Was genau schützt eigentlich § 266 StGB? Ganz einfach: das Vermögen. Und zwar ausschließlich das Vermögen. Kein Täuschungstrick muss vorliegen, keine Bereicherungsabsicht – es geht nur darum, dass jemand einem anderen durch eine pflichtwidrige Handlung einen Vermögensschaden zufügt. Und das von innen heraus. Während beim Betrug jemand von außen täuscht und bei der Unterschlagung nur mit Sachen hantiert wird, ist § 266 StGB das Gesetz für die, die ihren Posten missbrauchen – also den Schaden als Vertrauensperson von innen anrichten.
Gerade in den letzten Jahren ist der Tatbestand der Untreue verstärkt in die Kritik geraten. Warum? Weil viele meinen, dass man mit § 266 StGB nicht so richtig weiß, woran man ist. Vor allem dann, wenn die entscheidende Pflichtverletzung auf Regelungen aus dem Gesellschaftsrecht beruht – und die bekanntlich oft sehr allgemein gehalten sind. Es geht dann zum Beispiel um Vorschriften wie § 93 AktG oder § 43 GmbHG, also Regeln für Geschäftsleiter, die nicht gerade vor Klarheit strotzen. Auch der Trick, den § 266 sich bei § 263 StGB abschaut – die Idee des Gefährdungsschadens – gefällt nicht allen. Aber: Das BVerfG hat 2010 ein Machtwort gesprochen. In BVerfGE 126, 170 hat es den Untreuetatbestand auf Herz und Nieren geprüft und für verfassungsgemäß erklärt. Es hat gesagt: Ja, es kann genügen, wenn jemand das Vermögen eines anderen konkret gefährdet – aber das muss dann auch bezifferbar sein. Sprich: Es muss schon irgendwie berechenbar sein, wie hoch der Schaden ist.
Schauen wir uns § 266 Abs. 1 StGB jetzt mal genauer an. Da stehen nämlich zwei Alternativen nebeneinander – durch ein „oder“ fein säuberlich getrennt: Erstens der Missbrauchstatbestand und zweitens der Treubruchstatbestand. Gemeinsam ist beiden: Es muss eine Vermögensbetreuungspflicht verletzt werden und dem anderen muss ein „Nachteil“ entstehen – was letztlich nichts anderes meint als einen Vermögensschaden, so wie wir ihn auch aus § 263 StGB kennen.
Missbrauchstatbestand
Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis
Los geht’s mit der Frage: Hat der Täter überhaupt die Möglichkeit, für jemand anderen nach außen rechtswirksam zu handeln? Also: Kann er Verträge abschließen, Verpflichtungen eingehen, kurz gesagt, rechtlich binden? Wenn ja, dann schauen wir: Hat er diese Macht missbraucht? Das bedeutet: Im Innenverhältnis hat er klare Grenzen – die hat er überschritten. Aber nach außen war alles wirksam. Intern falsch, extern gültig.
Beispiel gefällig? Stell Dir einen Prokuristen vor. Der darf grundsätzlich für seinen Betrieb Darlehen aufnehmen. Intern aber ist das untersagt. Macht er’s trotzdem, wird der Betrieb gebunden – und der Prokurist hat genau das gemacht, was § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB meint.
Woher kann so eine rechtliche Macht kommen? Aus dem Gesetz (z. B. Eltern für ihre Kinder, Testamentsvollstrecker, Insolvenzverwalter), aus einem behördlichen Auftrag (z. B. bei Amtsträgern), oder einfach aus einem Rechtsgeschäft – etwa per Vollmacht.
Missbrauch der Befugnis
Der Missbrauch funktioniert nur, wenn der Täter auch tatsächlich rechtlich wirksam handelt – rein tatsächliches Tun reicht nicht. Wenn jemand einfach nur Geld aus der Kasse nimmt, ist das keine rechtsgeschäftliche Handlung, sondern ein Griff in die Kasse. Das mag Untreue sein, aber nicht die Missbrauchsvariante – dann wären wir beim Treubruch.
Spannend wird’s, wenn jemand eine eigentlich erloschene Vollmacht nutzt, die nach außen aber noch wirkt – § 170 BGB macht’s möglich. Auch hier kann ein Missbrauch vorliegen, weil nach außen ja immer noch alles so wirkt, als sei die Vollmacht aktiv.
Nicht ausreichend für den Missbrauch ist dagegen, wenn die Person überhaupt keine wirksame Vertretungsmacht hat – oder wenn ihr auch nach außen Grenzen gesetzt sind. Beispiel: Ein Beamter darf zwar Dienstfahrzeuge verkaufen, aber nicht unter Marktwert. Macht er es trotzdem, handelt er außerhalb seiner Befugnisse – da hilft § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB nicht weiter, aber vielleicht die zweite Alternative.
Noch ein Spezialfall: Wenn jemand nur den Anschein erweckt, befugt zu sein (Stichwort: Duldungs- oder Anscheinsvollmacht), fehlt die erforderliche originäre Vertretungsmacht. Auch das reicht nicht.
Ein paar Beispiele bringen’s auf den Punkt: Prokurist P nimmt ein Darlehen auf ; innen verboten, außen erlaubt – Missbrauchsvariante erfüllt. P greift in die Kasse – Kein Rechtsgeschäft, also kein Missbrauch, aber Treubruch. Ein Beamter verkauft ein Auto zu billig. → Handelt außerhalb seiner Vertretungsmacht – also kein Missbrauch, sondern vielleicht Treubruch. Rechtsanwalt A klagt nicht rechtzeitig, kein aktives Handeln, kein Missbrauch – aber auch hier möglicherweise Treubruch. Handelsvertreter H kassiert Geld, obwohl er’s nicht darf, keine Inkassovollmacht – also kein Missbrauch, nur Treubruch.
Vermögensbetreuungspflicht
Und jetzt wird’s spannend: Auch beim Missbrauchstatbestand reicht die reine Macht noch nicht. Es braucht zusätzlich eine spezielle Vermögensbetreuungspflicht. Und da sind wir beim Herzstück der Untreue: Wer nur gelegentlich mit Geld zu tun hat, fällt da nicht drunter. Es muss schon eine herausgehobene Verantwortung sein – wie bei Geschäftsführern, Testamentsvollstreckern oder Prokuristen.
Früher war das übrigens nicht ganz klar – vor allem, als es noch keinen eigenen Straftatbestand für Kreditkartenmissbrauch gab (§ 266b StGB kam erst 1986). Wenn jemand also mit der Karte shoppen ging, obwohl er kein Geld mehr auf dem Konto hatte, konnte das damals noch nicht unter § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB fallen – weil keine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber dem Kartenaussteller bestand.
Treubruchtatbestand
Vermögensbetreuungspflicht
Wenn wir uns den Wortlaut von § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB anschauen, fällt auf: Er bleibt ziemlich vage. Was genau eine „Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen“ sein soll, lässt sich daraus nicht so einfach ablesen. Die Fachwelt ist sich aber weitgehend einig: Wir brauchen eine enge Auslegung, damit der Straftatbestand nicht zu einem juristischen Staubsauger mutiert, der alles einsaugt, was irgendwie nach Vertragsbruch aussieht. Also: Nur weil jemand Pflichten verletzt, heißt das noch lange nicht, dass wir automatisch von Untreue sprechen. Im Zentrum steht eine besondere Verpflichtung – nämlich die, sich ernsthaft und verantwortlich um das Vermögen eines anderen zu kümmern. Aber wann genau liegt so eine Pflicht vor?
Die Vermögensbetreuungspflicht darf kein bloßes Beiwerk sein, es muss sich um eine Hauptpflicht handeln. Sie muss das Herzstück des Verhältnisses sein. Alles dreht sich darum, wie viel Verantwortung jemand wirklich übernommen hat. Wichtig ist, was vereinbart wurde – schriftlich oder mündlich – und wie das Ganze in der Praxis gelebt wird. Wer bloß ein paar Rechnungen abtippt, hat eben noch keine echte Verantwortung für fremdes Geld.
Jetzt wird’s spannend: Die Tätigkeit muss Freiräume bieten. Es muss möglich sein, selbstständig Entscheidungen zu treffen. Wer nur stur Vorgaben abarbeitet, ist draußen. Aber: Man darf sich dabei nicht täuschen lassen – wenn jemand mit fremdem Geld hantiert und der andere nicht ständig kontrolliert, kann auch das für eine echte Vermögensverantwortung sprechen. Typische Fälle: Geschäftsführer, Vermögensverwalter, Anwälte. Sie alle haben nicht nur Verantwortung, sondern auch Spielraum. Wer ist nicht gemeint? Leute, die bloß einfache Verträge erfüllen – Verkäufer, Mieter, Werkunternehmer. Nur weil sie gegen ihre Verträge verstoßen, begehen sie noch keine Untreue. Auch ein unsauber arbeitender Handwerker verletzt zwar den Vertrag, aber nicht automatisch § 266 StGB.
Personen mit gesetzlicher Vertretungsmacht: Ein klassischer Fall, der Betreuer. Er muss das Vermögen seines Schützlings pflegen – und zwar sogar noch nach dessen Tod, dann eben für die Erben. Auch Eltern, Vormünder, Geschäftsführer: alle mit an Bord.
Berufsgruppen mit selbständiger Stellung: Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater – also alle, die mit Mandantengeldern umgehen – haben in der Regel eine Vermögensbetreuungspflicht. Auch Geschäftsführer, Bürgermeister, Prokuristen und Kommissionäre zählen dazu. Besonders dann, wenn sie Gelder vereinnahmen und eigentlich treuhänderisch verwalten sollen.
Beamte: Auch hier reicht nicht jede Dienstpflicht. Entscheidend ist, ob sich die Pflicht konkret auf fremdes Vermögen bezieht. Wer zum Beispiel über Dienstfahrzeuge wacht, kann in die Pflicht genommen werden – wer einfach nur den Haushalt führt, nicht.
Sicherungsverträge: Hier ist die Linie besonders schmal. Nur in Sonderfällen, wie bei einer krassen Übersicherung, kann eine Untreuepflicht entstehen. Normale Sicherungsübereignungen oder Eigentumsvorbehalte reichen nicht.
Mietkautionen: Der Vermieter darf die Kaution nicht einfach auf den Kopf hauen. Das gilt vor allem bei Wohnraummiete, weil § 551 BGB eine besondere Schutzvorschrift enthält. Bei Gewerberäumen sieht das anders aus: Hier braucht es eine ausdrückliche Vereinbarung zur treuhänderischen Behandlung.
Kassenleiter und Kassierer: Auch hier gibt es Abstufungen. Der Kassenleiter einer Stadt mit Buchführungsverantwortung – klar drin. Der Sortenkassierer, der nur sortiert und zählt – eher nicht. Die Rechtsprechung schaut genau hin: Wer eigenverantwortlich Gelder verwaltet, Bücher führt, Quittungen ausstellt, hat die Verantwortung – andere nicht.
Weitere Fälle: Eine Person bekommt die EC-Karte eines anderen samt PIN, um regelmäßig Bargeld abzuheben – wer da Schindluder treibt, kann Täter einer Untreue sein. Wer aber lediglich eine Tankkarte nutzt, die ihm vom Arbeitgeber überlassen wurde, um privat zu tanken, begeht keine Untreue nach § 266 StGB – hier fehlt der Bezug zu einer echten Treueverpflichtung gegenüber dem Vermögen des Arbeitgebers. Auch Kreditsachbearbeiter, die Anträge nach festen Vorgaben durch ein Programm jagen, sind draußen – ihnen fehlt der Entscheidungsspielraum.
Pflichtbegründendes Treueverhältnis
Ein bisschen tricky ist, dass das Gesetz auch ein „tatsächliches“ Treueverhältnis ausreichen lässt. Das bedeutet: Selbst wenn ein Vertrag eigentlich gar nicht mehr gilt oder nie gültig war – etwa wegen Geschäftsunfähigkeit – kann ein Verhalten dennoch § 266 StGB auslösen, wenn jemand sich faktisch weiter wie ein Treunehmer verhält.
Drei typische Beispiele: Ein entlassener Prokurist hat noch den Tresorschlüssel und räumt die Kasse leer. Ein Handelsvertreter zieht nach Kündigung weiter Forderungen ein. Ein suspendierter Gerichtsvollzieher nutzt seinen Ausweis, um Zwangsvollstreckungen vorzutäuschen und sich zu bereichern.
Was zählt, ist der fortbestehende Rechtsschein eines Vertrauensverhältnisses – auch wenn das rechtlich gar nicht mehr existiert.
Pflichtverletzung
Für die Tathandlung kommt nicht nur ein rechtsgeschäftliches, sondern auch jedes tatsächliche Verhalten in Frage, also auch potenziell ein Unterlassen.
Einverständnis des Vermögensinhabers
Durch ein tatbestandsausschließendes Einverständnis kann der Pflichtige die ihm obliegende Pflicht nicht verletzen.
Vermögensnachteil
Damit Untreue nach § 266 StGB überhaupt ein Thema wird, braucht es am Ende einen echten wirtschaftlichen Knacks im betreuten Vermögen. Klingt vertraut? Kein Wunder, denn das erinnert ziemlich stark an das, was Du auch vom Betrug kennst – Stichwort Vermögensschaden aus § 263 StGB. Der Unterschied liegt eher in der Tonlage des Ganzen, nicht im Notenschlüssel. Denn auch hier ist entscheidend: Der Schaden muss real sein – und er muss genau diesem Vermögen zugefügt worden sein, das der Täter eigentlich schützen sollte (Identität). Wenn also jemand einen wirtschaftlichen Schlag ins Kontor versetzt, dann muss es genau das Konto sein, das unter seiner Obhut steht.
Wir reden also nicht über irgendwelche Nebenwirkungen, sondern über direkte Treffer. Keine Umwege, kein Streuverlust – das betreute Vermögen muss den Schaden selbst abbekommen. Das ergibt sich schon aus dem Gesetzestext: „… und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat …“. Der Gesetzgeber will also nicht, dass wir anfangen, wild herumzurechnen, wessen Interessen irgendwo am Rande betroffen sein könnten.
Vermögensschaden – wie sieht der überhaupt aus? Klar: Ein Vermögensnachteil ist jede Einbuße, die am Ende das Gesamtbild des Vermögens drückt. Es geht also nicht um einzelne Posten, sondern um die große wirtschaftliche Bilanz. Dabei gilt das Prinzip der Gesamtsaldierung: Wenn durch die Untreuehandlung zwar ein Verlust entsteht, aber gleichzeitig ein wirtschaftlich gleichwertiger Vorteil ins Haus flattert, dann hebt sich das auf. Aber Achtung: Nicht jede Rückgabe, nicht jede Zahlung zählt automatisch als Ausgleich. Was berücksichtigt werden kann, sind zum Beispiel: die Tilgung einer Verbindlichkeit, echte Gegenleistungen mit wirtschaftlichem Wert oder auch sehr konkrete, greifbare wirtschaftliche Erwartungen (Exspektanzen). Was dagegen nicht als Kompensation zählt: Schadensersatzansprüche oder Versicherungsleistungen, die erst nachträglich ins Spiel kommen. Die stehen zu weit entfernt vom Geschehen.
Und wie nah dran muss die Tathandlung am Schaden sein? Hier wird’s spannend. Denn das Gesetz spricht von „und dadurch“ – also braucht es einen Kausalzusammenhang. Klar, reine Kausalität im Sinne der Conditio sine qua non-Lehre reicht nicht. Es muss schon mehr sein: Die Rechtsprechung verlangt – angelehnt an den Betrug – einen unmittelbaren Zusammenhang. Die Pflichtverletzung muss also direkt zur Vermögenseinbuße geführt haben.
Aber: Es gibt Gegenwind. In der Literatur wächst eine Strömung, die sagt: „Moment mal! Das passt vielleicht zum Betrug, aber nicht zur Untreue.“ Denn anders als beim Selbstschädigungsdelikt § 263 geht es bei § 266 StGB nicht darum, dass jemand durch eigenes Verhalten sein Vermögen verschiebt. Sondern darum, dass jemand seine Treuepflicht verletzt – und das kann auch Folgen haben, die erst über Umwege sichtbar werden. Diese Gegenmeinung argumentiert: Der Unmittelbarkeitsgedanke passt hier nicht. Es reicht, wenn der Schaden objektiv dem Verhalten des Täters zugerechnet werden kann – wie wir es aus dem allgemeinen Strafrecht kennen.
Konkreter Fall: Die Stadtreinigung kassiert jahrelang zu hohe Entgelte wegen eines Rechenfehlers – obwohl der Fehler längst bekannt ist. Der Revisionsleiter schaut weg. Klarer Fall von Untätigkeit trotz Garantenstellung. Der BGH erkennt zwar Beihilfe zum Betrug – aber was ist mit § 266 StGB? Die Antwort: Die eigentlich untreuerelevanten Schäden entstehen erst durch spätere Schadensersatzforderungen. Der BGH sagt: Das ist nicht „unmittelbar“. Wenn man aber den Weg der objektiven Zurechnung geht, könnte man sagen: Die Schadenersatzforderungen sind eine Reaktion auf die gesetzte Gefahr – und damit zurechenbar. So kommt man zu einem realen Schaden.
Noch ein Beispiel: Finanzminister D sagt eine Bürgschaft über 85 Mio. Euro zu – Jahre später wird sie fällig. Der BGH meint, man müsse schon bei der Zusage einen drohenden Gefährdungsschaden feststellen. Wenn das gelingt, wird die spätere Zahlung einfach als „unmittelbar“ verbucht. Warum dieser Umweg? Fraglich. Denn mit der objektiven Zurechnung könnte man den späteren Schaden direkt und sauber erfassen – ohne auf die Eintrittswahrscheinlichkeit spekulieren zu müssen.
Spannend wird’s bei Haushaltsuntreue: Wenn ein Abgeordneter zweckgebundene Mittel zweckwidrig einsetzt, schadet er dem Staat. Auch die unberechtigte Auszahlung einer Subvention ist ein Schaden – unabhängig davon, ob der Zweck erreicht wird. Aber: Nur weil jemand gegen das Haushaltsrecht verstößt, liegt noch kein Vermögensnachteil vor. Auch hier muss man fragen: Was war die Gegenleistung? War sie wirtschaftlich etwas wert?