Das Prinzip „Keine Strafe ohne Schuld“ (nulla poena sine culpa) hat Verfassungsrang und geht auf die Würde, die Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) und auf das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) zurück. Die Schuld hat dabei die persönliche Vorwerfbarkeit der Tat zum Gegenstand.

Schuldausschließungsgründe

Unvermeidbarer Verbotsirrtum

Schuldunfähigkeit

Damit jemand für eine Straftat bestraft werden kann, muss er schuldhaft handeln. Aber was heißt das genau? Ganz einfach: Nur wer schuldfähig ist, kann sich auch schuldig machen.

Bei Kindern unter 14 Jahren macht das Gesetz kurzen Prozess. Nach § 19 StGB gilt eine unwiderlegliche Vermutung: Sie sind immer schuldunfähig – völlig egal, wie reif oder clever sie wirken. Das bedeutet, egal was passiert, sie können strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden.

Bei Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren ist das schon etwas komplizierter. Hier schaut man genauer hin: Können sie nach ihrer geistigen und moralischen Entwicklung überhaupt begreifen, dass ihre Tat Unrecht ist? Und können sie sich entsprechend beherrschen? Wenn nicht, fehlt auch hier die Schuldfähigkeit. Die rechtliche Grundlage dafür findet sich in § 3 JGG.

Alle anderen – also Erwachsene ab 18 Jahren – gelten grundsätzlich als schuldfähig.

Aber natürlich gibt es Ausnahmen. Wenn eine Person aufgrund einer schweren psychischen Störung nicht mehr in der Lage ist, das Unrecht ihrer Tat zu erkennen oder sich entsprechend zu steuern, greift § 20 StGB. Die Prüfung dieser sogenannten Schuldunfähigkeit läuft in zwei Schritten ab.

Zuerst geht es um die Frage, ob überhaupt ein relevanter psychischer oder körperlicher Mangel vorliegt. Das nennt man auch das „biologisch-psychologische Stockwerk„. Darunter fallen zum Beispiel Erkrankungen wie Schizophrenie, schwere Neurosen oder extreme Affektzustände. Auch außergewöhnliche Bewusstseinszustände wie Hypnose oder Schlaftrunkenheit können dazugehören.

Hat man einen solchen Mangel festgestellt, geht es auf der zweiten Ebene weiter – dem „psychologisch-normativen Stockwerk„. Jetzt wird geprüft, ob die Person durch diesen Zustand tatsächlich unfähig war, das Unrecht ihrer Tat zu erkennen (Einsichtsfähigkeit) oder danach zu handeln (Steuerungsfähigkeit). Und ja, ein kompletter Ausfall dieser Fähigkeiten kommt in der Praxis eher selten vor.

Viel häufiger liegt nur eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit vor, die in § 21 StGB geregelt ist. Ein besonders spannender Spezialfall ist der Alkoholrausch. Hier stellt sich die Frage: Kann man betrunken überhaupt schuldfähig sein? Juristisch betrachtet ist ein Alkoholrausch eine vorübergehende Intoxikationspsychose. Diese wird in der Regel als krankhafte seelische Störung eingeordnet. Aber festgelegte Promillegrenzen, ab wann jemand nicht mehr schuldfähig ist, gibt es nicht. Schließlich reagiert jeder Körper anders auf Alkohol. Entscheidend ist immer eine umfassende Betrachtung des Einzelfalls. Dabei spielen Faktoren wie Alkoholgewöhnung, körperliche Verfassung und das Verhalten während der Tat eine Rolle. Wenn jemand trotz erheblicher Alkoholisierung noch planvoll handelt, spricht das eher gegen eine aufgehobene Schuldfähigkeit.

Die Rechtsprechung hat aber bestimmte Promillewerte als Orientierungshilfe entwickelt. Ab 2,0 Promille wird tendenziell eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit angenommen, ab 3,0 Promille kann die Schuldfähigkeit komplett ausgeschlossen sein. Bei schweren Gewalttaten gegen Leib oder Leben sind die Schwellenwerte sogar etwas höher – 2,2 und 3,3 Promille. Und wenn nicht klar ist, ob jemand die Grenze zur verminderten Schuldfähigkeit überschritten hat, gilt der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten„. Das heißt, § 21 oder § 20 StGB muss dann zugunsten des Täters angewendet werden.

Wenn ein Täter zur Tatzeit wirklich schuldunfähig war, kann er nach dem Gesetz nicht bestraft werden. Eine Ausnahme bildet die sogenannte actio libera in causa – also Fälle, in denen sich jemand vorsätzlich in einen schuldunfähigen Zustand versetzt, um dann eine Straftat zu begehen. Bei Rauschzuständen kommt oft § 323a StGB ins Spiel, der die sogenannte Rauschtat regelt. Und auch wenn keine Strafe möglich ist, kann das Gericht bei Schuldunfähigkeit sogenannte Maßregeln der Besserung und Sicherung nach den §§ 63, 64 StGB verhängen. Das bedeutet zum Beispiel die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik oder einer Entziehungsanstalt.

Entschuldigungsgründe

Notwehrexzess

Entschuldigender Notstand

Übergesetzlicher entschuldigender Notstand

Nötigungsnotstand

Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens

Als Korrektiv und eigenständigen Entschuldigungsgrund bei Fahrlässigkeits– und Unterlassungsdelikten.

Glaubens- und Gewissensfreiheit

Ob sich jemand mit Verweis auf sein Gewissen oder seinen Glauben (Art. 4 Abs. 1 GG) vor einer strafrechtlichen Verurteilung schützen kann, ist umstritten. Die herrschende Meinung zieht dabei klare Grenzen.

Grundsätzlich gilt: Wer aus religiösen oder moralischen Überzeugungen handelt, kann sich allenfalls auf einen besonderen Entschuldigungsgrund berufen. Bei aktiven Taten – den sogenannten Begehungsdelikten – ist diese Entschuldigung allerdings kaum denkbar. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Art. 4 Abs. 1 GG ist nicht grenzenlos. Sobald durch das Handeln Individualrechtsgüter Dritter betroffen sind, gibt es aus verfassungsrechtlicher Sicht klare Beschränkungen.

Etwas mehr Spielraum gibt es bei Unterlassungsdelikten. Hier öffnet der Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens ein Hintertürchen, um die Bedeutung von Art. 4 Abs. 1 GG bei der Schuldprüfung zu berücksichtigen. Dieser Ansatz führt insbesondere dann zu einer Entschuldigung, wenn das Recht andere Wege bietet, um das gefährdete Rechtsgut zu schützen – ohne den Gewissensträger direkt zu zwingen, gegen seine Überzeugung zu handeln.

Das lässt sich an einem Beispiel verdeutlichen: Die Eltern des 10-jährigen K gehören der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas an. Aus religiösen Gründen lehnen sie lebensrettende Bluttransfusionen ab. Als K eine dringend notwendige Operation benötigt, verweigern die Eltern die Zustimmung – und das, obwohl sie sich der Lebensgefahr bewusst sind. In dieser Situation gibt es für den behandelnden Arzt rechtliche Alternativen: Er kann beim Familiengericht die Zustimmung zur Bluttransfusion beantragen (§ 1666 Abs. 1, Abs. 3 BGB) oder sich, wenn schnelles Handeln erforderlich ist, auf den rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) berufen. Da das Recht diese Ausweichmöglichkeiten bereithält, ist den Eltern der Gewissenskonflikt – entweder sündhaft zu handeln oder das eigene Kind zu gefährden – nicht zuzumuten. Strafrechtlich werden sie in diesem Fall also nicht belangt. Anders sieht es aus, wenn die Eltern überhaupt nichts unternehmen und K einfach zu Hause lassen, obwohl ihnen die Notwendigkeit einer Bluttransfusion bewusst ist. In diesem Fall wiegt das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit des Kindes (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) schwerer als die Glaubens- oder Gewissensfreiheit der Eltern. Art. 4 Abs. 1 GG schützt sie hier nicht. Ihre religiösen Überzeugungen können lediglich strafmildernd berücksichtigt werden, eine Strafbarkeit nach den §§ 212, 22, 13, 221 Abs. 1 Nr. 2 oder 323c StGB bleibt bestehen.