Privatautonomie und Vertragsfreiheit
Wenn Du verstehen willst, wie unser Privatrecht tickt, kommst Du an zwei Begriffen nicht vorbei: Privatautonomie und Vertragsfreiheit. Die beiden sind sowas wie das Herzstück des BGB – also der große Rahmen, in dem sich private Rechtsverhältnisse abspielen. Stell Dir vor, das BGB ist ein Spielfeld, und die Privatautonomie gibt Dir die Freiheit, darauf Deine eigenen Spielzüge zu planen – solange Du die Regeln einhältst.
Privatautonomie bedeutet: Du darfst selbst entscheiden, mit wem Du Verträge abschließt, wie sie aussehen sollen, und ob Du überhaupt einen willst. Du gestaltest Deine Rechtsbeziehungen selbst – eigenverantwortlich, so wie es Dir passt. Klingt gut? Ist es auch. Und damit Du das in der Praxis auch wirklich machen kannst, hat das Recht ein Werkzeug parat: das Rechtsgeschäft. Vor allem der Vertrag ist da der Star.
Vertragsfreiheit ist das Zauberwort. Die beinhaltet gleich mehrere Freiheiten: Du kannst entscheiden, ob Du einen Vertrag überhaupt eingehen willst. Du darfst Dir den Vertragspartner aussuchen – das nennt sich Abschlussfreiheit. Du kannst den Inhalt des Vertrags gestalten, wie Du möchtest – Inhaltsfreiheit. Und Du darfst auch einfach mal „Nein“ sagen – das ist die negative Vertragsfreiheit. Die allermeisten Verträge brauchen keine besondere Form – also auch hier: viel Freiheit.
Aber – und das ist jetzt wichtig – diese Freiheiten haben natürlich Grenzen. Denn völlige Freiheit wäre manchmal unfair, besonders wenn auf einer Seite viel mehr Macht liegt als auf der anderen. Deshalb schiebt das Recht da regelmäßig einen Riegel vor, wenn das Gleichgewicht zu sehr kippt.
Beispiel: Kontrahierungszwang. Eigentlich darfst Du frei entscheiden, mit wem Du einen Vertrag abschließt. Aber stell Dir vor, jemand ist auf ein bestimmtes Gut dringend angewiesen – sagen wir Wasser, Strom oder eine Wohnung – und es gibt nur einen Anbieter. Dann darf dieser nicht einfach grundlos „Nein“ sagen. In solchen Fällen verpflichtet das Recht zum Vertragsschluss – zu fairen Bedingungen, versteht sich.
Oder das AGG – das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Es sorgt dafür, dass niemand beim Vertragsschluss diskriminiert wird. Wenn Du also z. B. eine Wohnung vermietest, darfst Du nicht sagen: „Aber nur an Deutsche.“ So was ist verboten. Und falls jemand den Verdacht hat, benachteiligt worden zu sein, reicht schon ein Indiz – dann muss die andere Seite beweisen, dass alles sauber war.
Auch bei der Vertragsgestaltung selbst gibt’s Schranken. Du darfst zwar viel frei regeln – aber nicht alles. Manche Inhalte sind gesetzlich verboten (§ 134 BGB) oder verstoßen gegen die guten Sitten (§ 138 BGB). Dann sagt das Recht: „Nee, das gilt nicht.“ Auch Verträge, die jemandem Dritten einfach Pflichten aufbürden, obwohl der gar nicht gefragt wurde, funktionieren nicht. Und wenn Du Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) nutzt, wird noch genauer hingeschaut – da kontrolliert das Recht, ob alles fair bleibt.
In manchen Bereichen ist die Verhandlungsposition so unausgewogen, dass das Gesetz von vornherein eingreift. Zum Beispiel im Mietrecht oder im Arbeitsrecht. Hier gibt es viele zwingende Vorschriften, die die schwächere Partei – also Mieter oder Arbeitnehmer – schützen. Das nennt man gesetzliche Typisierung von Schutzbedürftigkeit.
Die berühmte Formfreiheit? Ja, die gibt es – meistens. Nur selten sagt das Gesetz: „Das hier muss schriftlich sein.“ Und wenn Du willst, kannst Du mit Deinem Vertragspartner auch selbst festlegen, dass ein bestimmter Vertrag nur in einer bestimmten Form gilt (§ 125 S. 2 BGB).
Rechtsgeschäft
Was ist eigentlich ein Rechtsgeschäft? Kurz gesagt: Das ist das Ding, mit dem Du Deinen Willen ins Recht überführst. Du willst was regeln – und das Recht sagt: „Klar, machen wir so.“ Und zwar dann, wenn Du oder mehrere Personen eine Willenserklärung abgeben – also sagen (oder schreiben), was rechtlich passieren soll.
Am wichtigsten ist dabei der Vertrag. Zwei (oder mehr) Parteien einigen sich – und daraus entstehen Rechte und Pflichten.
Aber nicht alles, was nach Vertrag aussieht, ist gleich ein Rechtsgeschäft. Es gibt auch geschäftsähnliche Handlungen – da ordnet das Gesetz eine Rechtsfolge an, auch wenn Du gar keine rechtliche Bindung wolltest. Oder Gefälligkeiten – wie das Blumengießen für den Nachbarn, ohne rechtlich etwas dafür zu wollen. Und dann gibt’s noch Realakte, also rein tatsächliche Handlungen mit rechtlicher Folge – zum Beispiel das Betreten eines Grundstücks.
Rechtsgeschäfte gibt’s in drei Geschmacksrichtungen:
- Einseitig: Eine Person reicht – z. B. beim Testament oder einer Kündigung.
- Zweiseitig: Zwei Willenserklärungen müssen sich decken – das ist der Standardvertrag, etwa beim Kauf.
- Mehrseitig: Mehrere Beteiligte, mehrere Willenserklärungen – wie beim Gesellschaftsvertrag.
Verpflichtung und Verfügung
Wenn Du einen Vertrag schließt, ist das meistens ein Verpflichtungsgeschäft. Du verpflichtest Dich, etwas zu tun – zum Beispiel eine Sache zu liefern oder Geld zu zahlen. Aber: Das Ding selbst – also die Sache oder das Geld – wechselt dadurch noch nicht den Besitzer. Dafür braucht’s ein Verfügungsgeschäft.
Ein Verfügungsgeschäft ist ein Rechtsgeschäft, das direkt auf ein bestehendes Recht einwirkt – es überträgt, ändert, belastet oder hebt es auf. Also: Du verkaufst Dein Fahrrad (Verpflichtung) – und übergibst es dann (Verfügung). Zwei getrennte Schritte, zwei getrennte Geschäfte.
Und weil das Verfügungsgeschäft ein ganz eigenes Rechtsgeschäft ist, brauchst Du dafür auch Geschäftsfähigkeit – logisch. Fehler wie Täuschung oder Drohung können übrigens beide Geschäfte gleichzeitig betreffen. Dann spricht man von Fehleridentität.
Trennungs- und Abstraktionsprinzip
Zwei Begriffe, die jedem Jurastudierenden früher oder später Kopfschmerzen bereiten: Trennungsprinzip und Abstraktionsprinzip.
Das Trennungsprinzip sagt: Verpflichtung und Verfügung sind zwei getrennte Rechtsgeschäfte. Auch wenn sie im echten Leben direkt nacheinander passieren – wie beim Bezahlen im Supermarkt – sind sie rechtlich nicht dasselbe.
Das Abstraktionsprinzip geht noch einen Schritt weiter: Auch wenn der Vertrag (also das Verpflichtungsgeschäft) unwirksam ist – zum Beispiel wegen eines Formfehlers oder weil Du getäuscht wurdest – kann das Verfügungsgeschäft trotzdem wirksam sein. Der Kaufvertrag ist dann vielleicht hinfällig, aber die Übereignung bleibt bestehen. Der Verkäufer hat dann allerdings einen Anspruch auf Rückgabe – über das Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB).
Natürlich gibt’s auch hier Ausnahmen und Durchbrechungen. Manchmal hängt alles doch so eng zusammen, dass Fehler beide Geschäfte betreffen (Fehleridentität). Oder die Parteien verknüpfen beide Geschäfte durch eine Bedingung oder eine Geschäftseinheit – das ist dann aber die Ausnahme und braucht gute Argumente.
Willenserklärungen
Im deutschen Zivilrecht dreht sich fast alles um die Willenserklärung – also um den Moment, in dem jemand sagt oder zeigt: „Ich will, dass daraus eine rechtliche Folge entsteht.“ Klingt abstrakt? Ist es eigentlich nicht. Stell Dir vor, Du sagst: „Ich kaufe diesen Kaffee.“ Zack – schon hast Du eine Willenserklärung abgegeben. Und weil Du damit einen Latte Macchiato gegen Geld tauschen willst, kommt ein Kaufvertrag zustande. Juristisch gesehen passiert das nicht einfach so, weil es draußen gerade geregnet hat oder jemand Dir nett zulächelt. Es passiert, weil Du es willst – und zwar mit rechtlichem Ernst.
Erklärungstatbestände
Eine Willenserklärung besteht nicht einfach nur aus einem inneren Wunsch. Wünschen kannst Du viel – Schokolade ohne Kalorien, E-Mails ohne Spam, das Examen ohne Lernen. Entscheidend ist, dass Dein Wille nach außen tritt – und zwar so, dass man ihn rechtlich ernst nehmen kann. Dafür braucht’s zwei Perspektiven: die objektive Sicht (was sehen die anderen?) und die subjektive Sicht (was denkt der Mensch?). Und beides muss zusammenpassen.
Handlungswille und Erklärungshandlung
Ganz am Anfang steht die Frage: Handelt die Person überhaupt bewusst? Wenn jemand im Schlaf spricht, unter Hypnose steht oder von jemand anderem gewaltsam die Hand geführt bekommt (klassisch: Unterschrift unter Zwang), dann fehlt der Handlungswille. Das Verhalten ist dann juristisch keine Willenserklärung – da ist niemand „Herr der eigenen Bewegung“. Etwas anders sieht es aus beim psychischen Druck (vis compulsiva) – also wenn jemand unter Einfluss, aber eben nicht mechanisch gezwungen wird (z. B. mit den Worten: „Unterschreib oder ich erzähl Deiner Mutter, was letzten Freitag wirklich passiert ist.“). Hier liegt zwar noch ein Handlungswille vor, aber: Das Ganze ist nach § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB anfechtbar – also im Nachhinein wieder rückgängig zu machen.
Rechtlich bringt Dir Deine ganze innere Überzeugung nichts, wenn sie keiner mitbekommt. Dein Wille muss nach außen dringen (der rein innere Wille ist also unbeachtlich) – als Handlung, aus der man objektiv auf Deinen Willen schließen kann, ausdrücklich oder konkludent (also mittelbar durch andere Worte oder Zeichen). Das kann ein Satz sein („Ich nehme an“), ein Nicken, ein Mausklick oder das Einfahren ins Parkhaus mit Schranke – solange man es rechtlich als Willensäußerung verstehen kann. Was nicht zählt? Schweigen. Das ist juristisch erstmal: nichts. Schweigen gilt nicht als Erklärung, außer das Gesetz oder eine Vereinbarung sagt etwas anderes – etwa beim berühmten kaufmännischen Bestätigungsschreiben oder wenn man sich über „beredtes Schweigen“ verständigt hat.
Erklärungsbewusstsein und Rechtsbindungswille
Jetzt wird’s heikel. Was ist, wenn jemand gar nicht weiß, dass sein Verhalten eine Willenserklärung darstellt? Klassiker: Trierer Weinversteigerung. Einer hebt im falschen Moment die Hand – und zack, ersteigert er 100 Flaschen Wein. Aber: War das auch mit Bewusstsein? Nach der Willenstheorie müsste man sagen: Ohne Erklärungsbewusstsein – keine Willenserklärung. Schließlich wusste der Typ ja gar nicht, dass sein Handheben eine rechtliche Wirkung hat. Aber die h. M. (herrschende Meinung), also die Meinung, der Du im Examen folgen solltest, sagt: Doch!, wenn man bei ein bisschen Nachdenken hätte erkennen können, dass das eine Erklärung sein könnte (potenzielles Erklärungsbewusstsein). Dann kann die Erklärung wirksam sein – aber: man darf sie nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB anfechten. Aber nur unverzüglich (§ 121 BGB), sonst bist Du trotzdem 100 Flaschen Wein los.
Nicht jede Aussage zielt auf ein Geschäft. Wenn der Verkäufer sagt: „Dieses Auto kostet 5.000 Euro“, dann ist das erstmal nur eine invitatio ad offerendum – eine Einladung, selbst ein Angebot zu machen. Also eher: „Komm, frag mich, ob Du’s kaufen darfst.“ Ob eine Erklärung rechtlich bindend gemeint war, hängt stark vom Kontext ab. Ein Liebesbrief, ein Versprechen unter Freunden, ein Lächeln im Supermarkt – alles ohne Rechtsbindungswille. Juristisch bedeutet das: keine Willenserklärung, kein Vertrag.
Geschäftswille und Bezeichnung von Rechtsfolgen
Das Sahnehäubchen der Willenserklärung: Der Geschäftswille. Also die konkrete Vorstellung, was passieren soll – z. B.: „Ich will, dass ein Kaufvertrag zustande kommt.“ Aber Achtung: Der Geschäftswille ist nicht zwingend notwendig für eine wirksame Willenserklärung. Wenn jemand „ich schenke Dir mein Fahrrad“ sagt, aber eigentlich verkaufen wollte, ist die Erklärung trotzdem wirksam – es liegt nur ein Irrtum (§ 119 Abs. 1 BGB) vor, der angefochten werden kann.
Der Erklärende muss also die Rechtsfolgen durch seine Willenserklärung bezeichnen, deren Eintritt er mit der Erklärung bewirken möchte.
Gefälligkeiten
Jetzt kommen wir in den Graubereich. Stell Dir vor, Du passt auf die Katze Deiner Nachbarin auf, gießt ihre Blumen oder fährst das Kind von Freunden zum Kindergarten. Das fühlt sich vielleicht wichtig an – ist aber oft keine rechtlich bindende Vereinbarung, sondern einfach nur: eine Gefälligkeit.
Ob’s wirklich ein Vertrag oder nur eine nette Geste war, entscheidet der Rechtsbindungswille – also: Wollen die Beteiligten ernsthaft Pflichten und Rechte begründen? Oder ist das Ganze eher von: „Na klar, mach ich gern“ getragen? Ein Hinweis: Je größer die Bedeutung der Handlung für den anderen (z. B. wenn hohe Werte auf dem Spiel stehen), desto eher vermutet man einen Vertrag.
Bei reinen Gefälligkeiten gilt: Wer zusagt, schuldet nix. Keine Pflicht zur Ausführung, keine Pflicht zur Sorgfalt. Nur das Deliktsrecht kann greifen – also Schadensersatz bei Verschulden. Und selbst da ist fraglich, ob’s eine Haftungsmilderung gibt – also nur eine Haftung für grobe Schnitzer und nicht für kleine Nachlässigkeiten. Die Rechtsprechung ist da eher streng: Bei vielen Alltagsfällen – wie der Mitnahme im Auto – gibt’s keine automatische Haftungserleichterung. Du haftest also schnell mal voll, auch wenn Du „nur helfen“ wolltest.
Und wenn die Sache doch ernster war? Dann sprechen wir von einer Sonderverbindung (§ 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Das passiert, wenn die Beteiligten sich so verhalten, dass rechtlich Vertrauen und Schutzpflichten entstehen – obwohl kein Vertrag geschlossen wurde. Dann gibt’s Ersatz nicht nur für Verletzungen an Körper, Leben oder Eigentum – sondern auch für reine Vermögensschäden. Klingt theoretisch? Ist es oft – aber eben auch klausurrelevant.
Wirksamwerden von Willenserklärungen
Das BGB unterscheidet ziemlich feinfühlig, wann eine Willenserklärung wirksam wird – und zwar abhängig davon, wie und unter welchen Umständen sie abgegeben wurde. Der entscheidende Punkt dabei: Wurde sie verkörpert, also etwa auf Papier geschrieben oder als Datei gespeichert, oder war sie nicht verkörpert (also flüchtig), zum Beispiel mündlich ausgesprochen? Das ist wichtig, weil davon abhängt, ob die Regeln für Anwesende oder Abwesende greifen. Und ja, auch ein Brief, der jemandem direkt in die Hand gedrückt wird, zählt trotzdem als „unter Abwesenden“ erklärt, weil er verkörpert ist.
Verkörperte Willenserklärungen – das können Briefe, Faxe, E-Mails oder auch ein USB-Stick mit einer Datei sein – werden nach § 130 BGB dann wirksam, wenn sie abgegeben wurden und dem Empfänger zugehen. So weit, so technisch. Aber da steckt mehr dahinter, als man denkt.
Nicht verkörperte Willenserklärungen werden wirksam, wenn sie vom Absender zurechenbar geäußert werden und der Empfänger sie inhaltlich wahrnimmt (abgeschwächte Vernehmungstheorie). Ist der Empfänger also etwa taub oder beherrscht die Sprache des Erklärenden nicht, geht das in der Regel zu Lasten des Erklärenden.
Abgabe
Bevor eine Erklärung wirksam werden kann, muss sie erst einmal abgegeben sein. Klingt logisch, ist aber juristisch trickreich.
Die Abgabe ist nämlich der Moment, in dem der Erklärende alles getan hat, was nötig ist, damit sein Wille als feststehend gilt. Kein Zurück mehr, kein Vielleicht, sondern klar: „Das ist mein rechtlicher Wille.“
Bei Willenserklärungen, die nicht empfangsbedürftig sind – zum Beispiel ein Testament – reicht schon die Abgabe allein. Empfänger braucht’s da keinen. Aber bei allen anderen, die jemandem gegenüber erklärt werden müssen, kommt es nicht nur auf die Abgabe, sondern auch auf den Zugang beim Empfänger an.
Was aber, wenn die Erklärung ganz ohne Willen des Absenders in die Welt entwischt? Also etwa verloren ging oder aus Versehen abgeschickt wurde? Da wird’s spannend: Die herrschende Meinung sagt, dass in solchen Fällen gar keine Abgabe vorliegt. Manche Juristen sagen aber: Wenn der Eindruck einer Willenserklärung beim Empfänger entsteht und der Erklärende fahrlässig war, soll die Erklärung anfechtbar sein – analog § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB. War der Fehler hingegen nicht sein Verschulden, bleibt’s bei Unwirksamkeit.
Zugang
Empfangsbedürftige Willenserklärungen müssen beim Empfänger ankommen – juristisch nennt man das „Zugang“. § 130 Abs. 1 BGB macht klar: Erst wenn die Erklärung zugeht, ist sie wirksam. Und das ist nicht nur ein reines Datum im Kalender, sondern hat weitreichende Folgen. Der Zeitpunkt des Zugangs entscheidet zum Beispiel darüber, ob eine Frist gewahrt wurde – oder ob der Empfänger Pech hatte.
Wann genau ist etwas zugegangen? Nach der Empfangstheorie genügt es, wenn die Erklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist und unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme gerechnet werden kann. Es kommt also nicht darauf an, ob der Empfänger sie wirklich liest – sondern ob er sie hätte lesen können.
Zur „Empfangsinfrastruktur“ gehören alle Orte und Geräte, die der Empfänger zur Entgegennahme nutzt oder nutzen müsste: Briefkasten, E-Mail-Postfach, Anrufbeantworter. Ein Brief gilt in dem Moment als zugegangen, in dem der Empfänger typischerweise das nächste Mal in seinen Briefkasten schaut. Samstagabend eingeworfen, Montagmorgen zugegangen – so die gängige Linie.
Ein Fax geht in dem Moment zu, in dem es im Gerät eingegangen und ausdruckbereit ist. Ob es dann sofort ausgedruckt wird oder nicht, ist das Problem des Empfängers. Nur: Für den Nachweis des Zugangs reicht ein einfacher Sendebericht oft nicht aus, sagt der BGH. Und wenn das Faxgerät kaputt ist? Dann liegt das Risiko beim Empfänger – jedenfalls, wenn er mit einer Erklärung rechnen musste.
Hinterlässt der Postbote nur einen Benachrichtigungszettel im Briefkasten, reicht das nicht für den Zugang. Denn aus dem Zettel allein geht der Inhalt der Erklärung nicht hervor – also keine Kenntnisnahmemöglichkeit. Und es besteht keine Pflicht, die Sendung abzuholen, solange man nicht mit rechtlich wichtigen Erklärungen rechnen musste.
Wer allerdings längere Zeit abwesend ist, sei es durch Urlaub, Krankheit oder Haft, muss Vorkehrungen treffen – Nachsendeauftrag, Vertrauensperson, wie auch immer. Sonst geht’s auf seine Kappe, wenn ihm etwas zugeht, ohne dass er es mitbekommt.
Ist die Erklärung im Machtbereich des Empfängers gelandet, dann ist sie zugegangen – auch wenn der Empfänger den Brief ungeöffnet wegwirft. Selbst schuld.
Wenn der Empfänger bewusst versucht, den Zugang zu verhindern – etwa indem er das Namensschild vom Briefkasten abmontiert, obwohl er weiß, dass eine Kündigung kommt (arglistige Zugangsvereitelung) – dann hilft ihm das nichts. Hier greift die Zugangsfiktion. Aber: Nur wenn er die Erklärung auch erwartet hat.
Hat der Absender selbst Mist gebaut, zum Beispiel unzureichend frankiert, ist der Zugang gescheitert – und das zu Recht. Dann hat die Erklärung keine Wirkung.
Wenn es beim Empfänger hakt, er aber weder arglistig noch grob fahrlässig war (also nur fahrlässig/schuldlos), dann haftet der Absender – kein Zugang, keine Wirksamkeit. War der Empfänger jedoch fahrlässig, etwa weil er wusste, dass Post kommt, sie aber trotzdem nicht empfangen konnte, dann gilt die Erklärung trotzdem als zugegangen.
Im digitalen Bereich ist vieles ähnlich geregelt, auch wenn es neue Fragen aufwirft. Eine E-Mail ist zugegangen, sobald sie auf dem Server des Providers im Postfach liegt – nicht erst, wenn sie gelesen wird. Löscht der Provider sie nach 30 Tagen ungelesen? Pech gehabt. Auch Spamfilter schützen nicht vor dem Zugang, denn ihre Einrichtung liegt allein im Einflussbereich des Empfängers. Wichtig ist aber: Der Absender darf die E-Mail nicht absichtlich so gestalten, dass sie im Spam landet – sonst verliert er das Recht, sich auf den Zugang zu berufen. Beim Zeitpunkt des Zugangs wird differenziert: Bei geschäftlich genutzten E-Mail-Adressen ist der Zugang sofort wirksam, wenn die Mail während der Geschäftszeiten eingeht – sonst am nächsten Morgen. Bei Privatpersonen sieht das anders aus. Da darf es auch mal ein paar Tage dauern, bis eine Kenntnisnahme erwartet werden kann. Wenn die Mail aber in einem Format verschickt wurde, das der Empfänger gar nicht lesen kann, dann liegt kein Zugang vor. Hier muss sich der Absender rückversichern – oder er trägt das Risiko.
Eine Willenserklärung gegenüber jemandem, der geschäftsunfähig ist – etwa ein Kind oder ein geistig beeinträchtigter Mensch – wird erst wirksam, wenn sie dem gesetzlichen Vertreter zugeht. Das sagt § 131 Abs. 1 BGB. Und bei gemeinsamem Sorgerecht reicht es, wenn ein Elternteil die Erklärung erhält.
Ist der Empfänger nur beschränkt geschäftsfähig – also meistens: minderjährig – gilt erstmal dasselbe. In zwei Fällen reicht aber der Zugang an das Kind selbst: wenn die Erklärung für das Kind nur vorteilhaft ist, oder wenn der gesetzliche Vertreter vorher schon sein Okay zum Zugang gegeben hat.
Botenschaft
Wenn Du eine Willenserklärung nicht selbst übergeben kannst, springt oft ein Bote ein. Dieser Bote kann zwei Rollen übernehmen: Erklärungsbote oder Empfangsbote. Die Unterscheidung ist wichtig, denn sie bestimmt, wer das Risiko trägt, wenn etwas schiefgeht.
Ein Erklärungsbote übermittelt Deine Willenserklärung. Er handelt für Dich, ist also quasi Deine Sprachrohr, ohne selbst eine eigene Willenserklärung abzugeben. Damit die Erklärung Dir zugerechnet wird, braucht der Bote eine Botenmacht. Das ist eine Beauftragung von Dir, die Du meist konkludent erteilst – zum Beispiel, indem Du jemandem einfach sagst: „Bring das bitte meinem Vertragspartner.“ Erst mit dieser Botenmacht gilt die Erklärung als von Dir abgegeben. Der Bote selbst muss übrigens nicht geschäftsfähig sein, denn er bildet keine eigene Willenserklärung. Die Willenserklärung gilt in genau der Form als zugegangen, in der sie beim Empfangsboten ankommt.
Ein Empfangsbote hingegen ist jemand, der für den Empfänger handelt – beispielsweise Familienmitglieder, die im selben Haushalt wohnen. Dieser Bote nimmt die Erklärung für den Empfänger entgegen, und zwar so, dass sie dem Empfänger zugerechnet wird.
Wann gilt eine Erklärung nun als zugegangen, wenn Boten involviert sind? Das hängt davon ab, wann mit der Weitergabe an den Empfänger zu rechnen ist. Solange die Erklärung beim Empfangsboten liegt, ist sie noch nicht zugegangen. Erst wenn der Empfangsbote sie dem Empfänger übergibt oder unter gewöhnlichen Umständen mit der Kenntnisnahme gerechnet werden kann, ist der Zugang vollendet.
Kommt es zu Schwierigkeiten, wenn die Willenserklärung über einen Boten übermittelt wird? Ja, zum Beispiel wenn der Bote seine Aufgabe nicht richtig erfüllt oder die Erklärung verloren geht. Dann wird geprüft, ob die Haftung bei Dir liegt (beim Erklärungsboten) oder beim Empfänger (beim Empfangsboten).
Widerruf
Natürlich stellt sich die Frage: Was, wenn Du Deine Willenserklärung zurückziehen möchtest? Einen Widerruf kannst Du grundsätzlich nur aussprechen, bevor die Willenserklärung wirksam geworden ist.
Bei verkörperten Erklärungen heißt das: Der Widerruf muss vor oder spätestens mit dem Zugang der Erklärung beim Empfänger erfolgen. Falls tatsächlich zuerst der Widerruf zur Kenntnis genommen wurde, gibt es eine Ansicht, die argumentiert, es sei noch kein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der eigentlichen Willenserklärung entstanden. Die herrschende Meinung allerdings hält die Reihenfolge des Zugangs für entscheidend, weil nur dann die vom Gesetz vorgenommene Risikoverteilung zwischen Absender und Empfänger gewahrt wird.
Das bedeutet, der Widerruf selbst muss dem Empfänger auch zugehen – und zwar rechtzeitig. Kommt der Widerruf zu spät an, bleibt Deine ursprüngliche Erklärung wirksam. Eine Besonderheit gibt es, wenn Du eine Willenserklärung nicht empfangsbedürftig abgegeben hast, etwa ein Testament: Da ist kein Zugang notwendig, und der Widerruf ist deshalb nur bis zur Abgabe möglich.
Wenn Du eine empfangsbedürftige Erklärung per Boten übermittelst, kannst Du den Widerruf auch über denselben Weg schicken. Dabei gilt: Der Widerruf muss dem Empfänger vor der ursprünglichen Erklärung zugehen. Gelingt Dir das, wird die Willenserklärung unwirksam, als wäre sie nie abgegeben worden.
Auslegung von Willenserklärungen
Wenn Du eine Willenserklärung abgibst, willst Du natürlich, dass klar wird, was Du meinst. Doch manchmal ist das gar nicht so einfach. Darum gibt es Regeln, wie man herausfindet, was wirklich gewollt war – die Auslegung. Dabei geht es nicht nur darum, was Du innerlich dachtest, sondern auch darum, wie das Ganze von außen wahrgenommen wird.
Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen
Die meisten Willenserklärungen sind empfangsbedürftig, das heißt, sie müssen dem Empfänger zugehen, um wirksam zu werden. Hier kommt es nicht nur darauf an, Deinen „wahren Willen“ zu finden, wie § 133 BGB sagt, sondern auch darauf, dass der Empfänger darauf vertrauen kann, was er hört oder liest. Dieses Vertrauen schützt das Verkehrsschutzinteresse. Nach § 157 BGB gilt: Verträge sind so auszulegen, „wie Treu und Glauben es mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern“. Das bedeutet, der Erklärungsempfänger darf darauf bauen, dass die Erklärung so gemeint war, wie sie sich ihm unter Berücksichtigung der üblichen Umgangsformen darstellt.
Meistens verstehen die Beteiligten sich dabei präzise – entweder weil der natürliche Wortsinn klar ist oder weil sie einen gemeinsamen Sprachgebrauch haben. Selbst wenn das Wort eigentlich anders gemeint ist, kann das gemeinsame Verständnis den Inhalt bestimmen, wie der berühmte Haakjöringsköd-Fall (falsa demonstratio non nocet: eine übereinstimmende Falschbezeichnung schadet nicht) zeigt.
Wenn aber der Erklärende und der Empfänger unterschiedliche Vorstellungen haben, gilt der objektive Empfängerhorizont. Das heißt: Wie würde ein vernünftiger Dritter die Erklärung unter Berücksichtigung aller Umstände verstehen? Diese Auslegung beginnt bei dem, was der Erklärende äußerlich gezeigt hat, und bezieht alle bekannten Umstände mit ein – was beide wussten, den Zusammenhang der Erklärung, Gepflogenheiten unter den Parteien. Erst danach kommen allgemeine Regeln wie der übliche Wortlaut oder Handelsbräuche ins Spiel.
Das persönliche Eigenverständnis nur einer Partei spielt keine Rolle, wenn die andere davon nichts wusste. Für solche Fälle gibt es die Möglichkeit der Irrtumsanfechtung, wenn also die Auslegung etwas anderes ergibt als das, was Du eigentlich meintest.
Auslegung von Erklärungen an einen unbestimmten Personenkreis
Nicht nur Willenserklärungen an einzelne Personen sind relevant. Auch Erklärungen an unbestimmte Gruppen – wie öffentliche Auslobungen, Vollmachtsurkunden oder Wertpapiere – müssen ausgelegt werden. Hier gilt das gleiche Prinzip: Die Auslegung orientiert sich am Verständnis des durchschnittlichen Adressaten dieser Gruppe. Das heißt, es wird geschaut, wie ein vernünftiger Durchschnittsmensch aus dem angesprochenen Kreis die Erklärung verstehen durfte. So wird sichergestellt, dass auch hier das Verkehrsschutzinteresse gewahrt bleibt.
Auslegung nicht empfangsbedürftiger Willenserklärungen
Manchmal gibst Du eine Willenserklärung ab, die nicht an jemand anderen gerichtet ist – zum Beispiel ein Testament oder eine bewusste Aufgabe (Dereliktion). Hier steht nicht das Vertrauen Dritter im Vordergrund, sondern allein Dein echter Wille. In diesen Fällen ist das ganz einfach: Gemäß § 133 BGB wird nur Dein wahrer Wille ermittelt, ohne dass geschaut wird, wie ein objektiver Empfänger die Erklärung verstehen würde.
Auslegung formbedürftiger Willenserklärungen
Bei formgebundenen Rechtsgeschäften, also solchen, für die das Gesetz eine bestimmte Form vorschreibt, ist die Auslegung ebenfalls wichtig. Alle Umstände, auch solche, die nicht in der vorgeschriebenen Form vorliegen, werden zur Willensbestimmung herangezogen.
Hast Du erst den gewollten Inhalt Deiner Erklärung ermittelt, stellt sich die Frage, ob dieser auch formgerecht geäußert wurde. Hier gehen die Gerichte nicht immer einheitlich vor: Bei Testamenten verlangt der BGH, dass der Wille wenigstens ansatzweise in der Urkunde erkennbar ist – das nennt man die Andeutungstheorie. Fehlt diese, ist das Testament formnichtig, auch wenn Dein Wille sonst klar wäre.
Bei Grundstücksgeschäften wiederum reicht es nach BGH, wenn Du Dich ernsthaft um die richtige Form bemüht hast und Dir nur ein Versehen unterlaufen ist. Dann wird sogar eine falsche Bezeichnung als unbeachtlich angesehen.
Perplexität
Manchmal bleibt eine Erklärung trotz aller Bemühungen unklar oder widersprüchlich, also mehrdeutig. Ein typisches Beispiel ist die Buchung „zwei Zimmer mit drei Betten“ – das lässt verschiedene Interpretationen zu, und ein eindeutiger Inhalt lässt sich nicht bestimmen.
In solchen Fällen gilt grundsätzlich: Die Erklärung ist nichtig. Doch nach herrschender Meinung musst Du Dich zumindest an dem gemeinsamen Nenner aller möglichen Auslegungen festhalten lassen. Zudem hat der Empfänger der Erklärung eine Rücksichtnahmepflicht: Er muss Dich auf die Unklarheit hinweisen und nachfragen. Tut er das nicht, kann er für Schäden haften, die durch das Missverständnis entstanden sind. Dabei wird berücksichtigt, dass Du als Erklärender selbst eine Mitschuld tragen kannst, wenn Deine Erklärung missverständlich war.
Ergänzende Auslegung
Manchmal gibt es im Vertrag eine Lücke – einen Punkt, den die Parteien einfach nicht bedacht oder offen gelassen haben. Dann kann man den Vertrag ergänzend auslegen, um eine Regelung zu finden, die die Interessen beider Seiten berücksichtigt. Das ist aber nur möglich, wenn wirklich eine planwidrige Lücke vorliegt, also ein Punkt, der nicht geregelt wurde, obwohl er hätte bedacht werden müssen. Wenn die Parteien hingegen etwas bewusst nicht regeln wollten oder das Gesetz eine passende Regelung vorgibt, dann bleibt es dabei.
Die ergänzende Auslegung versucht herauszufinden, was redliche und vernünftige Parteien an der Stelle wohl vereinbart hätten, also den hypothetischen Parteiwillen. Dabei wird geschaut, was der Vertrag sonst noch enthält, wie die Beteiligten ihre Interessen gewichtet haben. Wichtig ist, dass diese Auslegung keine Regelung erzwingt, die eine Partei nicht wollte. Sie darf auch nicht den Vertrag insgesamt ungültig machen oder den Vertragsgegenstand verändern.
Es gibt Situationen, in denen unerwartete Umstände eintreten, die keiner der Vertragsparteien vorhergesehen hat. Dann können die Grundsätze der Geschäftsgrundlagenstörung greifen, geregelt in § 313 BGB. Dabei geht es darum, den Vertrag an die neue Situation anzupassen, um den Parteien eine faire Risikoverteilung zu ermöglichen. Die Grenzen zwischen ergänzender Auslegung und Störung der Geschäftsgrundlage sind aber fließend. Die überwiegende Meinung sieht die ergänzende Auslegung als ersten Schritt: Man versucht zunächst, aus dem Vertrag eine Lösung abzuleiten. Gelingt das nicht, kann man auf die Störung der Geschäftsgrundlage zurückgreifen, die dann eine Anpassung erlaubt.