§ 17 StGB bringt es auf den Punkt: „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“ – oder zumindest nur in den seltensten Fällen. Dabei dreht sich alles um das sogenannte Unrechtsbewusstsein. Wer vorsätzlich handelt, muss zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sein Verhalten gegen das Gesetz verstößt. Fehlt diese Einsicht komplett, spricht man von einem Verbotsirrtum. Und genau da setzt § 17 StGB an: Ist dieser Irrtum vermeidbar, gibt es eine Strafmilderung. Ist er unvermeidbar, entfällt die Schuld.
Fehlen des Unrechtsbewusstseins
Das Unrechtsbewusstsein ist also ein eigenständiges Schuldelement, das von der Tat selbst getrennt betrachtet wird. Es reicht aus, wenn der Täter die Fähigkeit hat, sich über die Rechtswidrigkeit seines Handelns Klarheit zu verschaffen. Genau darin liegt die Appellfunktion des Strafgesetzes: Wer sich an fremdem Eigentum bedient oder jemandem körperlich zusetzt, hat einen klaren Anlass, mal kurz innezuhalten und zu überlegen, ob das erlaubt sein könnte oder nicht. Ein Beispiel: Wer sich ein fremdes Fahrrad für eine spontane Probefahrt schnappt, kann sich nicht darauf berufen, keine Ahnung von § 248b StGB gehabt zu haben. Wer fremdes Eigentum anfasst, sollte zumindest ahnen, dass da juristisch was im Busch sein könnte.
Natürlich gibt es Situationen, in denen das nicht so eindeutig ist – gerade im Nebenstrafrecht oder bei Ordnungswidrigkeiten. Aber für die klassischen Delikte des Strafgesetzbuchs gilt: Augen auf! Wenn jemand vorsätzlich handelt, darf man auch erwarten, dass er sich über die rechtliche Qualität seines Verhaltens Gedanken macht oder zumindest fachkundigen Rat einholt.
Damit § 17 StGB greift, muss das Unrechtsbewusstsein wirklich fehlen. Wer also weiß, dass sein Verhalten rechtswidrig ist, kann sich nicht auf einen Verbotsirrtum berufen. Dabei reicht es nicht aus, nur zu ahnen, dass das eigene Verhalten vielleicht sozial unerwünscht oder moralisch fragwürdig sein könnte. Entscheidend ist, ob der Täter erkannt hat, dass sein Handeln strafrechtlich relevant ist. Strittig ist, ob der Täter auch die konkrete Strafbarkeit kennen muss. Während eine Mindermeinung genau das fordert, hält die herrschende Meinung die Kenntnis eines allgemeinen rechtlichen Verbots für ausreichend. Dabei muss das Unrechtsbewusstsein sich immer auf die spezifische Rechtsgutsverletzung beziehen. Wer also weiß, dass er fremdes Eigentum unrechtmäßig anfasst – sei es durch die verbotene Eigenmacht aus § 858 BGB – kann sich später nicht damit herausreden, den speziellen Diebstahlparagrafen nicht gekannt zu haben.
Erscheinungsformen
Es gibt verschiedene Spielarten des Verbotsirrtums: Der direkte Verbotsirrtum betrifft Fälle, in denen jemand schlicht nicht weiß, dass ein bestimmtes Verhalten verboten ist. Wenn also ein 17-Jähriger mit seiner knapp 14-jährigen Freundin schläft und keine Ahnung von § 176 Abs. 1 StGB hat, liegt ein direkter Verbotsirrtum vor.
Beim Erlaubnisirrtum – auch indirekter Verbotsirrtum genannt – geht es um die falsche Annahme, dass ein Rechtfertigungsgrund besteht. Wenn ein Vater glaubt, sein Kind aus erzieherischen Gründen körperlich züchtigen zu dürfen, obwohl das längst verboten ist, irrt er über die Existenz oder die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes.
Schwieriger wird es beim Subsumtionsirrtum: Hier verkennt der Täter, dass sein Verhalten unter einen bestimmten Straftatbestand fällt.
Schließlich gibt es noch den Doppelirrtum – eine besonders knifflige Konstellation, bei der ein vermeintlicher Erlaubnistatbestandsirrtum mit einem Irrtum über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes zusammenfällt. Dabei kann im Ergebnis nur ein (vermeidbarer) Verbotsirrtum vorliegen. Beispiel: A glaubt zu Unrecht, dass B ihr ein Buch im Wert von 10 Euro gestohlen hat. Nach einem Warnruf und einem Warnschuss gibt sie ohne Tötungsvorsatz einen Schuss auf die Beine des fliehenden B ab und trifft. Sie glaubt, ihr Eigentum auf diese Weise verteidigen zu dürfen. Entfällt in der Situation ein ETBI (weil schon die Voraussetzungen eines hypothetischen Rechtfertigungsgrundes wegen der fehlenden Gebotenheit gem. § 32 StGB nicht erfüllt sind), kann es auch keinen „doppelten“ Irrtum geben. Letztlich gelangt man daher zu einem vermeidbaren Verbotsirrtum über die Grenzen des § 32 StGB.
Vermeidbarkeit
Der Knackpunkt ist immer die Frage der Vermeidbarkeit. Die Gerichte sagen: Ein Verbotsirrtum ist nur dann unvermeidbar, wenn der Täter trotz aller Anstrengungen und zumutbaren Nachforschungen keine Einsicht in die Rechtswidrigkeit seines Handelns gewinnen konnte. Dazu gehört, bei aufkommenden Zweifeln nachzudenken oder fachkundigen Rat einzuholen. Besonders heikel sind Fälle, in denen die Rechtslage unklar oder umstritten ist. Hier legt die Rechtsprechung die Messlatte hoch: Wenn sich der Täter trotz Zweifeln auf die Möglichkeit des Verbotenseins einlässt, bleibt es bei einem vermeidbaren Verbotsirrtum. Die herrschende Meinung hält diese Sichtweise für übertrieben streng. Es sei unbillig, von jemandem zu verlangen, seine Handlung so lange zurückzustellen, bis sich die Rechtslage geklärt hat – vor allem, wenn wirtschaftliche oder persönliche Gründe dagegensprechen.
Interessant wird es bei Auskünften von Behörden oder Rechtsanwälten. Wer sich bei einer kompetenten Stelle erkundigt und dort eine falsche Rechtsauskunft erhält, handelt in der Regel schuldlos – vorausgesetzt, die Auskunft war objektiv, sachkundig und verbindlich. Auch auf rechtskräftige Gerichtsentscheidungen darf man sich verlassen, wobei den Urteilen höherer Instanzen in der Regel mehr Vertrauen entgegengebracht wird.
Bei Unterlassungsdelikten gibt es eine besondere Variante des Verbotsirrtums: den Gebotsirrtum. Wer gar nicht erkennt, dass ihn eine Handlungspflicht trifft, kann schließlich auch nicht wissen, dass er dagegen verstößt. Hier gilt ebenfalls die Unterscheidung zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren Irrtümern. Und wie immer gilt: Wer sich unsicher ist, sollte besser einmal zu viel nachfragen als einmal zu wenig – das erspart im Zweifelsfall jede Menge Ärger.