Stell Dir vor, Du bist ein Zeuge eines Vorfalls, bei dem jemand auf frischer Tat beim Stehlen erwischt wird. Jetzt hast Du als Bürger die Möglichkeit, die Person im Rahmen des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO (Jedermann-Festnahmerecht) festzunehmen. Aber warum darfst Du das überhaupt? Ganz einfach: Anders als bei der Notwehr, die Deine eigenen Interessen schützt, geht es hier darum, den Staat bei der Durchsetzung seines Strafanspruchs zu unterstützen. In diesem Fall trittst Du als eine Art Stellvertreter der Strafverfolgungsbehörden auf und hilfst dabei, den Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Dein Ziel? Der Täter soll zur Strafverfolgung überführt werden, auch wenn Du persönlich gar keinen Vorteil daraus ziehst.
Festnahmelage
Betreffen oder Verfolgen auf frischer Tat
In der Praxis bedeutet das, Du darfst jeden festhalten, den Du bei der Begehung einer Straftat erwischst – sei es ein Dieb, ein Schläger oder jemand, der Brandstiftung begeht. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass dieser Festnahmeanlass nur dann vorliegt, wenn die Tat gerade stattfindet, unmittelbar nach der Tat oder in unmittelbarer Nähe des Tatortes.
Die Tat muss nicht unbedingt vollendet sein – der Versuch reicht ebenfalls. In einem solchen Moment handelst Du im öffentlichen Interesse und unterstützt das staatliche Gewaltmonopol, auch wenn Du damit einem Risiko ausgesetzt bist, wie im Beispiel des Diebstahls, wo der Täter gefasst und der Diebstahl verhindert wird.
Die Frage, die sich hier stellt: Muss tatsächlich eine Straftat begangen worden sein (materiellrechtliche Lösung), oder reicht ein dringender Tatverdacht? Die prozessuale Lösung, die mittlerweile von der herrschenden Meinung unterstützt wird, sagt: Ein dringender Verdacht reicht aus. Das bedeutet, Du musst nicht absolut sicher sein, dass eine Straftat begangen wurde – es reicht, wenn die äußeren Umstände für Dich einen konkreten Verdacht nahelegen, den Du pflichtgemäß prüfst (es dürfen keine vernünftigen Zweifel bestehen).
Festnahmegrund
Übrigens muss es auch einen Festnahmegrund geben, etwa wenn Fluchtverdacht besteht oder wenn sich die Identität des Täters nicht feststellen lässt.
Festnahmehandlung
Doch das Festnahmerecht setzt auch Grenzen: Du darfst nicht einfach jedes Mittel anwenden, um jemanden festzunehmen. Die Gewalt, die Du anwendest, muss geeignet sein, d. h. in einem angemessenen Verhältnis zum Ziel der Festnahme stehen. Du darfst zum Beispiel einem fliehenden Täter hinterherlaufen und ihn stoppen, aber Du musst das mildeste Mittel einsetzen und darfst nicht über das nötige Maß hinausgehen und eine lebensgefährliche Gewalt anwenden. Schon ein unnötiger Schuss, der jemanden schwer verletzt, kann Deine Festnahme unrechtmäßig machen.
Trotzdem gibt es auch eine Ausnahme: Wenn der Täter sich mit Gewalt wehrt, ist dies ein Fall für Notwehr. Du kannst Dich in diesem Fall auf das Notwehrrecht berufen und musst nicht mehr nur das Festnahmerecht gemäß § 127 Abs. 1 S. 1 StPO anwenden. Die Rechte des Täters, die durch die Festnahme geschützt sind, müssen also in einem vernünftigen Rahmen gewahrt werden.
Subjektives Rechtfertigungselement
Du musst nicht nur wissen, dass eine Straftat begangen wurde, sondern auch die Absicht haben, den Täter der Strafverfolgung zuzuführen. Das heißt, Du darfst nicht einfach eine Person aus anderen Gründen festhalten – beispielsweise, weil Du sie für einen Verwandten oder Bekannten des Täters hältst. Dein Ziel muss immer die Unterstützung der Strafverfolgung sein, auch wenn andere Beweggründe vielleicht im Hintergrund mitspielen.