Schau dir den Tatbestandsirrtum mal genauer an, denn der hat es in sich. In § 16 Abs. 1 S. 1 StGB wird er direkt geregelt, und genau hier wird’s spannend. Der Tatbestandsirrtum schließt vorsätzliches Handeln aus. Das heißt: Der Täter weiß in dem Moment, in dem er handelt, nicht, dass er einen Tatbestand verwirklicht. Und das bedeutet, wir müssen in der Prüfung tief in den subjektiven Tatbestand eintauchen – da, wo der Täter im Inneren wirklich weiß, was er tut oder eben nicht weiß, was er tut. Wenn ein Tatbestandsirrtum vorliegt, kommt es zu einer tollen, für den Täter günstigen Rechtsfolge: Er wird nicht für ein vorsätzlich begangenes Delikt bestraft. Aber – und das ist der Haken – das heißt nicht, dass der Täter aufatmen kann. Die Strafbarkeit wegen fahrlässigem Handeln bleibt natürlich bestehen (§ 16 Abs. 1 S. 2 StGB).

Tatsachenirrtum

Ein Irrtum ist per Definition erstmal eine falsche Vorstellung, die der Täter von den Tatumständen hat. Im Fall des Tatbestandsirrtums bezieht sich dieser Irrtum auf einen Umstand, der objektiv zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Umgekehrt heißt das: Ein Irrtum ist nicht gegeben, wenn der Täter tatsächlich alle für den Tatbestand relevanten Tatsachen kennt.

Zum Beispiel: Stell Dir vor, jemand stößt einen erwachsenen Nichtschwimmer in ein tiefes, kaltes Gewässer, weil er glaubt, das Wasser sei nur 1,5 Meter tief. In Wahrheit ist das Gewässer viel tiefer. Der Täter hat zwar nicht den Vorsatz, jemanden lebensgefährlich zu behandeln, nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB aber trotzdem ein Problem, weil er den Fehler macht, das Gewässer als ungefährlich einzustufen.

Das kann auch bei der Sachbeschädigung passieren. Ein Beispiel: Ein Täter schlägt auf eine Schaufensterpuppe ein, weil er glaubt, es sei eine freche Person, die ihm unrecht tut. Der Kopf der Puppe bricht ab, und aus objektiver Sicht erfüllt der Täter § 303 Abs. 1 StGB – er hat eine „Sache“ beschädigt. Aber – und hier kommt’s – der Täter erkennt nicht, dass es sich um eine Puppe handelt. Weil er das Tatbestandsmerkmal „Sache“ nicht erkennt, geht der Vorsatz nicht dahin, eine „Sache“ zu beschädigen. Insofern ist hier nicht die Sachbeschädigung erfüllt und die etwaige fahrlässige Sachbeschädigung ist nicht strafbar (§ 15 StGB).

Ein anderes Beispiel wäre: Wenn er jedoch glaubt, es mit einer echten Person zu tun zu haben, dann ist das eine Fehlvorstellung, die zum umgekehrten Tatbestandsirrtum führt – er geht davon aus, dass er jemanden verletzt, was zur Versuchsstrafbarkeit führen würde (§§ 223, 22 StGB).

Und es wird noch kurioser, wenn wir uns den Fall eines Fischers anschauen, der einen Taucher für einen Fisch hält und ihn mit einer Harpune tötet. In so einem Fall liegt ein Tatbestandsirrtum vor, was aber natürlich zu einer fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB führen kann, wenn der Fischer sorgfaltswidrig gehandelt hat.

Subsumtionsirrtum

Beim Subsumtionsirrtum wird’s richtig spannend. Denn der Täter muss nicht zwingend den Sachverhalt exakt den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen zuordnen – das ist viel zu kompliziert und würde dazu führen, dass nur Juristen vorsätzlich handeln könnten. Stattdessen reicht es, wenn der Täter die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals versteht, also wenn er es im groben Sinne korrekt erfasst. Diese „Bedeutungskenntnis“ ist entscheidend, und zwar die Kenntnis aus der Sicht eines Laien (Parallelwertung in der Laiensphäre). Was bedeutet das? Der Täter muss wissen, was er tut – also erkennen, was der Tatbestand für die soziale und rechtliche Bedeutung hat. Ein Beispiel: In einer Kneipe wird der Biergenuss mit Strichen auf dem Bierdeckel vermerkt, um die Abrechnung zu ermöglichen. A denkt, das sei nichts weiter als eine private Notiz, und stellt sich nicht vor, dass es sich dabei um eine Urkunde handelt. Hier unterliegt er einem Subsumtionsirrtum, aber der Vorsatz bleibt unberührt – da von der Bedeutungskenntnis auszugehen ist.

Jetzt wird es aber auch rechtlich tricky: Ein Täter kann die Tatsachen korrekt erfassen, aber eine falsche rechtliche Bewertung vornehmen. So etwas passiert häufig, wenn der Täter nicht den rechtlichen Sinn eines Tatumstands erkennt. Ganz praktisch wird das oft im „außerstrafrechtlichen“ Bereich, also zum Beispiel im Zivilrecht. Ein klassisches Beispiel: Der Vorsatz hinsichtlich §§ 242, 246 StGB entfällt, wenn ein rechtlicher Irrtum dazu führt, dass etwa ein Käufer im Falle des Eigentumsvorbehalts gem. § 449 BGB seinen Besitz mit dem Eigentum gleichsetzt. Im strafrechtlichen Bereich kann ein ähnlicher Fehler den Vorsatz beeinflussen. So zum Beispiel bei Anschlussstraftaten gemäß §§ 257 ff. StGB, wenn ein Täter glaubt, dass der Vortäter keine Straftat begangen hat, obwohl das Verhalten objektiv eine Straftat war. In diesem Fall ist der Vorsatz nicht erfüllt, weil er den rechtlichen Sinn des Tatumstands nicht korrekt erfasst hat.

Irrtum über den Kausalverlauf

Schau Dir mal den Kausalverlauf genauer an, denn er ist ein ziemlich spannendes Ding im Strafrecht. Er stellt ein ungeschriebenes, aber unheimlich wichtiges objektives Tatbestandsmerkmal dar. Stell Dir vor, der Täter hat ein ganz klares Bild von der Tat im Kopf und weiß genau, was er will – aber der Kausalverlauf, also die Abfolge von Ereignissen, die schließlich zu einem Erfolg führen, läuft ein wenig anders ab, als er sich das vorgestellt hat. In so einem Fall kann ein Tatbestandsirrtum gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB vorliegen. Was das heißt? Ganz einfach: Der tatsächliche Kausalverlauf weicht vom vorgestellten ab. Aber keine Panik – nicht jede Abweichung führt gleich dazu, dass der Vorsatz entfällt. Abweichungen zwischen dem realen und dem gedachten Ablauf müssen nämlich in zwei Kategorien unterteilt werden: Die unwesentlichen und die wesentlichen. Unwesentliche Abweichungen ändern nichts an der Gesamtbewertung der Tat, während wesentliche Abweichungen den Vorsatz schon fraglich machen können.

Du kannst Dir das so vorstellen: Wenn A den B mit einem Schuss ins Herz töten will und die Kugel stattdessen den Kopf trifft und dadurch ebenfalls zum Tod führt, dann wäre das eine unwesentliche Abweichung. Der Vorsatz bleibt hier bestehen, weil die Wirkung des Schusses immer noch den Tod des Opfers zur Folge hatte. So eine Abweichung ist für den Täter also nicht wirklich von Bedeutung.

Aber was, wenn der Kausalverlauf stark von dem abweicht, was der Täter sich vorgestellt hat? In solchen Fällen wird’s knifflig, und die objektive Zurechnung zur Tat kann trotzdem noch gegeben sein, auch wenn der Vorsatz nicht immer eindeutig festzustellen ist. Ein Beispiel aus der Praxis: A und B verfolgen C, um ihn körperlich zu misshandeln, was zu einer fiesen Panikreaktion bei C führt. In seiner Todesangst tritt C gegen eine Glasscheibe und verletzt sich dabei tödlich. A und B sind für den Tod von C objektiv verantwortlich – das ist klar. Aber was ist mit dem Vorsatz? Der BGH sagt, dass hier eine wesentliche Abweichung zwischen dem vorgestellten Kausalverlauf (Schläge auf C) und dem tatsächlichen (die Panikreaktion von C) vorliegt, was den Vorsatz unklar macht. Allerdings lässt sich auch hören, dass sich das riskante Fluchtverhalten des C, ausgelöst durch seine Notstandssituation entsprechend § 35 Abs. 1 S. 1 StGB, im Rahmen der Lebenserfahrung bewegt.

Und das führt uns zu einem weiteren wichtigen Punkt: Die Diskussion über die „subjektive Zurechnung„. In solchen Fällen, wo der Kausalverlauf anders verläuft, als der Täter es erwartet hat, wird häufig versucht, die subjektive Zurechnung enger zu fassen als die objektive Zurechnung. Die objektive Zurechnung sieht die Folgen der Handlung des Täters – der Tod von C – als logisch und vorhersehbar an. Aber die subjektive Zurechnung stellt sich die Frage, ob der Täter wirklich vorhatte, genau diesen Erfolg herbeizuführen. Das bedeutet, dass sich Vorsatz und objektive Zurechnung in bestimmten Fällen trennen können, vor allem dann, wenn der Erfolg auf eine „ganz andere Weise“ eintritt, als der Täter sich das vorgestellt hat.

Ein weiteres Beispiel als Beteiligungsfrage: A animiert B, C mit einem Schlagring zu verletzen. Doch B sticht mit einem Messer auf C ein. Hier stellt sich die Frage: Gilt das als „Abweichung“ vom ursprünglichen Plan? Und wenn ja, wie bewerten wir diese Abweichung? Handelt es sich um eine unwesentliche Veränderung des Kausalverlaufs, die den Vorsatz von A nicht beeinflusst? Oder ist es eine wesentliche Abweichung, die zu einer ganz neuen Bewertung der Tat führt? Der BGH würde hier wohl sagen, dass die Verwendung des Messers als ein wenig stärkeres Mittel immer noch eine unwesentliche Abweichung darstellt – und so würde der Vorsatz von A, der B zu einer Körperverletzung anstiften wollte, als weiterhin gegeben angesehen werden. Aber auch hier gibt es Spielraum für unterschiedliche Bewertungen.

Error in persona

Beim error in persona vel obiecto, also dem Irrtum über die Person oder das Objekt, handelt es sich um einen ganz typischen Fall, bei dem der Täter sich über die Identität des Ziels täuscht. Der Fehler betrifft hier konkret die Vorstellung des Täters, über wen oder was er gerade seine Handlung ausführt. Ein Klassiker ist der Fall, in dem A den B erschießen will, aber in der Dunkelheit C für B hält und diesen versehentlich trifft. Ganz wichtig: Solange A mit seinem Handeln das gesetzlich vorgesehene Tatbestandsmerkmal wie „Mensch“ oder „fremde Sache“ trifft, bleibt der Vorsatz in seiner Absicht unbeachtlich. Das heißt, der Irrtum über die konkrete Identität ändert nichts daran, dass A eigentlich vorhatte, eine bestimmte Person zu schädigen – die Person als solches, nicht der Name oder das Gesicht. Der Vorsatz richtet sich auf das, was er in diesem Moment vor sich hat und nicht auf ein spezielles Individuum oder Objekt.

Aberratio ictus

Stell Dir vor, der Täter hat ein klares Ziel vor Augen: Er möchte B umbringen. Er schießt auf B, aber was passiert? Der Schuss geht vorbei und trifft zufällig C, der sich zufällig an der gleichen Stelle aufhält. C stirbt. Was nun? War das eine Tötung im Sinne von § 212 StGB, oder gibt es hier eine spezielle Problematik, die es zu lösen gilt? Das Phänomen dieser „fehlgeschlagenen“ Angriffe wird als aberratio ictus bezeichnet, was im Wesentlichen bedeutet: Der Täter zielt auf das eine Opfer, trifft aber ein anderes. Und genau das passiert hier: A hatte B im Visier, doch C wird getroffen. Der Angriff zielt also auf eine konkrete Person – doch es war eben die falsche. In einem solchen Fall geht es um die Frage, wie die Strafbarkeit zu bewerten ist. Gibt es einen strukturellen Unterschied zwischen einem fehlgehenden Angriff und einem Fehler, bei dem die Person des Täters eine Rolle spielt?

Die Gleichwertigkeitstheorie hat in diesem Zusammenhang eine klare Position: Es wird angenommen, dass der Täter mit dem gleichen Vorsatz auf einen Menschen geschossen hat, unabhängig davon, ob es B oder C war. Es geht um die Gattung „Mensch“, nicht um die Einzelperson. Der Täter hatte nur das Ziel, „einen Menschen“ zu töten, und wer dieser Mensch dann genau ist, ist unerheblich – Hauptsache, der Erfolg tritt ein. Klingt erstmal plausibel, oder?

Die Kritiker dieser Theorie, die die Konkretisierungstheorie vertreten, sehen das anders. Der Vorsatz des Täters bezieht sich nicht nur auf das bloße „Ziel“, jemanden zu töten, sondern auf eine ganz konkrete Person. Wird diese Person nicht getroffen, sondern eine andere, so liegt kein Tötungsvorsatz bezüglich der Person C vor. Der Vorsatz war dann auf die konkrete Person B konkretisiert, und deshalb kann A nicht für die Tötung von C bestraft werden. Stattdessen bleibt es bei einem versuchten Mord an B – der Erfolg (C wird getötet) ist dann das Ergebnis eines Fahrlässigkeitsdelikts. Und dann gibt es noch die spannende Frage, wie man den Fall mit einem Notwehrszenario kombiniert. Was passiert, wenn A in Notwehr handelt, weil B ihn angreift, aber der Schuss geht vorbei und trifft C? Nach der Gleichwertigkeitstheorie müsste man sagen, dass A wegen vollendeter Tötung von C bestraft wird – schließlich wurde ein Mensch getötet, was A auch beabsichtigt hat. Aber die Konkretisierungstheorie kommt zu einem anderen Schluss: A hatte den Vorsatz für B, nicht für C, und deshalb kann er nicht für die Tötung von C bestraft werden. Er handelt hier in Notwehr, was für B gerechtfertigt ist. Bei C kommt es allenfalls zu einer fahrlässigen Tötung. Die Konkretisierungstheorie, die auf eine präzise Vorstellung des Ziels setzt, ist nach Ansicht vieler die überzeugendere Lösung. Denn der Vorsatz bezieht sich immer auf eine konkrete Wirklichkeit – ein bloßer Gedanke, „irgendeinen Menschen“ zu töten, ist zu vage. Die konkreten Umstände sind entscheidend, und das bedeutet, dass der Täter die Verantwortung für sein Verhalten trägt, wenn er nicht das gewünschte Ziel erreicht.

Distanzfälle

Doch was passiert, wenn der Täter auf Distanz handelt, etwa mit einer Bombe oder Gift, und das falsche Opfer trifft? In diesen „Distanzfällen“ fehlt der direkte visuelle Kontakt, der das Opfer zu einer konkreten Zielperson macht. Jetzt wird es spannend, denn auch hier stellt sich die Frage, ob der Vorsatz überhaupt eine ausreichende Konkretisierung erfahren hat. Denn bei der Distanzhandlung fehlt die Möglichkeit der sinnlichen Wahrnehmung des Opfers.

Stell dir zum Beispiel vor, A möchte B mit einer Bombe in seinem Auto töten. Doch C benutzt zufällig das Auto und wird durch die Explosion getötet. Ein weiteres Beispiel: A schickt B eine vergiftete Flasche Schnaps, aber C trinkt zuerst und stirbt, bevor B davon kosten kann. Und dann gibt es noch die Variante, dass A die Bombe am falschen Auto montiert und C in die Luft geht. Was passiert hier aus rechtlicher Sicht?

Die Gleichwertigkeitstheorie würde in diesen Fällen einfach einen Fehler in der Person des Opfers annehmen und das Ganze als einen unbeachtlichen error in persona werten. Fehlt jedoch die sinnliche Wahrnehmung des Opfers, können wir dann noch von einer konkreten Zielobjektkonkretisierung sprechen? Die Diskussion dazu ist breit und wird auf verschiedene Weisen gelöst.

Eine Lösung, die aberratio ictus anwendet, geht davon aus, dass die geistige Identitätsvorstellung des Täters die visuelle Wahrnehmung ersetzt. In diesem Fall hätte A den Vorsatz für B, auch wenn er eigentlich C getötet hat. Diese Lösung betrachtet das, was im Kopf des Täters vorgeht, als ausreichend, um die konkrete Zielperson zu benennen. Doch es gibt Einwände: Eine rein geistige Vorstellung reiche nicht aus, um ein Opfer zu individualisieren. Es fehle der direkte, sinnliche Kontakt.

Die herrschende Meinung – die Individualisierungs-Lösung – besagt, dass der Täter selbst das Risiko trägt, wenn er sich nicht selbst um die richtige Identifizierung kümmert. Wer es so anlegt, dass der Plan auch bei einer Verwechslung des Opfers aufgeht, der wird für das Ergebnis verantwortlich gemacht. Wenn beim getroffenen Objekt der Erfolg genauso eintritt wie beim vorgesehenen Zielobjekt, dann ist der Täter zu bestrafen – auch wenn er das Opfer nicht direkt wahrgenommen hat.

Dolus generalis

Stell Dir vor, A hat das klare Ziel, B zu töten. Zuerst würgt er B und glaubt, ihn bereits getötet zu haben. Doch dann wirft er den bewusstlosen B in eine Jauchegrube – und er ertrinkt dort. Was ist das jetzt aus rechtlicher Sicht? Ein Fall für den dolus generalis, bei dem der Täter glaubt, den Erfolg bereits erzielt zu haben, ihn aber erst durch eine spätere Handlung herbeiführt.

Eine Ansicht ist der Meinung, dem Täter, der bei der maßgeblichen Tötungshandlung keinen Vorsatz hatte, könne nicht zur Last gelegt werden, auch durch den Erstakt vorsätzlich getötet zu haben. Der zweite Akt, bei dem B dann wirklich stirbt, wird als eigenständige Tötungshandlung gesehen. Und das Ganze wird als Tatmehrheit behandelt, was bedeutet, dass hier von einem versuchten Mord/Totschlag und fahrlässiger Tötung ausgegangen wird – zumindest nach der Versuchslösung.

Doch eine andere Ansicht, die der Vollendungslösung, bestraft den Täter für die vollendete Tat. Sie sagt, dass der Vorsatz des Täters, B zu töten, schon beim Erstakt vorlag, auch wenn dieser in der Realität noch nicht zu einem Toderfolg geführt hat. Was hier entscheidend ist, sei die Kausalität – der zweite Akt hat den Erfolg zwar bewirkt, aber er ist nur eine unwesentliche Abweichung von dem, was der Täter ursprünglich geplant hatte. Die Vorstellung des Täters, B sei tot, wurde lediglich durch den späteren Kausalverlauf korrigiert. Es macht also keinen großen Unterschied, dass A beim Werfen von B in die Jauchegrube eigentlich dachte, er hätte ihn schon getötet.

Schauen wir uns nun die andere Seite an – den umgekehrten dolus generalis-Fall. Hier will der Täter A den B töten, indem er ihn aus einem fahrenden Zug wirft, nachdem er ihn betäubt hat. Doch das Überraschende: B stirbt bereits durch die Betäubung und nicht erst durch den Wurf. Was passiert jetzt? In diesem Fall wird der Täter ebenso für die vollendete Tötung bestraft. Auch hier führt die Lehre von der unwesentlichen Abweichung im Kausalverlauf zu einer Lösung, die den Erfolg des Täters als vollendet betrachtet, obwohl er ihn eigentlich früher herbeigeführt hat als geplant. Kritiker dieser Ansicht argumentieren, dass die Bestrafung nur dann gerechtfertigt sei, wenn der Täter wirklich zum Zeitpunkt der todesursächlichen Handlung den Tötungsvorsatz hatte. Es müsse sich also um eine beendete Handlung handeln, um den Täter mit dem vollen Strafmaß zu belegen. Doch dieser Ansicht widerspricht die herrschende Meinung. Sie sagt, dass es keinen Unterschied mache, ob der Erfolg früher oder später eintritt, solange der Täter die wesentlichen Elemente des Vorsatzes beibehält. In anderen Worten: Auch wenn A schon mit der Betäubung den Erfolg erreicht hat, zählt das als vollendete Tat.