusammen, wenn sie eng miteinander verbunden sind.
Das ist besonders bei folgenden Konstellationen der Fall:
- Dauerdelikte: Wenn ein Täter einen rechtswidrigen Zustand schafft und aufrechterhält. Wer jemanden einsperrt und dafür sorgt, dass er nicht entkommt, begeht nur eine Tat.
- Mehraktige Delikte: Manche Straftatbestände bestehen aus mehreren Einzelhandlungen, wie bei der Geldfälschung – das Nachmachen, Verfälschen und anschließende Inverkehrbringen bilden eine Einheit.
- Unechte Unterlassungsdelikte: Mehrere versäumte Rettungsmaßnahmen zählen als eine Tat, solange sie denselben Erfolg betreffen.
- Verklammerung: Wenn ein Täter mehrere gleichartige Handlungen aufgrund eines einheitlichen Plans unmittelbar hintereinander ausführt, werden sie zu einer Handlung zusammengefasst. Wer jemanden mehrfach schlägt, um ihn zu töten, begeht nur eine Tat.
Handlungsmehrheit
Liegen mehrere selbstständige Handlungen vor, spricht man von Handlungsmehrheit. Jede Tat wird separat behandelt, was zur Tatmehrheit nach §§ 53-55 StGB führt.
Tateinheit und Tatmehrheit
Für die Strafhöhe macht es einen großen Unterschied, ob Tateinheit oder Tatmehrheit vorliegt. Bei der Idealkonkurrenz (Tateinheit) wird nur nach dem schwersten Delikt bestraft. Wer also mit einem Messer einen Menschen verletzt und dabei dessen Kleidung beschädigt, begeht sowohl eine gefährliche Körperverletzung als auch eine Sachbeschädigung – aber bestraft wird nur nach dem schwereren Delikt.
Bei der Realkonkurrenz (Tatmehrheit) hingegen wird eine Gesamtstrafe gebildet, wenn mehrere unabhängige Handlungen vorliegen. Hier addiert das Gericht die Einzelstrafen aber nicht einfach, sondern erhöht die schwerste Strafe maßvoll. Nur wenn eines der Delikte eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsieht, bleibt es dabei.
Gesetzeskonkurrenzen
Neben den echten Konkurrenzen gibt es die unechten Konkurrenzen bei denen das Gesetz selbst regelt, welches Delikt vorrangig ist. Dabei unterscheidet man zwischen Spezialität, Subsidiarität und Konsumtion.
- Spezialität: Wenn ein Tatbestand alle Merkmale eines anderen und zusätzliche Merkmale enthält, verdrängt der speziellere den allgemeineren. Wer eine gefährliche Körperverletzung begeht, wird nur nach § 224 StGB bestraft – § 223 StGB tritt zurück.
- Subsidiarität: Bestimmte Delikte greifen nur, wenn kein anderes einschlägig ist. So tritt die Anstiftung hinter die Mittäterschaft zurück.
- Konsumtion: Manche Delikte beinhalten typischerweise andere. Wer etwa eine Urkunde zerstört, begeht oft auch eine Sachbeschädigung. Weil die Sachbeschädigung hier bloßes Beiwerk ist, fällt sie unter den Tisch – zumindest meistens. Der BGH sieht das inzwischen in vielen Fällen kritisch, insbesondere bei Einbruchdiebstählen.
Mitbestrafte Vor- und Nachtaten
Manchmal sind frühere oder spätere Handlungen bereits im Unrechtsgehalt einer Haupttat enthalten. Wer beispielsweise in ein Haus einbricht und dort Sachen klaut, wird für den Diebstahl bestraft – der Einbruch selbst ist dann eine mitbestrafte Vortat.
Konkurrenzfragen bei tatsächlichen Zweifeln
Das Gericht darf nur verurteilen, wenn es von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist. Wenn nach der Beweisaufnahme Zweifel bleiben, greift der Grundsatz „in dubio pro reo“ – im Zweifel für den Angeklagten. Dieser Grundsatz ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 EMRK und Art. 103 Abs. 2 GG.
Stufenverhältnisse
Unklarheiten führen oft zu sogenannten Stufenverhältnissen: Wenn das Gericht nicht sicher weiß, ob ein Täter ein Grunddelikt oder eine Qualifikation begangen hat, darf nur das Grunddelikt zugrunde gelegt werden. Bei Körperverletzung mit unklarem Tatmittel bleibt es also bei § 223 StGB, solange der Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs nicht sicher nachgewiesen ist.
Wahlfeststellung
Eine besondere Herausforderung ist die Wahlfeststellung. Wenn mehrere Sachverhaltsalternativen möglich sind, die jeweils strafbar wären, aber nicht beide zugleich festgestellt werden können, erlaubt die Rechtsprechung unter engen Voraussetzungen eine Verurteilung. Dabei gibt es zwei Varianten:
- Gleichartige Wahlfeststellung: Hier bleibt offen, wie genau der Täter ein bestimmtes Delikt begangen hat – etwa, ob er durch Gift oder ein Messer getötet hat.
- Ungleichartige Wahlfeststellung: Hier kommen verschiedene Delikte in Betracht, die aber nicht in einem Stufenverhältnis stehen – wie etwa Diebstahl oder Unterschlagung. Eine Verurteilung ist hier nur unter strengen Voraussetzungen möglich, die Tatbestände müssen nämlich rechtsethisch und psychologisch vergleichbar sein.
Postpendenz und Präpendenz
Manchmal ist nicht jede Kleinigkeit eines Geschehens hundertprozentig klar – und genau hier kommen Postpendenz und Präpendenz ins Spiel.
Bei der Postpendenz ist die spätere Tat sicher festgestellt, es bleibt aber unklar, ob der Täter schon an einer vorhergehenden Straftat beteiligt war. Stell Dir vor, jemand wird mit geklauter Ware erwischt. Klar ist, dass er die Hehlerei begangen hat. Ob er aber selbst beim ursprünglichen Diebstahl dabei war, ist fraglich. In solchen Fällen wird der Täter für das sicher nachgewiesene Nachtatverhalten – hier die Hehlerei – bestraft.
Die Präpendenz beschreibt die umgekehrte Situation: Hier steht fest, dass eine frühere Tat begangen wurde, während unklar bleibt, ob später noch ein weiteres Delikt hinzukam. Wenn also jemand sicher beim Diebstahl erwischt wurde, aber unklar ist, ob er die Beute später weiterverkauft hat, bleibt es bei der Bestrafung für den feststehenden Diebstahl. Das ist weniger problematisch, weil die Vortat bereits eindeutig belegt ist.