Wenn’s zwischen zwei Parteien kracht, stellt sich zuerst die Frage: Wer ist überhaupt dran? Also: Welches Gericht – und in welchem Staat – darf den Streit entscheiden? Genau das klärt die internationale Zuständigkeit.
Anwendungsbereich und Grundbegriffe
Klingt trocken, ist aber das Fundament: Die Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung – kurz EuGVVO oder etwas offizieller Brüssel-Ia-Verordnung – legt fest, wann sie greift. Dazu müssen drei Türen offenstehen: die sachliche, die räumlich-persönliche und die zeitliche.
Sachlich
Die erste Tür geht nur auf, wenn’s um eine Zivil– oder Handelssache geht (Art. 1 Abs. 1 EuGVVO).
Und Achtung: Was genau darunterfällt, bestimmt sich nicht nach dem nationalen Recht, sondern autonom nach EU-Recht. Das soll verhindern, dass jedes Land sein eigenes Süppchen kocht. Einheitlichkeit ist hier das Zauberwort.
Zeitlich
Dann zur zweiten Tür: Die EuGVVO gilt für alle Klagen ab dem 10. Januar 2015 (Art. 66 I EuGVVO). Alles, was davor liegt, läuft noch nach der alten Brüssel-I-Verordnung (Art. 66 Abs. 2 EuGVVO). Old but gold.
Räumlich-persönlich
Jetzt wird’s persönlicher: Nach Art. 4-6 EuGVVO kommt die Verordnung grundsätzlich nur ins Spiel, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem EU-Mitgliedstaat hat.
Bei Gesellschaften und juristischen Personen schaut man, wo sie ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung haben (Art. 63 EuGVVO).
Bei Verbrauchersachen dehnt Art. 17 Abs. 2 EuGVVO den Anwendungsbereich noch ein bisschen aus: Hat der Unternehmer zwar keinen Wohnsitz, aber wenigstens eine Niederlassung in einem Mitgliedstaat, kann’s trotzdem europäisch werden. Der EuGH hat hierzu klargestellt: Es reicht nicht, einfach eine Website zu haben, auf der Kunden aus der ganzen EU bestellen können. Entscheidend ist, ob die Niederlassung tatsächlich als Außenstelle auftritt und geschäftlich tätig ist (EuGH, Urteil v. 7. 12. 2010). Nur weil jemand online verkauft, heißt das also noch nicht, dass gleich die EuGVVO greift.
Zuständigkeit
Nun zur Zuständigkeit.
Allgemeiner Grundsatz
Die Basisregel klingt lateinisch klug und ist einfach: actor sequitur forum rei – der Kläger folgt dem Beklagten. Du klagst also grundsätzlich dort, wo der Beklagte wohnt (Art. 4 Abs. 1 EuGVVO).
Für natürliche Personen bestimmt Art. 62 EuGVVO, was als Wohnsitz gilt – das richtet sich nach der lex fori, also dem Recht des angerufenen Gerichts. Für Unternehmen und Co. steht’s direkt in Art. 63 EuGVVO.
Besondere Zuständigkeiten
Aber, wie so oft im Recht, gibt’s Ausnahmen. Die Art. 7-9 EuGVVO eröffnen besondere Zuständigkeiten, etwa:
- Ratione materiae: Bei Verträgen kann am Erfüllungsort geklagt werden, bei unerlaubten Handlungen am Ort des schädigenden Ereignisses.
- Prozessuale Verknüpfung: Mehrere Beklagte? Widerklage? Verbindung mit dinglichen Ansprüchen? Auch da kann’s Ausnahmen geben.
- Niederlassungen: Unternehmen können auch dort verklagt werden, wo sie eine Niederlassung betreiben – aber nur, wenn der Streit aus deren Tätigkeit stammt.
- Besonders spannend: Bei unerlaubten Handlungen gilt grundsätzlich die Mosaiktheorie. Das heißt, der Geschädigte hat ein Wahlrecht – er kann entweder am Handlungsort oder am Erfolgsort klagen (Ubiquitätsprinzip).
- Bei Streudelikten – also wenn der Schaden an mehreren Orten eintritt – darf am Handlungsort der gesamte Schaden eingeklagt werden, an jedem Erfolgsort aber nur der Teil, der dort eingetreten ist. Der EuGH hat das bei Ehrverletzungen durch Presseartikel konkretisiert: Alles oder nichts. Der volle Schaden kann nur am Sitz des Herausgebers geltend gemacht werden; andere Gerichte dürfen nur über die Schäden im eigenen Land entscheiden.
Verbrauchersachen
Die EuGVVO legt hier ordentlich Schutzschichten ein. Die Art. 10-23 EuGVVO verdrängen die allgemeinen Zuständigkeitsregeln (Art. 4-9), außer den Niederlassungsgerichtsstand nach Art. 7 Nr. 5.
Das Ziel: Verbraucher, Arbeitnehmer und Versicherungsnehmer sollen nicht in fremden Staaten klagen müssen. Ein Verbraucher darf also seinen Vertragspartner auch am eigenen Wohnsitz verklagen. Umgekehrt kann er selbst nur dort verklagt werden. Wird er dennoch im Ausland verklagt, kann’s trotzdem ein Versäumnisurteil geben – das wäre dann nach EuGVVO oder EuVTVO vollstreckbar.
Für Arbeitnehmer gilt dasselbe: Sie können zusätzlich am Ort der gewöhnlichen Arbeitsleistung klagen. Ob jemand überhaupt als Verbraucher oder Arbeitnehmer gilt, hängt wie immer vom Einzelfall ab.
Ausschließliche Zuständigkeiten
Jetzt kommen die Heavyweights: Art. 24 EuGVVO legt einige Gerichtsstände fest, die absolut zwingend sind. Hier haben die Parteien nichts zu verhandeln. Dazu gehören etwa:
- Dingliche Rechte an Immobilien (sowie Miet- und Pachtverträge darüber),
- Organisationsrechtliche Fragen juristischer Personen,
- Eintragungen in öffentliche Register,
- Schutzrechte wie Patente, Marken, Muster, Modelle.
Der EuGH hat entschieden, dass diese ausschließliche Zuständigkeit auch inzident – also beiläufig in einem anderen Verfahren – greifen kann, etwa bei Vertragsverletzungen, wenn die Gültigkeit eines Patents mitbetroffen ist.
Gerichtsstandsvereinbarung
Und schließlich: Die Parteien können sich selbst ein Gericht aussuchen (Art. 25 EuGVVO). Das nennt sich Prorogation. Dafür muss aber die Form stimmen: schriftlich, mündlich mit schriftlicher Bestätigung, nach festen Gepflogenheiten oder im Rahmen internationaler Handelsbräuche.
Materielle Schranken gibt’s auch hier – ausschließliche Zuständigkeiten oder Verbraucherschutzregeln lassen sich nicht einfach wegverhandeln.
Und spannend: Nach Art. 26 Abs. 1 EuGVVO kann sich die Zuständigkeit auch konkludent ergeben – wenn der Beklagte sich auf das Verfahren einlässt, ohne die Zuständigkeit zu rügen. Nur wer das ausdrücklich tut, bleibt verschont.
Aber: Ist ein anderes Gericht nach Art. 24 EuGVVO ausschließlich zuständig, ist Schluss mit Lustig – dann zählt nur das.
