Stell Dir vor, jemand wird mit einer Waffe bedroht und gibt dem Täter daraufhin Geld. Was ist das dann? Ein Raub oder eine Erpressung? Klingt ähnlich – ist aber was ganz anderes. Damit wir bei solchen Fällen nicht durcheinanderkommen, müssen wir sauber abgrenzen. Und da starten wir klugerweise beim Raub, also bei § 249 StGB. Warum? Weil der – so sagt’s jedenfalls die herrschende Meinung – die speziellere Vorschrift ist. Wenn der Tatbestand des Raubs erfüllt ist, braucht man § 255 StGB gar nicht mehr zu prüfen – zumindest nicht in Bezug auf die weggenommene Sache. Denn § 255 StGB ist hier nur das, was man in der Juristerei so schön einen „subsidiären Auffangtatbestand“ nennt. Er kommt also nur zum Zug, wenn der Raub gerade nicht passt. Und nach der Verfügungslehre – die gleich noch eine große Rolle spielen wird – geht sowieso nur eins: Entweder nimmt der Täter die Sache weg, oder das Opfer gibt sie her. Beides zusammen geht nicht.

Innere Willensrichtung vs. äußeres Erscheinungsbild

Literatur

Diese Verfügungslehre ist übrigens der Weg, den viele in der Literatur bevorzugen – und wir gehen ihn mit. Denn er ist differenzierter und passt besser zu anderen Konstellationen, zum Beispiel der Abgrenzung zwischen Diebstahl und Betrug. Auch da fragt man: Hat das Opfer freiwillig etwas hergegeben (dann liegt ein Betrug vor)? Oder wurde ihm einfach was weggenommen (dann ist es Diebstahl)? Genau so funktioniert die Linie auch bei Raub und Erpressung: Entscheidend ist die innere Willensrichtung des Opfers. Also: Will das Opfer – irgendwie – mitwirken oder nicht?

Ganz so einfach ist das aber leider nicht. Denn was heißt „willentlich“ in einer Situation, in der einem eine Waffe ins Gesicht gehalten wird? Deswegen wird in der Literatur durchaus gestritten, wie man das genauer fassen kann. Einigkeit besteht immerhin darüber, dass es ein Mindestmaß an Willenssteuerung braucht. Das Opfer muss bewusst handeln – selbst wenn das durch massive Drohungen ausgelöst wurde. Was aber nicht funktioniert: Die Freiwilligkeit des Handelns zum Maßstab zu machen. Denn bei Raub oder Erpressung ist freiwillig meist gar nichts – und wenn wir die Abgrenzung daran hängen würden, hätten wir es fast immer mit Raub zu tun, weil die Drohung eben so massiv ist. Das bringt uns nicht weiter.

Deshalb gibt es verschiedene Meinungen, wie man die Sache besser aufdröseln kann. Eine Auffassung sagt: Immer dann, wenn das Opfer keine echte Wahl hat – wenn es also völlig egal ist, wie es sich verhält, weil die Drohung übermächtig ist – dann ist das keine Verfügung mehr. Dann haben wir eine klassische Wegnahme. Das Gleiche gilt, wenn das Opfer die Sache gar nicht freiwillig rausgibt, sondern der Täter sich einfach selbst bedient, weil das Opfer gar nicht mehr handeln kann. Umgekehrt: Wenn das Opfer denkt, es müsse mitwirken, spricht das für eine Verfügung, also für eine Erpressung.

Problem an dieser Sichtweise: Sie setzt immer noch auf so etwas wie einen „freien Willen“, der in Zwangssituationen schwer zu greifen ist. Und sie passt nicht so richtig zum Bild der Erpressung als Freikaufsituation. Es gibt deshalb eine andere Meinung, die sagt: Entscheidend ist nicht nur, dass das Opfer mitwirkt, sondern auch, wie. Wenn es etwa den Safe-Code nennt oder das Versteck zeigt, dann ist das schon eine Vermögensverfügung – auch wenn der Täter am Ende selbst reingreift. Die Idee dahinter: Auch solche Handlungen können dem Täter die Sache verschaffen, ohne dass er sie klassisch wegnimmt.

Aber auch das hat Tücken. Denn dann müsste man den Begriff der Vermögensverfügung bei der Sacherpressung anders definieren als beim Sachbetrug – und das würde die schöne Parallele zum Wegnahmebegriff des § 242 StGB aufbrechen. Das sorgt für Unsauberkeit im System. Deshalb halten wir uns lieber an eine schlankere und klarere Linie. Und die lautet: Entscheidend ist, ob das Opfer willentlich, also irgendwie bewusst, den Gewahrsam überträgt. Wenn ja – dann ist es eine Verfügung und damit Erpressung. Wenn nein – also wenn der Täter einfach zugreift und das Opfer das geschehen lässt oder nicht mehr eingreifen kann – dann ist es eine Wegnahme und damit Raub.

Beispiel: A hält dem O eine Knarre vor und sagt: „Kohle raus, sonst knallt’s!“ O zückt seine Geldbörse und übergibt den Inhalt. Klingt auf den ersten Blick wie Raub – ist aber, wenn man’s genauer betrachtet, eine Erpressung. Denn O hat sich dem Druck zwar gebeugt, aber bewusst den Gewahrsam übertragen. Das ist die typische Freikaufssituation, bei der das Opfer versucht, durch die Herausgabe der Sache schlimmeres Unheil zu verhindern.

Jetzt nehmen wir eine Variante: O versucht, sich zu wehren, und schlägt A in die Flucht. Hier könnte man sagen: O hatte keine echte Wahl – die Bedrohung war so massiv, dass jeder Widerstand von vornherein zwecklos gewesen wäre. In diesem Fall läge dann doch ein versuchter Raub vor. Aber wenn man es differenzierter sieht – wie wir – erkennt man: O hatte durchaus eine Wahl, auch wenn sie gefährlich war. Er hätte auch nicht kooperieren können, auch wenn’s riskant gewesen wäre. Und genau das macht den Unterschied: Sobald irgendeine echte Handlungsalternative existiert, spricht das für eine Verfügung – und damit für eine Erpressung.

Rechtsprechung

Der BGH sieht das übrigens anders. Der schaut sich vor allem das äußere Bild an. Wenn’s aussieht wie ein Nehmen – also der Täter greift sich die Sache – dann ist’s Raub. Wenn’s aussieht wie ein Geben – also das Opfer überreicht etwas – dann ist’s Erpressung. Die Willensrichtung des Opfers spielt für den BGH keine Rolle.

Fazit

Unterm Strich: Die Theorie, die wir vertreten, landet oft beim gleichen Ergebnis wie die Rechtsprechung – aber über einen anderen Weg. Wir schauen auf die innere Beteiligung des Opfers. Die Rechtsprechung schaut auf die äußere Szene. Hauptsache, wir wissen, warum wir was prüfen – und dass wir es sauber voneinander abgrenzen.

Vermögensverfügung

Brauchen wir bei der Erpressung eine Vermögensverfügung – oder nicht?

Die Frage klingt auf den ersten Blick nach juristischer Haarspalterei, ist aber ein echter Klassiker in den Prüfungen – und im Leben manchmal entscheidend dafür, ob jemand als Räuber oder bloß als Nötiger mit Bereicherungsabsicht verurteilt wird. Also: Lehn Dich noch einmal kurz zurück, und wir klären, was es mit dieser Vermögensverfügung auf sich hat.

Worum geht’s? Beim Betrug ist das klar: Da braucht es immer eine Vermögensverfügung – das Opfer muss sich selbst schädigen, etwa indem es freiwillig Geld überweist oder etwas hergibt, weil es auf eine Lüge hereingefallen ist. Aber wie ist das bei der Erpressung? Müssen auch da die Genötigten selbst übers Vermögen verfügen – oder reicht es, wenn der Täter sich einfach etwas mit Gewalt nimmt?

Die Meinungen dazu gehen weit auseinander. Die eine Seite sagt: Ja, ohne Verfügung keine Erpressung! Die andere: Nö, reicht völlig, wenn durch Nötigung ein Vermögensschaden entsteht – ganz egal, ob das Opfer da noch irgendeinen Willen hatte.

Literatur

Die Verfügungslehre, also das Lager vieler Stimmen in der Literatur, sagt ganz klar: Die Erpressung ist wie der Betrug ein Selbstschädigungsdelikt. Es muss also eine willentliche Handlung des Opfers geben, durch die es selbst sein Vermögen mindert – zum Beispiel, indem es Geld herausgibt oder die Herausgabe zumindest duldet. Und diese Handlung muss bewusst erfolgen. Manchmal ist das Opfer nicht selbst betroffen, sondern ein Dritter – etwa wenn eine Kassiererin unter Druck Geld aus der Kasse gibt. Dann spricht man von der „Dreieckserpressung“, und auch da wird eine Verfügung verlangt.

Wichtig dabei: Nur Gewalt, die das Opfer noch zum Nachdenken kommen lässt – die vis compulsiva (willensbeugende Gewalt)– passt hier rein. Wenn jemand dagegen mit vis absoluta (willensbrechende Gewalt) handelt, also das Opfer etwa bewusstlos schlägt oder fesselt und dann etwas nimmt, ist keine Vermögensverfügung mehr möglich. Dann fehlt’s an der Selbstschädigung – und die §§ 253, 255 StGB passen nach dieser Ansicht nicht mehr. Solche Fälle wären dann eher beim Raub (§ 249 StGB) zu verorten – oder bei Körperverletzung plus Diebstahl.

Rechtsprechung

Der BGH ist da deutlich großzügiger. Der sagt: Was soll das Gerede von Verfügung – Hauptsache, es entsteht durch Nötigung ein Vermögensschaden. Ob das Opfer da noch „willentlich“ handelt oder nicht, ist nach dieser Meinung egal. Auch vis absoluta genügt – und dann reicht auch ein Besitzverlust, wenn der Täter damit seine Bereicherungsabsicht durchzieht.

Der große Vorteil dieser Sichtweise: Sie schließt Lücken. Denn sonst könnte jemand mit brachialer Gewalt jemanden berauben – und trotzdem nicht wegen räuberischer Erpressung verurteilt werden, wenn die Voraussetzungen des Raubes (etwa die Zueignungsabsicht) nicht vollständig passen. So wird § 255 StGB zum Auffangbecken für alle Bereicherungsdelikte mit Nötigungsmitteln – und ist damit allgemeiner als § 249 StGB.

Differenzierende Lehre

Ein paar Stimmen versuchen, die Lager zu versöhnen. Die differenzierende Lehre sagt: Bei der Erpressung von Sachen braucht man eine Vermögensverfügung – weil man sich hier sonst mit dem Raub überschneidet. Bei der Forderungserpressung dagegen (also wenn z. B. jemand mit Gewalt erreicht, dass eine Geldforderung aufgegeben wird) sei die Verfügung nicht nötig – da gäbe es ja auch keinen Diebstahl oder Raub als Konkurrenz.

Beispiele

T flieht vor der Polizei, sieht F an der Ampel stehen, zerrt sie brutal aus dem Auto und braust los. Später informiert er die Polizei, damit das Auto zurückkommt. Ergebnis: Kein Raub – denn T wollte das Auto gar nicht behalten, sondern nur zur Flucht nutzen. Aber: Die Frage ist, ob man trotzdem § 255 StGB prüfen darf. Nach der Verfügungslehre: nein, weil F ja keine Verfügung getroffen hat – sie wurde einfach gewaltsam aus dem Auto entfernt. Die Rspr. dagegen sagt: Doch, denn es gab ja einen Vermögensschaden (Nutzungsausfall) und eine Nötigung. Ergebnis: T wird bestraft – § 255 StGB i. V. m. § 316a StGB.

S will das Hotel prellen, sperrt dafür den Portier ein und verschwindet mit ihrem Schmuck. Der Hotelinhaber hat laut BGB ein Pfandrecht an dem Schmuck. Auch hier: Nach der Verfügungslehre scheidet § 255 StGB aus – vis absoluta, keine Verfügung. Die Rspr. sagt: Es liegt ein Schaden vor, also greift § 255 StGB – das Pfandrecht wurde entwertet.

G steigt aus dem Taxi, will nicht zahlen. a) Er zieht eine Waffe, der Fahrer lässt ihn gehen. b) Er schlägt den Fahrer nieder. Variante a): Alle sagen: § 255 StGB erfüllt – denn der Fahrer verzichtet noch willentlich auf Sicherungsmaßnahmen. Variante b): Verfügungslehre sagt: Kein § 255 StGB, sondern nur Körperverletzung und Nötigung – weil keine Willensbildung mehr möglich war. Rspr. und differenzierende Lehre sehen’s wieder anders: auch hier § 255 StGB.

Fazit

Die Literatur hält viel davon, dass § 255 StGB nicht einfach jede vermögensschädigende Nötigung schlucken darf. Sonst wird § 249 StGB als Leitnorm seiner Funktion beraubt – und das will der Gesetzgeber sicher nicht. Noch deutlicher wird das beim § 248b StGB (unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs): Wenn jemand einfach nur mit Gewalt einen Leihwagen „ausborgt“, soll er nicht wie ein Räuber behandelt werden. Das sieht der BGH aber in manchen Fällen anders – und schießt damit über das Ziel hinaus.

Noch ein Argument: Wenn schon jemand mit einer bloßen Drohung zu einem vermögensschädigenden Verhalten gezwungen wird – z. B. zur Duldung einer Wegnahme –, dann darf das nicht härter bestraft werden als ein gewöhnlicher Diebstahl mit Drohung. Sonst machen wir aus § 253 StGB einen „kleinen Raub„, den das Gesetz gar nicht kennt.

Die Verfügungslehre hält die Systematik des Strafrechts sauber und schützt vor übermäßiger Strafschärfung. Sie ordnet die Erpressung klar als Selbstschädigungsdelikt ein – wie den Betrug – und grenzt sie sauber vom Raub ab. Denn das typische Bild der Erpressung bleibt: Jemand zahlt, um sich vom Zwang zu befreien. Wer dagegen einfach etwas wegnimmt, ohne dass das Opfer darüber entscheidet, handelt wie ein Dieb oder Räuber – nicht wie ein Erpresser.