§ 34 StGB dreht sich um die Abwägung widerstreitender Interessen. Es geht nicht nur darum, welches Rechtsgut abstrakt höherwertig ist. Vielmehr müssen alle schutzwürdigen Interessen in die Waagschale geworfen werden. Der Kerngedanke: Wenn zwei rechtlich geschützte Interessen aufeinanderprallen, darf man ausnahmsweise in ein fremdes Rechtsgut eingreifen – aber nur dann, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, ein deutlich höherwertiges Interesse zu retten.
Ähnlich wie die Nothilfe aus § 32 Abs. 2 Alt. 2 StGB kennt § 34 auch die „Notstandshilfe„. Die Formulierung „Gefahr für sich oder einen anderen“ meint den Inhaber des gefährdeten Rechtsguts. Das drückt der Wortlaut von § 34 StGB sogar etwas klarer aus als § 32 StGB, weil vorher von der „Gefahr für […] ein anderes Rechtsgut“ die Rede ist.
Im Verhältnis zu anderen Rechtfertigungsgründen hat § 34 StGB eine Art Auffangfunktion. Vorrangig sind aber die Spezialregelungen der §§ 228 und 904 BGB. Auch Einwilligung oder mutmaßliche Einwilligung gehen vor. Besonders interessant wird es, wenn eine Notwehrlage gegeben ist, aber § 32 StGB nicht greift – zum Beispiel, weil die Verteidigung nicht erforderlich, nicht geboten oder nicht vom Verteidigungswillen getragen ist. In diesen Fällen ist erst § 32 zu prüfen, bevor § 34 StGB in Betracht kommt. Wenn dagegen keine Notwehrlage vorliegt oder Rechtsgüter Dritter betroffen sind, bleibt nur der Rückgriff auf § 34 StGB und die zivilrechtlichen Notstandsregelungen.
Wie verhält sich § 34 StGB zu § 35 StGB? Ganz einfach: § 34 ist ein Rechtfertigungsgrund, § 35 dagegen nur ein Entschuldigungsgrund. Beide verlangen eine „gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr“, stimmen also in Bezug auf die Erforderlichkeit überein. Unterschiede gibt es aber trotzdem – insbesondere wenn die Interessenabwägung bei § 34 StGB scheitert, landet man oft bei § 35 StGB.
Und was, wenn sich jemand über eine Rechtfertigung nach § 34 StGB irrt? Dann muss man genau hinschauen: Hat sich der Täter die Situation falsch vorgestellt und wäre er nach § 34 StGB gerechtfertigt, wenn es tatsächlich so gewesen wäre? Dann entfällt der Vorsatz (Erlaubnistatbestandsirrtum). Glaubt er jedoch nur fälschlicherweise, dass ihn § 34 StGB rechtfertigt, obwohl das gar nicht der Fall ist, liegt ein Verbotsirrtum vor.
Objektive Rechtfertigungselemente
Notstandslage
Verglichen mit der Notwehr aus § 32 StGB deckt die Notstandslage nach § 34 StGB ein deutlich breiteres Spektrum an Rechtfertigungssituationen ab. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Erstens können nicht nur Individualrechte, sondern auch Interessen der Allgemeinheit geschützt sein. Zweitens reicht eine gegenwärtige Gefahr aus – ein konkreter Angriff, wie ihn § 32 StGB verlangt, ist nicht nötig.
Gefahr für ein Rechtsgut
§ 34 StGB schützt, genau wie § 32 StGB, alle rechtlich geschützten Individualrechte. Die Aufzählung von Leben, körperlicher Unversehrtheit etc. ist also nicht abschließend. Dazu kommt: Die Formulierung „oder ein anderes Rechtsgut“ bedeutet nach herrschender Meinung, dass auch Interessen der Allgemeinheit einbezogen sind. Das ist zum Beispiel relevant, wenn jemand eine Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB verhindert. In der Praxis wird es aber oft so sein, dass die Gefahr für die Allgemeinheit durch die Polizei oder andere Behörden abgewendet werden kann – und dann scheidet § 34 StGB als Rechtfertigung aus.
Gegenwärtigkeit der Gefahr
Gefahr bedeutet, dass aufgrund der konkreten Umstände ein Schaden wahrscheinlich ist.
Wichtig ist dabei die Perspektive: Es geht nicht darum, ob der Handelnde subjektiv Angst hatte, sondern darum, ob ein objektiver Betrachter mit den gleichen Informationen die Gefahr ebenfalls als realistisch eingeschätzt hätte. Diese objektive Betrachtung ist nötig, weil es bei § 34 StGB oft um Eingriffe in fremde Rechte geht – und Unbeteiligte sollen nicht einfach auf Verdacht hin Einschränkungen hinnehmen müssen.
Beispiel: Die Fußgänger A und B finden nachts einen bewusstlosen Radfahrer mit Kopfverletzungen. Sie halten sofortige ärztliche Hilfe für notwendig. Ein Autofahrer, der zufällig vorbeikommt, weigert sich aber, ihn ins Krankenhaus zu bringen. Handyempfang gibt es nicht. A hält den Fahrer fest, während B den Verletzten ins Auto lädt und zur Klinik fährt. A hat sich nach § 239 StGB strafbar gemacht (Freiheitsberaubung), B nach § 248b StGB (unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs). Aber: War ihre Handlung durch § 34 StGB (bzw. § 904 BGB) gerechtfertigt? Entscheidend ist, ob ein Arzt die Lage genauso beurteilt hätte. Falls ja, lag eine gegenwärtige Gefahr vor. Falls nein, bleibt den beiden möglicherweise nur ein Erlaubnistatbestandsirrtum.
Eine Gefahr ist gegenwärtig, wenn der Schaden unmittelbar bevorsteht oder jederzeit eintreten kann. Dazu gehört auch die sogenannte Dauergefahr – ein Zustand, der jederzeit in einen Schaden umschlagen kann, selbst wenn es theoretisch noch etwas dauern könnte.
Dabei spielt es keine Rolle, woher die Gefahr kommt. Naturereignisse, Unfälle oder menschliches Verhalten – alles ist denkbar. Wenn die Gefahr aber von einer Sache oder einem Tier ausgeht, hat § 228 BGB Vorrang.
Beispiel: Klassische Notstandslagen sind akute Gefahren wie drohendes Ersticken oder Ertrinken. Dauergefahren sind etwa einsturzgefährdete Gebäude oder unberechenbare psychisch Kranke.
Besonders spannend sind Situationen, in denen eine Notwehrlage (also ein gegenwärtiger Angriff) noch nicht erreicht ist, aber trotzdem ein schnelles Handeln nötig scheint. Man nennt das oft „Präventivnotwehr“ oder „notwehrähnliche Lage“.
Beispiel: Ein Wirt in einem abgelegenen Gasthaus erfährt, dass zwei Gäste ihn in wenigen Stunden überfallen wollen. Um den Angriff zu verhindern, mischt er ihnen Schlaftabletten ins Getränk. Keine Notwehr, weil der Angriff noch nicht begonnen hat – aber möglicherweise ein rechtfertigender Notstand.
Auch Fälle häuslicher Gewalt können unter § 34 StGB fallen.
Beispiel: Eine Frau wird von ihrem Mann regelmäßig misshandelt. Da er jederzeit wieder zuschlagen könnte, vergiftet sie ihn im Schlaf. Ist das eine gegenwärtige Gefahr? Der BGH sagt: ja. Denn auch wenn er gerade schläft, kann die Gefahr jederzeit wieder aufleben.
Ein weiteres Beispiel: Ein Mann wird immer wieder von einem Stalker heimgesucht, der sogar ins Haus eindringt. Als er ihn eines Nachts erneut sieht und der Stalker flüchtet, schießt er ihm in die Beine, um sich endgültig zu schützen. Hier könnte eine Dauergefahr angenommen werden, weil der nächste Angriff nur eine Frage der Zeit ist.
Selbstgeschaffene Notstandslage
Was aber, wenn die Gefahr von jemandem ausgeht, der selbst gerechtfertigt handelt? Notwehr gegen Notwehr gibt es nicht – und das gilt auch für den Notstand. Wer also selbst einen Rechtfertigungsgrund hat, kann nicht einfach mit § 34 StGB kontern. Das bedeutet, dass die betroffene Person eine Duldungspflicht hat: Wer sich auf Notwehr oder Notstand beruft, muss damit rechnen, dass sein Verhalten Folgen hat – und diese auch akzeptieren.
Notstandshandlung
Die Notstandshandlung bedeutet im Kern, dass jemand eine eigentlich verbotene Tat begeht, um eine drohende Gefahr abzuwenden. Die spannende Frage ist also: Hätte die Gefahr auch auf eine andere Weise beseitigt werden können?
Diese Voraussetzung ähnelt der Erforderlichkeit bei der Notwehr. Das bedeutet, dass die Handlung erstens geeignet sein muss, um die Gefahr abzuwenden, und zweitens das mildeste Mittel darstellt, das den Notstand wirksam beendet – ohne dabei die Gefahr für den Täter nur zu verschieben oder gar zu erhöhen. Die Beurteilung dieser Punkte erfolgt aus einer objektiven Perspektive im Moment der Tat, also ex ante.
Für die Eignung reicht es schon, wenn die gewählte Handlung zumindest eine kleine, aber realistische Chance bietet, die Gefahr abzuwenden.
Bei der Frage nach dem mildesten Mittel ist entscheidend: Gibt es Alternativen? Das Gesetz verlangt ausdrücklich, dass der Täter keine andere Möglichkeit gehabt haben darf, um die Gefahr zu beseitigen. Anders als bei der Notwehr geht es beim Notstand nicht darum, sich gegen einen Angreifer zu behaupten, sondern um die Abwägung, inwieweit der Täter in die Rechte Unbeteiligter eingreifen darf.
Eine größere Rolle als bei der Notwehr spielt hier die Möglichkeit, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Denn während bei einem direkten Angriff meist nur Sekunden für eine Entscheidung bleiben, gibt es bei einer allgemeinen Gefahrenlage oft mehr Zeit, um Unterstützung zu holen.
Ein paar Beispiele helfen, das Ganze greifbar zu machen:
Ein betrunkener Arzt setzt sich ins Auto, weil er glaubt, einen Patienten retten zu müssen. Allerdings ist er so fahruntüchtig, dass er sein Ziel gar nicht erreichen oder dort nicht effektiv helfen könnte. In diesem Fall wäre die Notstandshandlung ungeeignet, weil sie die Gefahr nicht wirklich beseitigt. Eine Alternative wäre, ein Taxi zu rufen oder direkt den Notruf zu verständigen.
Ein weiteres Beispiel: Eine Frau lebt mit einem gewalttätigen Ehemann zusammen, der sie und ihre Kinder immer wieder misshandelt. Der BGH hat entschieden, dass eine solche Dauergefahr in der Regel nicht durch eine Tötung des Täters beseitigt werden darf. Stattdessen müssen zunächst andere Mittel ausgeschöpft werden, etwa die Flucht in ein Frauenhaus oder die Einschaltung der Behörden. Falls diese Maßnahmen versagen und eine akute Gefahr für Leib und Leben besteht, kann im Ausnahmefall eine Entschuldigung nach § 35 StGB greifen.
In einem anderen Fall hatte jemand bereits vergeblich die Polizei um Hilfe gebeten, weil ein Stalker mehrfach ins Haus eingedrungen war. Als dieser erneut auftauchte, griff der Hausbewohner zur Selbsthilfe, weil er keine andere realistische Schutzmöglichkeit mehr sah. Hier könnte die Notstandshandlung gerechtfertigt sein, weil alle milderen Alternativen ausgeschöpft wurden und sich als wirkungslos erwiesen hatten.
Interessenabwägung
Bevor wir uns in die Feinheiten der Interessenabwägung stürzen, sollten wir klären, welche Interessen überhaupt auf dem Spiel stehen. Auf der einen Seite gibt es das Erhaltungsgut – also das rechtlich geschützte Interesse, das durch eine Gefahr bedroht ist. Auf der anderen Seite steht das Eingriffsgut – das Rechtsgut, in das durch die Notstandshandlung eingegriffen wird. Für die eigentliche Abwägung gibt das Gesetz zumindest zwei Kriterien vor. Ergänzt man diese um weitere relevante Faktoren, ergibt sich ein recht klares Bild:
Hierarchie der Rechtsgüter
Nicht alle Rechtsgüter sind gleich viel wert. Die Reihenfolge im Gesetz gibt einen Hinweis darauf, welches Gut grundsätzlich höher zu bewerten ist. Ein Blick auf die Strafrahmen verschiedener Delikte hilft ebenfalls weiter: Ein Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) wird milder bestraft als eine Körperverletzung (§ 223 StGB) – ein Indiz dafür, dass die körperliche Unversehrtheit schwerer wiegt als das Hausrecht. Generell stehen Persönlichkeitsrechte über Sachwerten. Auch Rechtsgüter der Allgemeinheit können hoch gewichtet sein, was sich daran zeigt, dass Verstöße gegen die Rechtspflege (§§ 154, 339 StGB) teilweise als Verbrechen eingestuft werden.
Grad der drohenden Gefahr
Eine akute Lebensgefahr ist schwerwiegender als eine abstrakte Gefahr. Es macht einen Unterschied, ob jemand tatsächlich in höchster Not steckt oder ob lediglich ein gewisses Risiko besteht. Beispiel: Ein Rettungsfahrer, der betrunken unterwegs ist (Eingriffsgut), um eine sterbende Person ins Krankenhaus zu bringen (Erhaltungsgut), erzeugt zwar eine abstrakte Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer, aber verhindert damit eine konkrete Lebensgefahr.
Ausmaß der drohenden Schäden
Hier geht es um die Frage: Wie schlimm wird es wirklich? Eine schwere Körperverletzung wiegt schwerer als eine leichte. Eine kurze Freiheitsberaubung ist weniger gravierend als ein tödlicher Ausgang. Und ja, es gibt Fälle, in denen ein hoher Sachwert wichtiger sein kann als eine leichte Körperverletzung. Aber was nicht geht: Leben gegen Leben aufrechnen. Weder darf das Leben eines Kranken gegen das eines jungen Familienvaters aufgewogen werden, noch darf man die Tötung eines Einzelnen zur Rettung vieler legitimieren – etwa durch ein Abschussgebot im Luftsicherheitsgesetz.
Weitere Abwägungsfaktoren
Wer sich selbst in Gefahr bringt, kann sich nicht so leicht auf den Notstand berufen. Das ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu § 35 Abs. 1 S. 2 StGB. Aber: Komplett ausgeschlossen ist eine Notstandslage dadurch nicht – das Verschulden zählt nur als negativer Faktor in der Abwägung.
Manche Menschen müssen mehr Risiken hinnehmen als andere. Feuerwehrleute, Polizisten oder Soldaten haben besondere Gefahrtragungspflichten. Das bedeutet: In einem Notstandsfall wiegt ihr Interesse möglicherweise weniger schwer als das einer Privatperson.
Was, wenn die Gefahr von demjenigen ausgeht, dessen Rechtsgut beeinträchtigt wird? Für Tiere gibt es mit § 228 BGB eine klare Regelung, für Menschen hingegen nicht. Soll man diese Regel einfach auf Menschen übertragen? Die herrschende Meinung sagt: Nein. Das BGB erlaubt nur Eingriffe in Sachwerte und trifft keine Aussage darüber, ob höchstpersönliche Rechtsgüter geopfert werden dürfen. Dennoch fließt der Grundgedanke des Defensivnotstands in die Abwägung nach § 34 StGB ein. Wer schuldhaft eine Gefahr heraufbeschwört, hat eine schwächere Position in der Interessenabwägung. Das zeigt sich besonders bei Fällen der sogenannten Präventivnotwehr – also Notwehr gegen eine drohende, aber noch nicht unmittelbar bevorstehende Gefahr. Ein Klassiker ist der Haustyrannen-Fall: Hier lehnt es die herrschende Meinung ab, das Leben eines gefährlichen Familientyrannen gegen das Leben seiner bedrohten Angehörigen aufzuwiegen. Die gezielte Tötung des Tyrannen bleibt rechtswidrig.
Wesentliches Überwiegen
Das Gesetz spricht von einem „wesentlichen“ Überwiegen des Erhaltungsguts. Doch was bedeutet das? Während eine weit verbreitete Meinung jedes klare Überwiegen genügen lässt, verlangt eine striktere Ansicht ein qualifiziertes, also besonders starkes Übergewicht.
Interessenabwägung bei derselben Person
§ 34 StGB gilt auch dann, wenn die widerstreitenden Interessen ein und derselben Person gehören. Was bedeutet das? Ein Beispiel: Ein Feuerwehrmann muss entscheiden, ob er ein Kind aus einem brennenden Haus rettet, indem er es in ein Sprungtuch wirft – und dabei eine erhebliche Gefahr für das Kind in Kauf nimmt. In solchen Fällen kann die Interessenabwägung auch innerhalb einer einzigen Person stattfinden, wenn es darum geht, ob eine große, aber nicht sichere Chance auf Rettung einem sicheren Untergang vorzuziehen ist.
Angemessenheit des Mittels
Die Angemessenheitsklausel im Notstandsrecht funktioniert ähnlich wie die Gebotenheitsprüfung bei der Notwehr: Sie setzt eine Grenze, damit nicht jeder Eingriff in fremde Rechtsgüter einfach mit dem Notstand gerechtfertigt werden kann. Aber wo genau verläuft diese Grenze? Darüber gibt es Streit. Besonders geht es um die Frage, ob bestimmte Einschränkungen direkt zur Angemessenheit gehören oder ob sie nur Teil der allgemeinen Interessenabwägung sind.
Nötigungsnotstand
Einkalkulierte gesetzliche Regelungen
Viele Gesetze schränken wirtschaftliche Freiheit ein, etwa im Arbeits- oder Umweltrecht. Wer dadurch Nachteile erleidet, kann nicht einfach auf § 34 StGB pochen. Beispiel: Ein Unternehmen kann sich bei drohender Insolvenz nicht auf Notstand berufen, um Steuerzahlungen zu umgehen. Anders sieht es aus, wenn eine echte Notlage eintritt, die der Gesetzgeber nicht bedacht hat – etwa eine Naturkatastrophe.
Rechtlich geordnete Verfahren
Wenn die Rechtsordnung ein Verfahren vorsieht, um eine Gefahr abzuwenden, muss es genutzt werden. Wer zu Unrecht einer Straftat verdächtigt wird, kann nicht einfach zur Selbstjustiz greifen, sondern muss Rechtsmittel einlegen. Auch Verwaltungsverfahren, Genehmigungen und Gerichtsprozesse sind vorrangig – selbst wenn eine Entscheidung als ungerecht empfunden wird.
Besonders relevant ist dieser Punkt für hoheitliches Handeln. Grundsätzlich gilt hier dasselbe wie bei § 32 StGB. Aber wenn Spezialgesetze – etwa die Strafprozessordnung – den staatlichen Eingriff detailliert regeln, gibt es keinen Spielraum für eine Berufung auf § 34 StGB.
Menschenwürde und Freiheitsrechte
Hier sind wir an der absoluten Grenze des Notstands. Eingriffe, die die Menschenwürde verletzen oder fundamentale Freiheitsrechte beschneiden, sind unzulässig.
Ein drastisches Beispiel: Ein Patient braucht dringend eine Blutspende, aber der einzige passende Spender verweigert sie. Darf man ihm trotzdem Blut abnehmen? Aus reiner Interessenabwägung könnte man sagen: Leben gegen körperliche Unversehrtheit – das Leben überwiegt. Aber die herrschende Meinung sagt: Nein. Denn eine zwangsweise Blutentnahme wäre eine unzulässige Instrumentalisierung des Menschen.
Eine Ausnahme wird jedoch diskutiert: Innerhalb enger Garantenbeziehungen – etwa zwischen Eltern und Kind – könnte eine zwangsweise Blutspende vertretbar sein. Denn hier könnte man argumentieren, dass die Weigerung des Elternteils ein Unterlassen darstellt, das als Angriff gewertet werden kann.
Aufgabe der Sozialgemeinschaft
Armut und soziale Notlagen sind ein Problem der Gesellschaft. Wer hungert, darf sich deshalb nicht einfach selbst bedienen und stehlen. Genauso wenig kann jemand, der eine teure Operation nicht bezahlen kann, das Geld bei einem Reichen erzwingen. Hier ist die Solidargemeinschaft gefragt – aber eben auf legalem Weg.
Subjektives Rechtfertigungselement
Wenn es um den subjektiven Rechtfertigungswillen geht, begegnet uns eine alte Diskussion wieder – nämlich die Frage, ob es reicht, wenn jemand einfach nur weiß, dass er gerechtfertigt handelt, oder ob er zusätzlich mit einer besonderen Absicht handeln muss. Diese Debatte kennen wir bereits von § 32 StGB, und sie stellt sich bei § 34 StGB erneut. Der Wortlaut von § 34 S. 1 StGB sowie die Parallelen zu § 32 StGB sprechen dafür, dass zumindest ein erkennbarer Rettungswille vorhanden sein muss – es reicht also nicht, wenn dieser völlig in den Hintergrund tritt.