Klar, beim Diebstahl nach § 242 StGB bekommt man eine Sache unter der Nase weggerissen – der Klassiker mit dem Bruch fremden Gewahrsams. Aber was ist eigentlich, wenn niemandem etwas weggenommen wird, sondern jemand einfach etwas behält, was ihm gar nicht gehört? Willkommen bei der Unterschlagung.
§ 246 StGB schützt – wie der Diebstahl – das Eigentum, ist aber im Vergleich zum § 242 StGB eher die stille Variante: Keine Wegnahme, kein Bruch von Gewahrsam, sondern einfach ein „Ich behalt das jetzt“. Die Zueignung steht hier im Mittelpunkt – und das ganz objektiv. Das bedeutet: Es reicht nicht, nur wollen, man muss auch zeigen, dass man’s will.
Die typischen Fälle – Wer hat, dem gehört’s…? Eben nicht.
Unterschlagung begegnet uns besonders dann, wenn jemand die Sache bereits in der Hand hat – also Alleingewahrsam besteht – und er dann erst entscheidet: „Die ist jetzt meine.“ Die Reihenfolge ist also andersrum als beim Diebstahl. Erst Gewahrsam, dann Zueignung.
Typische Szenen dafür sind zum Beispiel: Der Verkauf einer entliehenen Sache. Der unbefugte Weiterverkauf einer unter Eigentumsvorbehalt stehenden Ware. Kassierer, Fahrer, Betriebsleiter oder Behördenchefs, die mit Sachen umgehen, als gehörten sie ihnen. Oder auch: Man bekommt eine Sache ganz legal übergeben, entscheidet aber später, sie einfach zu behalten oder sich zu eigen zu machen.
Übrigens: § 246 StGB ist ein subsidiärer Auffangtatbestand. Wenn ein anderer, schwerer wiegender Tatbestand greift, tritt er zurück. Klingt technisch – ist aber praktisch: Wer z. B. auch einen Betrug verwirklicht, wird dafür bestraft, nicht wegen Unterschlagung.
Fremde bewegliche Sache
Kennen wir schon aus § 242 StGB. Auch hier gilt: „Fremd“ ist alles, was nicht ausschließlich dem Täter gehört. Und „beweglich“ ist fast alles, was nicht fest im Boden steckt.
Aber aufgepasst: Die Sache muss konkret bestimmt sein. Also keine Unterschlagung bei bloßen Teilen einer Masse, solange nichts ausgesondert wurde. Beispiel: Der Geschäftsführer einer Baustofffirma bietet einem Kunden 100 Steine aus dem Lager zum Kauf an – unter der Hand. Der Kunde lehnt ab. Noch ist kein Versuch der Unterschlagung greifbar, denn es fehlt schon am Ansetzen zur konkreten Aussonderung (§ 22 StGB).
Ebenso gilt: Hat der Täter beim Gewahrsamswechsel Eigentum erlangt, gibt’s keine „fremde“ Sache mehr – und damit auch keine Unterschlagung. Beispiele gefällig? Wer beim Tanken ohne zu zahlen davonfährt, ist ein Klassiker: Es kommt darauf an, ob bereits Eigentum übergegangen ist – meistens nicht. Und wenn doch, liegt vielleicht eher ein Betrug vor. Auch bei versehentlich zu viel ausgezahltem Geld oder betrügerisch erlangten Gegenständen kommt es darauf an, ob eine zivilrechtlich wirksame Übereignung stattgefunden hat. Und wenn jemand Dir einfach Ware zuschickt, die Du gar nicht bestellt hast? Da darfst Du sie nach § 241a BGB behalten – und es wäre ziemlich schräg, wenn Du für das Vernichten oder Benutzen dieser Sachen plötzlich bestraft würdest. Deshalb: § 241a StGB kann als Rechtfertigungsgrund wirken.
Sich oder einem Dritten zueignet
Hier kommt jetzt das Herzstück: Die Zueignung. Und zwar in zwei Hälften – subjektiv und objektiv.
Zueignungswille
Das ist die innere Seite – vergleichbar mit der Zueignungsabsicht beim Diebstahl (§ 242 StGB).
Wille zur dauerhaften Enteignung
Wer sich eine Sache zueignet, muss also den Eigentümer dauerhaft ausschließen wollen.
Wenigstens vorübergehende Aneignung
Hier wird’s spannend: Anders als beim Diebstahl genügt bei § 246 StGB schon dolus eventualis – also „Na, wird schon irgendwie passen“. Der Täter muss sich die Sache nicht unbedingt tatsächlich einverleiben wollen, es reicht, wenn er das für möglich hält und billigend in Kauf nimmt.
Beispiel: A schenkt X eine Bücherkiste. Darin: auch Bücher, bei denen A nicht sicher ist, ob sie ihm gehören. Ihm ist das aber egal. X freut sich, und eins der Bücher gehörte in Wahrheit E. Trotzdem: Für § 246 StGB reicht dieser schludrige Umgang mit fremdem Eigentum.
Zueignungsakt
Hier unterscheiden sich § 242 und § 246 StGB ganz erheblich: Bei der Unterschlagung muss die Zueignung sichtbar werden. Der Täter muss durch sein Verhalten deutlich machen: „Das ist jetzt meins.“ Aber was genau ist eine „sichtbare Zueignung„? Darüber streiten sich die Theorien.
Die Zueignungstheorien: Manche wollen eine tatsächliche Enteignung sehen – also Eigentumsübergang, Verbrauch oder Vernichtung. Aber das schiebt die Strafbarkeit oft zu weit in die Zukunft. Andere sagen: Es reicht die konkrete Gefahr, dass der Eigentümer ausgeschlossen wird. Klingt besser – aber auch das bleibt oft unklar. Wieder andere sehen den Zueignungsakt schon bei der tatsächlichen Aneignung – also sobald der Täter wie ein Eigentümer handelt. Aber was heißt das genau?
Am klarsten ist die Manifestationstheorie: Sie sagt, es kommt darauf an, ob der Täter nach außen sichtbar macht, dass er sich die Sache aneignet – als wäre sie seine. Damit kommt es eben nicht nur auf das Wollen, sondern auch auf das Tun an. Ob durch Verkauf, Behalten, Wegwerfen oder sonst ein Verhalten: Es muss nach außen deutlich werden, dass sich jemand die Sache wie ein Eigentümer aneignet – und das objektiv nachvollziehbar.
Und jetzt wird’s spannend. Die herrschende Meinung, also das, was die Gerichte und die meisten Lehrbücher vertreten, sagt: Diese Sichtbarmachung – also die Manifestation – muss sich konkret auf die Begründung einer Herrschaftsbeziehung des Dritten beziehen. Das heißt, der Täter muss irgendetwas machen, das objektiv erkennen lässt: „Hier, ab jetzt soll der Dritte über die Sache verfügen können.“ Und das kann schon durch das Ablegen eines Buches vor der Tür geschehen, wenn der Bereich zur Sachherrschaft der Person gehört. Oder durch das Einstellen in ein Regal – ja, sogar durch das Einwerfen in den Briefkasten. In dem Moment zeigt der Täter: „Ich gebe das jetzt rüber.“ Und das reicht.
Aber: Wenn niemand das mitbekommt, ist das dann wirklich „manifest“? Gute Frage! Die herrschende Meinung verlangt nicht, dass jemand die Handlung beobachtet – sondern nur, dass sie objektiv geeignet ist, den Zueignungswillen zu zeigen. Es geht also um eine objektive Erkennbarkeit, nicht um tatsächliche Wahrnehmung durch andere. Der Maßstab ist also: Würde jemand, der das Verhalten sieht, erkennen, dass hier eine Zueignung beabsichtigt ist? Wenn ja – dann liegt auch eine Manifestation vor.
Damit grenzt sich die Manifestationstheorie von einem rein inneren Willen ab. Es reicht eben nicht, im Kopf „meins“ oder „seins“ zu denken. Es braucht einen äußeren Akt, der die Aneignung sichtbar macht. Und das schützt letztlich auch den Täter – denn solange niemand etwas sieht oder es nicht erkennbar wird, fehlt es am objektiven Tatbestand.
Sobald der Täter beginnt, durch sein Verhalten eine erkennbare Sachherrschaft für einen Dritten zu begründen, wird’s ernst. Dann sprechen wir von täterschaftlicher Drittzueignung – auch ohne dass der Dritte selbst etwas dazu beiträgt. Und ja, das kann selbst durch einen anonymen Akt wie das Einwerfen in den Briefkasten geschehen.
Das bloße Unterlassen der geschuldeten Rückgabe einer Sache (etwa nach Ablauf eines Mietvertrages) kann nicht als Manifestation des Zueignungswillens angesehen werden, weil es auf einer das fremde Eigentum nicht in Frage stellenden Pflichtvergessenheit beruhen kann.
Zueignungen ohne vorherige Gewahrsamsbegründung
Früher war alles komplizierter. Jedenfalls im Gesetz. Bis zum 6. Strafrechtsreformgesetz 1998 stand in § 246 Abs. 1 StGB noch drin, dass sich jemand nur dann strafbar machen konnte, wenn er sich eine Sache zueignete, „die er in Besitz oder Gewahrsam hat“. Diese Worte sind rausgeflogen – ersatzlos. Seitdem stellt sich niemand mehr die Frage, ob der Täter überhaupt vorher schon Zugriff auf die Sache hatte. Trotzdem begegnen uns im Alltag immer wieder Konstellationen, in denen genau das eine Rolle spielt. Warum? Weil sie typische Fälle der Unterschlagung sind. Und damit uns dieser Teil des Vermögensstrafrechts nicht durch die Lappen geht, schauen wir uns ein paar klassische Fallgruppen genauer an.
Fundunterschlagung
Stell Dir vor, Du findest auf dem Gehweg ein Portemonnaie. Kein Name, keine Adresse – aber 200 Euro in bar. Was nun? Wenn Du es einfach einsteckst und direkt entschlossen bist, es zu behalten, ist das eine ganz klassische Fundunterschlagung. Hier fällt Gewahrsamsbegründung und Zueignung in einem Moment zusammen. Das Gesetz verlangt keine zeitliche Trennung, also ist § 246 Abs. 1 StGB sofort erfüllt. Zack – strafbar.
Leichenfledderei
Klingt makaber, kommt aber vor: Jemand nimmt einem Toten Wertsachen ab, bevor jemand anders Gewahrsam daran begründet hat. Auch hier: In dem Moment, in dem jemand sich die Goldkette des Verstorbenen in die eigene Tasche steckt, ist der Wille zur Zueignung klar manifest. Das ist Unterschlagung, auch wenn vorher niemand anderen Zugriff hatte.
Mittelbarer Besitz
Jetzt wird’s juristisch feiner: Der mittelbare Besitz. Ein Beispiel: L leiht sich ein Jura-Kommentarwerk von V. Das Buch verleiht L dann weiter an X. Der denkt, L sei der Eigentümer, und will es ihm abkaufen. L spielt mit und verkauft das Buch. Betrug? Nein – der scheitert am gutgläubigen Erwerb und an der nötigen Nähe zwischen Geschädigtem und Getäuschtem. Aber: Unterschlagung funktioniert hier. Denn L eignet sich die Sache entweder selbst zu oder – wenn man großzügiger draufschaut – im Sinne einer Drittzueignung zugunsten von X. Strafbar ist es so oder so.
Mittäterschaft ohne (Mit-)Gewahrsam
Auch spannend: Fälle, in denen eine Person gar keinen Gewahrsam hat, aber trotzdem bei der Unterschlagung mitmischt. Etwa so: K bestellt Papierrollen bei V. F, ein Fahrer, liefert die Rollen, behält aber heimlich einen Teil zurück und verkauft ihn. Der Erlös wird mit A geteilt, einem Angestellten des K, der den Empfang aller Rollen bestätigt hat. F macht sich klar nach § 246 Abs. 2 StGB strafbar. Bei A kommt es drauf an: War er nur Gehilfe oder Mittäter? Früher hätte man lange über die Frage gestritten, ob er überhaupt Gewahrsam hatte. Heute schaut man nur noch auf seine Rolle bei der Tatherrschaft. Und bei einer Drittzueignung kann das Mittäterfeld schnell größer werden als man denkt.
Drittzueignung
Jetzt wird’s richtig interessant: Was ist, wenn sich gar nicht der Täter selbst die Sache aneignet, sondern jemand anders – zum Beispiel ein Freund, dem er das fremde Eigentum einfach zuspielt? Das ist der klassische Fall der Drittzueignung. Und ja, die kann auch strafbar sein, selbst wenn der Dritte gar nichts davon weiß.
Nimm diesen Fall: Auf einem Bauernhof verwendet der Knecht fremdes Holz, das B eingelagert hatte, zum Bau einer Scheune für A, den Bauern. Das Holz geht automatisch in das Eigentum von A über, kraft Gesetzes (§ 946 BGB). Der Knecht hat dem Bauern also etwas zugeeignet – und zwar fremdes Eigentum. Ob der Bauer davon wusste? Völlig egal. Oder ein anderes Beispiel: Jemand wirft anonym 100 Euro in den Opferstock einer Kirche. Auch hier findet durch das Einwerfen eine Vermischung statt (§ 948 BGB), die dazu führt, dass das Geld jetzt der Kirche gehört. Drittzueignung – auch ohne Absprache, ganz heimlich.
Natürlich reicht ein bloßer Gedanke nicht aus. Der Zueignungswille muss sich nach außen manifestieren. Im Fall der Drittzueignung heißt das: Es muss sichtbar werden, dass der Täter die Sache so behandelt, dass der Dritte Herrschaft darüber bekommt. Ein Beispiel: S leiht sich ein Buch von E und gibt es an K weiter – mit dem Gedanken, dass K es einfach behalten könnte. K weiß, dass das Buch E gehört, aber er behält es trotzdem. Spätestens mit der Übergabe an K liegt eine manifestierte Drittzueignung durch S vor. Ob K es tatsächlich später in sein Eigentum übernimmt, spielt keine Rolle. Oder: S legt das Buch still und heimlich vor die Tür von P – oder wirft es in ihren Briefkasten. Auch hier: Die neue Sachherrschaft von P wird durch diesen Akt deutlich. Dass P noch gar nichts weiß? Auch das ist egal. Wenn er das Buch dagegen einfach irgendwo liegen lässt, in der Hoffnung, jemand nimmt es mit, fehlt es an dieser gezielten Herrschaftsübertragung. Dann bleibt es bei einer versuchten, nicht vollendeten Tat.
Ob man bei solchen Fällen dann Täter oder nur Teilnehmer ist, hängt davon ab, wer das Ruder in der Hand hat – juristisch: die Tatherrschaft. Wer entscheidet, dass und wie die Zueignung vollzogen wird, ist Täter. Wer bloß mitmacht oder den Ablauf nicht mehr bestimmt, ist Teilnehmer. Beispiel: S sagt K am Telefon, E wolle das Buch gar nicht zurück. K glaubt es, freut sich, und behält es. Genau so hatte S das geplant – und damit handelt er täterschaftlich. Denn er hat durch seine Irreführung die Manifestation in K ausgelöst. Anders, wenn S das Buch einfach irgendwo liegen lässt, um E zu ärgern, und ein Fremder findet es: Dann fehlt es an der Tatherrschaft. Strafbar wäre er hier nur als Anstifter oder Gehilfe – sofern sich der Finder überhaupt strafbar macht.
Rechtswidrigkeit der Zueignung
Was für den Diebstahl gilt, gilt hier genauso: Die Zueignung muss rechtswidrig sein. Also keine Berechtigung aus Vertrag, Gesetz oder sonstiger Norm. Daran hat sich nichts geändert.
Wiederholte Zueignungen
Abschließend noch eine spannende Frage: Kann man sich dieselbe Sache mehrfach zueignen? Die Antwort lautet: Nein, jedenfalls nicht tatbestandsmäßig. Wer eine Sache einmal durch Diebstahl, Unterschlagung oder Betrug an sich gebracht hat, kann nicht später denselben Akt noch einmal wiederholen und dafür bestraft werden.
Denn Zueignung bedeutet, dass man die Sache dem Eigentümer dauerhaft entzieht und sich selbst einverleibt. Das geht nur einmal. Wenn man später mit der Sache irgendetwas macht – sie verkauft, verschenkt oder verbaut –, ist das keine neue Zueignung, sondern möglicherweise eine Verwertungshandlung. Und für die ist § 246 StGB StGB nicht zuständig.
Das schützt übrigens auch davor, dass alte Taten plötzlich wieder „hochgeholt“ werden, nur weil jemand Jahre später das Diebesgut weiterverkauft. Hier spielt das Konkurrenzverhältnis eine Rolle – und auch die Verjährung. § 246 StGB soll kein Auffangbecken für alles sein, was irgendwann mal mit fremdem Eigentum passiert ist.
Anvertrautsein
Bei § 246 Abs. 2 StGB handelt es sich um eine Qualifikation.
Anvertraut sind solche Sachen, bei denen dem Täter die Sachherrschaft mit der Verpflichtung eingeräumt worden ist, die Sache zurückzugeben oder nur zu bestimmten Zwecken zu verwenden. Beispiel: Unterschlagung von Geld, das der Auftraggeber zum Ankauf einer gestohlenen Sache übergeben hat.