Die „actio libera in causa“ klingt erst mal kompliziert, ist aber eigentlich ein ziemlich spannender Dreh im Strafrecht. Es geht um die Frage: Was passiert, wenn jemand eine Straftat begeht, während er schuldunfähig ist, diesen Zustand aber vorher selbst vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt hat? Stell Dir vor, jemand betrinkt sich absichtlich bis zur Bewusstlosigkeit, um danach eine Straftat zu begehen. Kann sich diese Person dann wirklich darauf berufen, dass sie nicht zurechnungsfähig war?

Genau da setzt die „actio libera in causa“ an – abgekürzt als a.l.i.c. Der klassische Fall ist der Alkoholrausch, aber auch andere schuldunfähige Zustände wie Drogenkonsum oder Mischformen fallen darunter. Das Problem: Wenn jemand in diesem Zustand eine Straftat begeht, müsste er eigentlich wegen Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB straflos bleiben. In solchen Fällen käme dann nur eine Bestrafung nach § 323a StGB – der „Vollrausch“ – in Frage. Das klingt ziemlich mild, besonders bei schweren Straftaten wie Mord oder Totschlag.

Die Diskussion dreht sich darum, ob und wie man diese Strafbarkeitslücke schließen kann. Dabei wird zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger a.l.i.c. unterschieden. Bei der vorsätzlichen Variante führt jemand seinen Rauschzustand absichtlich herbei, um eine bestimmte Tat zu begehen. Bei der fahrlässigen Variante bringt sich jemand leichtfertig in einen schuldunfähigen Zustand, ohne eine konkrete Tat zu planen, und begeht dann eine Straftat.

Besonders knifflig wird es bei den sogenannten „verhaltensgebundenen Delikten“ wie Trunkenheit am Steuer (§ 316 StGB) oder falscher Aussage (§§ 153, 154 StGB). Hier beschreibt das Gesetz eine bestimmte Handlung – wie das Führen eines Fahrzeugs – und genau diese Handlung muss schuldhaft erfolgen. Wer sich vorher betrinkt, kann sich also nicht mit dem Argument retten, dass er beim Autofahren bereits schuldunfähig war.

Die vorsätzliche a.l.i.c. lässt sich am besten anhand eines Beispiels verdeutlichen: Stell Dir vor, ein Zuhälter will eine Prostituierte töten, die ihm nicht gehorcht. Um sich Mut anzutrinken, setzt er sich in eine Kneipe und kippt so lange Alkohol, bis er mit 3,5 Promille betrunken ist. Dann fährt er zur Wohnung der Frau und ersticht sie. Nach § 20 StGB wäre er eigentlich schuldunfähig – aber weil er seinen Rauschzustand absichtlich herbeigeführt hat, könnte er trotzdem wegen vorsätzlichen Mordes bestraft werden.

Doppelvorsatz

Damit das funktioniert, braucht es im Rahmen der Schuld-Prüfung den sogenannten Doppelvorsatz. Der Täter muss erstens vorsätzlich seine Schuldunfähigkeit herbeiführen und zweitens die spätere Straftat von Anfang an geplant haben. Einfach nur zu wissen, dass man im Rausch zu Gewalt neigt, reicht nicht aus. Der Plan muss zwar nicht jedes Detail umfassen, aber die Tat muss hinreichend konkretisiert sein.

Besonders umstritten ist der Fall, wenn sich der Täter im Rausch irrt und eine andere Person trifft als geplant (error in persona). Bleibt es bei einer unerheblichen Abweichung, wird der Vorsatz trotzdem bejaht. Wenn also der Zuhälter im Beispiel versehentlich eine Besucherin der Prostituierten tötet, kann das als unbeachtlicher Irrtum gewertet werden – aber das ist umstritten, in Betracht kommt auch, die Entscheidung wie bei der aberratio ictus-Lösung davon abhängig zu machen, inwieweit der Täter das Individualisierungsrisiko mit in den Rauschzustand gekommen hat.

Rechtliche Zulässigkeit

Die große Frage ist: Darf man so eine Konstruktion überhaupt zulassen? Hier streiten sich drei Modelle:

Das Ausnahmemodell argumentiert, dass man in diesen besonderen Fällen eine Ausnahme vom Grundsatz machen kann, dass Schuld bei der Tat vorliegen muss. Das Problem: Dieses Modell verstößt gegen Art. 103 Abs. 2 GG, der verlangt, dass es keine Strafe ohne Gesetz gibt – und der § 20 StGB ist da ziemlich klar.

Das Ausdehnungsmodell versucht, dieses Problem zu umgehen, indem es den Begriff „bei Begehung der Tat“ weiter auslegt. Nach dieser Ansicht umfasst der Tatzeitpunkt nicht nur den Moment der eigentlichen Tat, sondern auch das schuldhafte Vorverhalten – also das Sich-Betrinken. Kritiker werfen diesem Modell vor, es sei ein „terminologischer Trick“, um das Koinzidenzprinzip zu umgehen.

Die Tatbestandslösung, die von der herrschenden Meinung vertreten wird, verfolgt einen anderen Ansatz. Hier wird das Sich-Betrinken bereits als Teil der Tat gewertet, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt bereits den Vorsatz hatte, später eine Straftat zu begehen. Der Versuchsbeginn wird also vorverlagert – und damit bleibt der Täter strafbar.