Rechtsgut

Wenn wir in die §§ 185 ff. StGB reinschauen, merken wir ziemlich schnell: Hier geht’s nicht bloß um verletzte Gefühle. Nein, das Strafrecht schützt ein ziemlich wichtiges Gut – die Ehre. Und die hat’s in sich. Der BGH hat das in einer seiner Entscheidungen mal ziemlich treffend auf den Punkt gebracht: Ein Angriff auf die Ehre liegt dann vor, wenn jemand einem anderen Mängel nachsagt, die – würden sie denn stimmen – dazu führen würden, dass der Betroffene in der Achtung anderer Menschen absackt. Es geht also um Aussagen, die den „Geltungswert“ einer Person untergraben. So nennt das der BGH. Und das kann entweder ein übles Werturteil sein oder auch eine ehrverletzende Tatsachenbehauptung. Wichtig ist nur: Es muss so rüberkommen, als wolle der Täter Missachtung oder Geringschätzung ausdrücken. Dann wird’s strafbar.

Aber was genau ist das eigentlich, diese „Ehre“? Da wird’s schon schwieriger. Denn über die Jahrhunderte hat sich einiges angesammelt an Vorstellungen, was darunter fällt – und was nicht. Früher war man sich relativ einig: Es gibt zwei Seiten der Ehre. Die „innere„, also das, was wir Menschen sozusagen aus uns selbst heraus an Würde mitbringen. Und die „äußere„, das ist der gute Ruf in der Gesellschaft. Der Gedanke: Beides ist schützenswert. Die innere Ehre wird durch § 185 StGB verteidigt, die äußere durch § 186 (Üble Nachrede) und § 187 (Verleumdung) StGB. Heute sieht das die herrschende Meinung ein bisschen anders. Man denkt eher normativ – also nicht: Was fühlt die betroffene Person? Sondern: Was schuldet ihr die Gesellschaft an Achtung, allein weil sie Mensch ist? Dabei geht’s weniger um ein empfindliches Ehrgefühl als um einen objektiven Achtungsanspruch, den jeder Mensch verdient. Trotzdem bleibt die Unterscheidung zwischen innerem und sozialem Geltungswert nicht ganz bedeutungslos – je nachdem, wo man den Schwerpunkt setzt, kann das nämlich Einfluss darauf haben, wie man bestimmte Äußerungen rechtlich bewertet.

Klar ist aber: Es gibt keine „Einheits-Ehre“, die bei allen Menschen gleich tickt. Vielmehr hängt der jeweilige Achtungsanspruch stark davon ab, wer da beleidigt wird – also welche gesellschaftliche Rolle oder Stellung die Person hat. Ein Kind hat einen anderen sozialen Geltungswert als ein Spitzenpolitiker. Und auch das spielt rein.

Ein veralteter Ansatz ist zum Glück heute passé: der sogenannte faktische Ehrbegriff. Dabei ging es vor allem um die subjektiven Empfindungen der Betroffenen – also darum, ob jemand sich beleidigt fühlt. Das allein reicht aber eben nicht. Wenn jemand völlig überempfindlich reagiert, heißt das noch lange nicht, dass das Strafrecht einspringt. Nur wenn der Achtungsanspruch objektiv verletzt ist, ist die Schwelle überschritten. Und auch beim guten Ruf geht’s nicht um irgendein beliebiges Image, sondern um den berechtigten sozialen Geltungswert – also den Ruf, den man auch tatsächlich verdient hat. Wer sich ungerechtfertigt als Held der Arbeit aufspielt, hat damit noch keinen strafrechtlich schützenswerten Ruf.

Ehrträger

Kollektivbeleidigung

Jetzt wird’s ein bisschen frustrierend, aber eben auch juristisch spannend: Es gibt Äußerungen, die ziemlich daneben sind, aber trotzdem keinen Ärger im Strafrecht machen. Der Grund? Sie sind zu allgemein. Wenn jemand zum Beispiel rausposaunt: „Alle Anwälte lügen“ oder „Alle Ärzte sind Kurpfuscher“, dann ist das keine Beleidigung im Sinne der §§ 185 ff. StGB – zumindest nicht gegenüber einer bestimmten Person. Warum? Weil solche Sprüche in der Luft hängen und keinen konkret treffen. Es fehlt schlicht die Zuweisung. Und Strafrecht ohne klaren Adressaten? Das läuft nicht. Auch bei Sprüchen wie „Alle Polizisten sind Schweine“ (ja, sowas gibt’s wirklich als Aufkleber) oder Kürzeln wie „A.C.A.B.“ („All Cops Are Bastards“) oder „FCK CPS“ („Fuck Cops“) ist das so eine Sache. Solange nicht eindeutig klar ist, dass sich das auf eine bestimmte Person oder klar abgrenzbare Gruppe von Polizisten bezieht – etwa auf eine bestimmte Einheit nach einem Einsatz –, bleibt es bei einem pauschalen Rundumschlag. Geschmacklos, aber eben keine strafbare Beleidigung. Strafrechtlich ist das Ganze also mehr Luftnummer als Volltreffer.

Über § 194 Abs. 3, 4 StGB hinausgehend erkennt die herrschende Meinung zu Recht auch die unmittelbare Beleidigungsfähigkeit von Personengemeinschaften an, wenn diese eine rechtlich anerkannte gesellschaftliche Funktion erfüllen und einen einheitlichen Willen bilden können. Beispiele: Bundeswehr, Parteien oder eine GmbH als Verlegerin einer Tageszeitung.

Kollektive Beleidigung

Aber aufgepasst: Nicht jede Pauschale ist harmlos. Manchmal steckt hinter einem Satz wie „Alle Berufssoldaten sind Folterknechte und Henker“ eben doch ein ziemlich klarer Angriff auf jede einzelne, individualisierbare Person in dieser Gruppe. Das hat auch der BGH mal klargestellt: Wenn sich aus dem Zusammenhang ergibt, dass nicht bloß nebulös „irgendwelche“ Soldaten gemeint sind, sondern wirklich alle, dann knallt der Satz durch – und zwar strafrechtlich. In solchen Fällen spricht man von vielen Einzelbeleidigungen, die nur wie eine Kollektiväußerung wirken. Juristisch nennt man das Idealkonkurrenz – eine Handlung, viele Tatopfer, und das Ganze kommt in der Klausur besonders gern.

Ein Beispiel, das große Wellen geschlagen hat: „Soldaten sind (potentielle) Mörder.“ Der Satz ist bekannt, die juristische Diskussion dazu ein eigenes Kapitel. Das BVerfG hat sich damit ausführlich beschäftigt. Wichtig ist: Wer sich auf eine bestimmte, klar umrissene Gruppe bezieht, kann sich nicht hinter Allgemeinplätzen verstecken. Noch ein paar weitere Beispiele für diesen Trick mit der „getarnten Einzelbeleidigung“: Wenn jemand sagt, „Zwei Mitglieder der X-Fraktion unterstützen Terroristen“, meint er im Zweifel die ganze Truppe – jedenfalls dann, wenn klar ist, dass alle gemeint sein können. Oder: „Ein bayerischer Staatsminister hat mit einem Call-Girl-Ring zu tun gehabt“ – das geht gegen alle Minister, wenn kein Name fällt. Und wenn’s heißt: „Die Müllers sind Gauner“, dann trifft das nicht die Familie als Einheit (die ist nämlich nicht beleidigungsfähig), sondern jedes einzelne Familienmitglied. Willkommen im Strafrecht!

Manchmal geht’s sogar noch weiter: In einer sehr weitreichenden Entscheidung hat der BGH sogar gesagt, dass die „als Juden vom Nationalsozialismus Verfolgten, die heute in Deutschland leben“, beleidigungsfähig sind – weil es sich um eine konkret abgegrenzte und historisch klar definierte Gruppe handelt. Andere pauschale Aussagen über etwa „Ausländer“, „Asylanten“ oder „Türken“ bleiben hingegen außerhalb des § 185 StGB – das wäre dann Sache des § 130 StGB (Volksverhetzung). Strafrechtlich bleibt also wichtig: Kollektiv ist nicht gleich kollektiv – es kommt immer auf die konkrete Eingrenzung an.

Kundgabe und Kundgabeerfolg

Damit eine Beleidigung strafrechtlich überhaupt in Betracht kommt, reicht es nicht, dass jemand insgeheim eine abfällige Meinung über jemanden hat. Entscheidend ist, dass diese Geringschätzung nach außen dringt – und das ist der Punkt, an dem zwei zentrale Begriffe ins Spiel kommen: Kundgabe und Kundgabeerfolg. Wenn Du jemandem im Kopf die Meinung geigst, ist das vielleicht psychologisch relevant, aber das Strafrecht interessiert sich erst dann dafür, wenn Du den Gedanken auch mitteilst – zum Beispiel verbal, durch eine Geste oder schriftlich. Diese Mitteilung nach außen nennt man Kundgabe.

Aber auch das allein reicht noch nicht. Es muss nämlich auch jemand geben, der die Mitteilung wahrnimmt und versteht, dass damit eine Missachtung gemeint ist. Dieser Moment des Ankommens heißt Kundgabeerfolg. Wenn also jemand „Arschloch“ ruft, aber niemand das hört, ist zwar eine Kundgabe versucht, aber der Kundgabeerfolg fehlt – die strafbare Beleidigung ist damit nicht vollendet. Andersherum gilt: Wenn Du jemandem ganz nonverbal den Mittelfinger zeigst, aber der das gar nicht mitbekommt, hast Du zwar etwas Kundbares getan, aber eben keinen Kundgabeerfolg erzielt. Strafrechtlich bleibt das dann folgenlos – auch wenn’s in Deinem Kopf vielleicht ganz befriedigend war.

Wichtig ist also immer: Es braucht ein Zielpublikum. Entweder ist das die beleidigte Person selbst oder ein Dritter, der versteht, dass hier jemand abgewertet wird – und das auch richtig einordnen kann. Dabei kann auch eine mittelbare Kundgabe ausreichen. Wenn Du zum Beispiel jemandem einen Brief schreibst, in dem Du über einen Dritten herziehst, und dieser Brief absichtlich oder fahrlässig in die Hände dieses Dritten gerät, kann das zur Beleidigung führen – auch wenn es gar nicht direkt an ihn gerichtet war. Hauptsache, er versteht den abwertenden Inhalt und erkennt, dass er gemeint ist. Dann haben wir einen Kundgabeerfolg – und das Strafrecht wird hellhörig. Eine kränkende Tagebuchaufzeichnung mit beleidigendem Inhalt ist demnach nicht tatbestandsmäßig, da der Vorsatz zur Kundgabe fehlt.

Außerdem sind vertrauliche beleidigende Äußerungen über (nicht anwesende) Dritte im engsten Familienkreis straflos, soweit es um §§ 185, 186 StGB geht. Verleumdungen (§ 187 StGB) sind nicht erfasst, weil es auch in diesem Kreis kein schutzwürdiges Interesse gibt, wider besseres Wissen durch falsche Tatsachenbehauptungen die Ehre anderer zu verletzen.

Kundgabe eigener Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung

§ 185 StGB ist weit gefasst: Er deckt ehrenrührige Tatsachenbehauptungen gegenüber dem Betroffenen ebenso ab wie ehrverletzende Meinungsäußerungen gegenüber allen – dem Betroffenen oder Dritten. Also entweder: Du behauptest etwas Ehrschädigendes direkt gegenüber der betroffenen Person („Du hast Geld geklaut“), oder Du gibst ein wertendes Urteil ab („Du bist ein Lügner“).

Die Einstufung einer Äußerung als Werturteil oder Tatsachenbehauptung bestimmt sich danach, wie der angesprochene Verkehr sie nach Form und Inhalt in ihrem Gesamtzusammenhang versteht (BGH). Ob etwas eine Beleidigung ist, entscheidet also nicht Dein Gefühl oder das des Beleidigten, sondern der neutrale Beobachter – also ein unbeteiligter Dritter, der die Situation kennt. Der fragt sich: Wie ist die Äußerung im konkreten Umfeld zu verstehen? In welchem Ton, in welchem sozialen Kontext, in welchem Gesprächsrahmen?

Werturteil

Werturteile sind durch das Element des Wertens, Meinens und Dafürhaltens gekennzeichnet.

Und ja, die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) spielt auch mit. Viele Aussagen sind vielleicht hart, aber von der Verfassung gedeckt – besonders im politischen oder öffentlichen Meinungskampf. Schauen wir mal rein, was Gerichte so alles beschäftigt hat. Klassiker: „Sau“, „Idiot“, „Lügner“, „Scheißbulle“ – das sind klare Fälle. Grauzonen: „Clown“ zu einem Polizisten? Könnte beleidigend sein – muss aber nicht. Kommt drauf an, wie, wo und wann. Soldat = Mörder? Grundsätzlich kritisch. Aber wenn’s eine politische Aussage ist, die sich nicht auf Einzelpersonen bezieht, kann es erlaubt sein (BVerfG). „Bulle“: Klingt hart, kann aber auch als Symbol für Stärke gemeint sein – sagt zumindest ein Gericht. „Sie können mich mal…“ kann beleidigend sein, muss es aber nicht – je nachdem, wie es gemeint ist. Es kommt wirklich auf den Ton und den Kontext an. Was im Freundeskreis witzig ist, kann im Amtszimmer richtig schiefgehen.

Gerade bei Angriffen auf die sexuelle Selbstbestimmung gilt: § 185 StGB soll nicht als Notnagel herhalten, wenn andere Vorschriften (z. B. § 177 StGB) nicht greifen. Ein simples „Ich will Dich ficken“ reicht nicht – zumindest nicht für § 185 StGB. Auch das Gaffen auf einer Damentoilette fällt nicht darunter, solange keine ehrkränkende Bewertung transportiert wird. Anders sieht’s aus, wenn jemand öffentlich an intime Stellen greift – dann wird die Grenze zur tätlichen Beleidigung überschritten. Ein paar Beispiele: „Ruf mich an, wenn Du Lust auf Telefonsex hast“ – das kann reichen. „Hier, 10 Euro – lass Dich mal anfassen“ – auch. Aber wenn jemand wirklich ein „leichtes Mädchen“ ist, fällt eine entsprechende Bemerkung nicht unter § 185 StGB – weil die Wahrheit nun mal nicht beleidigend ist, wenn sie „verdient“ ist. Hart, aber juristisch konsequent.

Tatsachenbehauptung

Tatsachen sind Vorgänge oder Zustände, deren Vorliegen dem Wahrheitsbeweis zugänglich ist.

Wenn Du jemandem ins Gesicht sagst: „Du hast Geld aus der Kasse geklaut“, dann behauptest Du eine Tatsache – und zwar direkt gegenüber dem Betroffenen. Das ist anders als bei § 186 StGB, der sich auf Behauptungen gegenüber Dritten bezieht.

Aber was, wenn Du Dich irrst? Und was, wenn ein Dritter das zufällig mitbekommt? Dann wird’s knifflig. Beispiel: Ein Chef beschuldigt seinen Azubi, Geld gestohlen zu haben. Ein anderer Azubi hört mit. Damit ist § 186 StGB erfüllt – aber der Chef wusste das nicht. Dann greift § 16 StGB (Tatbestandsirrtum), und er bleibt straflos. Und bei § 185 StGB? Hier streiten sich die Geister: Die herrschende Meinung sagt, dass eine falsche Tatsachenbehauptung gegenüber dem Betroffenen nur dann strafbar ist, wenn sie nachweislich falsch ist. Wer also glaubt, etwas sei wahr, irrt sich aber – der bleibt straflos.

Rechtswidrigkeit

Jetzt wird’s spannend. Denn nicht jede Äußerung, die erstmal wie eine Beleidigung klingt, ist auch strafbar. Manchmal darf man nämlich ganz schön deutlich werden – wenn man dabei ein berechtigtes Interesse verfolgt. Genau darum geht’s in § 193 StGB. Der Paragraf kann sozusagen die Exit-Tür aus dem Beleidigungsdschungel sein – zumindest, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind.

Bevor wir uns diesen § 193 StGB aber genauer anschauen, solltest Du wissen: Auch allgemeine Rechtfertigungsgründe wie Notwehr, Notstand oder Einwilligung können eine Beleidigung rechtlich verschwinden lassen. Aber wenn das alles nicht passt, lohnt sich der Blick auf § 193 StGB. Der gilt speziell für Meinungsäußerungen – und da vor allem im Bereich der Beleidigungsdelikte. Für andere Delikte, wie Hausfriedensbruch oder Verletzung des Dienstgeheimnisses, kann man den Paragrafen aber nicht einfach mitbenutzen. Keine Analogie-Party hier, sorry!

Im Mittelpunkt steht eine Abwägung: Auf der einen Seite haben wir die Ehre desjenigen, der sich beleidigt fühlt. Auf der anderen Seite steht das Interesse desjenigen, der was Kritisches loswerden wollte. Und wenn dieses Interesse stark genug ist, kann das die Beleidigung rechtfertigen. Die Rechtsordnung sagt dann: „Okay, das war zwar hart – aber unter den Umständen verständlich.“

Berechtigte Interessen

§ 193 StGB liefert ein paar Beispiele, aber so richtig konkret wird er nicht. Es geht oft um Kritik – und sachliche Kritik ist sowieso erlaubt. Die zählt gar nicht als Beleidigung, sondern fällt gleich aus dem Tatbestand raus. Das Problem sind die Äußerungen, die über eine sachliche Kritik hinausgehen und vielleicht ins Persönliche abrutschen. Genau da wird’s spannend.

Ganz wichtig ist § 193 StGB vor allem bei Tatsachenbehauptungen, die ehrverletzend sein könnten – etwa bei § 186 StGB. Wenn man zum Beispiel in einem Gerichtsprozess etwas behauptet, das nicht bewiesen ist, aber zur Verteidigung dient, kann das unter § 193 StGB fallen. Sonst müsste man ja schweigen, obwohl man sein Recht durchsetzen will – das wäre ganz schön ungerecht. Beispiele gefällig? Ein Verteidiger sagt im Prozess, dass der Zeuge lügt – obwohl er’s nicht beweisen kann. Oder ein Anwalt stellt die Nebenklägerin als psychisch auffällig dar – und will das sogar vom Gericht prüfen lassen. Oder ein Angeklagter nennt einen Zeugen unglaubwürdig – bleibt aber unterhalb der Schwelle zur Verleumdung. Solche Aussagen können durch § 193 StGB gedeckt sein. Wichtig ist immer: Sie dienen der Durchsetzung oder Verteidigung eines Rechts. Also: nicht einfach draufhauen, sondern mit Grund und Ziel.

Klar, auch private oder allgemeine Interessen können „berechtigt“ sein. Zum Beispiel: Wenn Du aus gutem Grund eine Strafanzeige stellst. Wenn Du Dienstvergehen meldest. Wenn Du Dich politisch äußerst, zum Beispiel mit einem kritischen Leserbrief. Oder wenn die Presse über Missstände berichtet. Aber: Wenn es Dir nur um Aufmerksamkeit oder Skandal geht, wird’s kritisch. Dann kippt das Ganze schnell – und § 193 StGB zieht nicht mehr.

Abwägung

Jetzt kommt der Balanceakt: Zwischen dem Interesse an der Aussage und dem Schutz der Ehre muss ein angemessenes Verhältnis bestehen. Drei Fragen sind entscheidend: Ist die Aussage überhaupt geeignet, das Interesse zu verfolgen? War sie erforderlich? Hätte es vielleicht eine mildere Form gegeben? Und war sie angemessen – also in ihrer Art und Weise nicht völlig überzogen? Beispiel: Wenn jemand einen Polizisten im Gericht als „bedenkenlosen Berufslügner“ bezeichnet, bringt das die Wahrheit nicht unbedingt näher. Solche Worte sind eher geeignet, die Stimmung aufzuheizen – aber nicht, um die Sache weiterzubringen. Das heißt: keine Rechtfertigung.

Ausnahmen

Es gibt aber Ausnahmen, bei denen die Meinungsfreiheit sofort zurücktritt: Das ist der Fall, wenn die Menschenwürde verletzt wird, es sich um eine krasse Formalbeleidigung handelt (Fäkalsprache & Co.) oder wenn jemand nur noch verächtlich gemacht wird, ohne jeden Sachbezug (reine Schmähkritik).

Qualifikationen

§ 185 Alt. 2 StGB enthält neben den drei 2021 neu eingefügten Qualifikationsgründen, die denen der §§ 186 Alt. 2, 187 Alt. 2 StGB (öffentlich, in einer Versammlung, durch Verbreiten eines Inhalts) entsprechen, unverändert die Qualifikation bei tätlichen Beleidigungen. Die Tätlichkeit verlangt einen körperlichen Bezug, wie er z. B. bei ehrkränkenden Ohrfeigen oder beleidigendem Anspucken gegeben ist.