§ 157 StGB regelt den sogenannten Aussagenotstand und gewährt einen besonderen Strafmilderungsgrund für Zeugen, die unter der Zwangslage stehen, dass eine wahrheitsgemäße Aussage sie selbst oder ihre Angehörigen belasten würde. Klingt erstmal einleuchtend, oder? Doch der Teufel steckt im Detail. Schauen wir uns an, was diese Vorschrift in der Praxis wirklich bedeutet und wie er sich von anderen, ähnlichen Normen unterscheidet.
Verhältnis zu §§ 34, 35 StGB
Im Vergleich zu den Notstandsvorschriften der §§ 34 und 35 StGB, die auf die Notwendigkeit abzielen, eine gegenwärtige Gefahr abzuwenden, ist § 157 StGB etwas anderes. Denn anders als bei einem klassischen Notstand, der sich auf eine konkrete Gefahr bezieht, kann der „Notstand“ hier durch legale Optionen wie die Aussageverweigerung (§§ 52, 55 StPO) vermieden werden. Warum? Nun, der Zeuge könnte sich dazu entscheiden, nicht zu schweigen, obwohl er dazu berechtigt ist, weil er befürchtet, dass das Schweigen als Eingeständnis gewertet wird. Es ist also nicht die Gefahr selbst, die hier unmittelbar zu einer strafbaren Handlung führt, sondern die Zwangslage des Zeugen, der sich zwischen der Wahrheit und seiner eigenen oder der Sicherheit eines Angehörigen entscheiden muss. Im Vergleich zu den §§ 34 und 35 StGB geht es hier also nicht um die Abwehr einer „gegenwärtigen Gefahr“ im klassischen Sinne. Stattdessen stellt § 157 StGB eine spezielle Norm dar, die auch dann anwendbar ist, wenn der Zeuge sich nicht auf das ihm zustehende Schweigerecht beruft – sogar wenn er zuvor noch durch eine Falschaussage seine eigene Situation verschärft hat.
Angehörige
Wenden wir uns nun den einzelnen Aspekten des § 157 StGB zu. Zunächst einmal: Wer genau ist hier gemeint, wenn von „Angehörigen“ die Rede ist? Die Vorschrift beschränkt sich auf enge Verwandte, wie sie in § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB definiert sind. Es gibt zwar Diskussionen darüber, ob diese Regel auch auf nahestehende Personen ausgeweitet werden könnte, wie es bei § 35 Abs. 1 S. 1 StGB der Fall ist, aber das bleibt letztlich dem Gesetzgeber überlassen. Und auch wenn der Zeuge durch eine Falschaussage versucht, sich selbst oder jemanden aus seiner Familie vor Strafe zu bewahren, muss nicht zwingend das Ziel der Selbstbegünstigung der einzige oder sogar der Hauptzweck der Aussage sein. Entscheidend ist, was der Täter subjektiv in dem Moment glaubt und nicht, ob es objektiv eine echte Strafverfolgungsgefahr gibt.
Gefahrabwendungsabsicht
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass der Zeuge die Gefahr der Bestrafung schon vor seiner falschen Aussage spüren muss. Es geht also nicht darum, dass die Aussage selbst eine neue Gefahr erzeugt. Stattdessen muss die Gefahr, dass er sich durch eine wahrheitsgemäße Aussage selbst oder einen Angehörigen belasten würde, bereits bestehen. Und hier kommt es auf die subjektive Wahrnehmung des Zeugen an. Wenn jemand einfach nur mit der Absicht aussagt, sich selbst oder einen Angehörigen zu entlasten, und dabei unbewusst die Wahrheit verfälscht, greift § 157 StGB nicht.
Das bedeutet: Wenn ein Zeuge vor Gericht aussagt und dabei unrichtige Angaben macht, weil er glaubt, dadurch eine Strafe zu vermeiden oder zu mindern, könnte er von der Strafmilderung profitieren. Aber es muss eine klare Zwangslage bestehen.
Ein Beispiel zur Veranschaulichung, was wir hier meinen: Z ist Zeugin im Strafverfahren und sagt aus, dass ihr Freund F sie am Tatort gesehen hat – obwohl das nicht stimmt. Sie tut dies, weil sie denkt, dass ihr Schweigen als Eingeständnis gewertet werden könnte. F wird aufgrund ihrer falschen Aussage freigesprochen. In diesem Fall wäre eine Strafmilderung gemäß § 157 StGB möglich, weil Z unter Druck stand, sich entweder selbst oder F zu belasten. Doch was passiert, wenn Z in der Berufungsverhandlung erneut falsch aussagt? Hier kann § 157 StGB auch greifen, da ihre Falschaussage als „Vortat“ angesehen wird, sodass die Strafe gemildert werden kann.
Und was, wenn jemand in einem völlig anderen Zusammenhang falsch aussagt? Zum Beispiel B, der seinem Bruder A ein falsches Alibi verschafft, obwohl er von der Tat nichts weiß. Hier würde § 157 StGB nicht angewendet, da B nicht unter dem Druck steht, sich selbst oder einen Angehörigen zu belasten, sondern schlicht falsch aussagt, um A zu schützen.