Im Zivilrecht kann jeder seine Stellvertretung im Prinzip frei gestalten. Wer also keinen Handelsbetrieb führt, kann nach Belieben festlegen, was sein Bevollmächtigter darf und was nicht. Rechtswirkungen treten nach § 164 BGB aber nur dann für und gegen den Vertretenen ein, wenn der Vertreter im Rahmen seiner Vertretungsmacht handelt – oder wenn der Vertretene das Geschäft im Nachhinein genehmigt. Das Vertrauen des Geschäftspartners in die Vertretungsmacht ist im bürgerlichen Recht nur in engen, gesetzlich geregelten Ausnahmefällen geschützt (§§ 170-173 BGB, Duldungs- und Anscheinsvollmacht).

Im Handelsverkehr läuft das anders. Hier zählt Tempo, Rechtsklarheit und Verlässlichkeit. Da im Geschäftsleben häufig durch Vertreter gehandelt wird, hat das Handelsrecht drei klar typisierte Vertretungsformen geschaffen, bei denen der Umfang der Vertretungsmacht weitgehend gesetzlich geregelt ist. Die wichtigste und bekannteste davon: die Prokura (§§ 48-53 HGB).

Prokura

Die Prokura ist eine besondere Form der Vollmacht, die auf das Handelsrecht zugeschnitten ist. Sie basiert auf den allgemeinen Regeln der Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB), weicht aber in wesentlichen Punkten davon ab, um die Anforderungen des Geschäftslebens zu erfüllen.

Charakteristisch ist die klare Trennung zwischen Außen- und Innenverhältnis: Nach außen gilt die Prokura als eigenständige, rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht – unabhängig vom zugrunde liegenden Verhältnis (z. B. Arbeitsvertrag oder Gesellschaftsverhältnis). Nur das Erlöschen kann sich nach internen Regelungen richten (§ 168 S. 1 BGB).

Der weit gefasste gesetzliche Umfang der Prokura (§§ 49, 50 HGB) sorgt dafür, dass Dritte sich auf sie verlassen können. Das kann im Innenverhältnis aber schnell zu Konflikten führen, wenn der Prokurist mehr „kann“ als er „darf“.

Beispiel: Kaufmann Klotz erteilt Pfeiffer Prokura – aber nur für Geschäfte bis 50.000 Euro. Pfeiffer schließt trotzdem einen Vertrag über 60.000 Euro. Nach außen ist die Beschränkung unwirksam (§ 50 Abs. 1 HGB), Klotz muss zahlen. Im Innenverhältnis kann er allerdings Schadensersatz von Pfeiffer verlangen (§ 280 Abs. 1 BGB i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB).

Voraussetzungen

Prokura darf nur von einem Kaufmann erteilt werden – dazu zählen auch Handelsgesellschaften (§ 6 Abs. 1 HGB) und Genossenschaften. Selbst in der Liquidation ist eine Prokura noch möglich, allerdings nur für Abwicklungsgeschäfte.

Erteilt ein Nichtkaufmann eine Prokura, kann er sich ggf. als Scheinkaufmann behandeln lassen, wenn er den Anschein einer wirksamen Prokuraerklärung setzt. In diesem Fall haftet er so, als wäre er Kaufmann.

Eine „unwirksame“ Prokura kann unter Umständen in eine gewöhnliche Vollmacht (§ 140 BGB) umgedeutet werden.

Verliert ein Kaufmann später seine Kaufmannseigenschaft, bleibt die erteilte Prokura in der Regel als einfache BGB-Vollmacht bestehen.

Form und Erteilung

Die Prokura muss ausdrücklich erklärt werden (§ 48 Abs. 1 HGB). Eine stillschweigende (konkludente) Erteilung gibt es nicht. Das Wort „Prokura“ muss aber nicht zwingend fallen – entscheidend ist, dass der Wille eindeutig erkennbar ist.

Vollmachten, die inhaltlich über die Prokura hinausgehen (Generalvollmachten), gelten rechtlich ebenfalls als Prokura. Aber Achtung: Die umgangssprachlich als „kleine Prokura“ bezeichnete Generalhandlungsvollmacht ist etwas völlig anderes.

Beispiel: Kaufmann Klotz lässt es zu, dass sein Angestellter Pfeiffer mit „ppa.“ unterzeichnet, obwohl keine Prokura erteilt wurde. Das ist keine Prokura kraft Duldung – allenfalls eine Duldungsvollmacht (also die Duldung einer Handlungsvollmacht). Wenn hingegen ein anderer Angestellter wiederholt als Prokurist auftritt und Klotz dies nur wegen mangelnder Kontrolle nicht bemerkt, kann gegenüber einem gutgläubigen Dritten der Anschein einer Prokura bestehen (Anscheinsprokura).

Persönliche Stellung

Die Prokura ist höchstpersönlich – sie kann nicht weitergegeben oder auf Dritte übertragen werden (§ 52 Abs. 2 HGB). Nur der Kaufmann selbst (bzw. seine Organe bei juristischen Personen) darf sie erteilen.

Auch Minderjährige können Prokuristen sein, sofern sie geschäftsfähig genug sind, um die Vertretungsaufgaben zu erfüllen. Nicht möglich ist dagegen, dass jemand sich selbst Prokura erteilt – der Prinzipal und der Prokurist müssen also verschiedene Personen sein.

Handelsregister und Publizität

Die Erteilung der Prokura muss ins Handelsregister eingetragen werden (§ 53 Abs. 1 HGB). Die Eintragung ist deklaratorisch, also keine Voraussetzung für die Wirksamkeit. Sie soll lediglich Dritten Rechtssicherheit geben.

Gleiches gilt für das Erlöschen der Prokura (§ 53 Abs. 2 HGB) – etwa durch Beendigung des Grundverhältnisses, Widerruf, Verlust der Kaufmannseigenschaft des Erteilers, Tod des Prokuristen, Insolvenz des Erteilers (beim Tod des Erteilers erlischt sie allerdings nicht, § 52 Abs. 3 HGB). Wird die Löschung verspätet eingetragen, greift der Schutz der negativen Publizität (§ 15 Abs. 1 HGB): Dritte dürfen bis zur Eintragung darauf vertrauen, dass die Prokura noch besteht.

Beispiel: Kauffrau Dr. Klöbner widerruft die Prokura ihrer Mitarbeiterin Probst, bevor der Widerruf eingetragen wurde. Probst schließt trotzdem ein Geschäft ab. Der gutgläubige Vertragspartner darf sich auf die noch eingetragene Prokura verlassen – Klöbner muss sich das zurechnen lassen (§ 15 Abs. 1 HGB).

Handeln mit Prokura

Nach § 51 HGB soll der Prokurist mit dem Zusatz „ppa.“ unter der Firma seines Prinzipals unterschreiben – das dient der Klarheit, ist aber keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Unterzeichnet er nur mit seinem Namen, ist das Geschäft trotzdem wirksam.

Problematisch wird es allerdings, wenn er die Rechtsform der Firma falsch wiedergibt (z. B. „Klotz & Co“ statt „Klotz GmbH“). Dann kann eine Rechtsscheinhaftung analog § 179 Abs. 1 BGB entstehen, weil der Eindruck erweckt wird, er hafte persönlich.

Umfang der Vertretungsmacht

Die Prokura deckt alle Arten von Geschäften ab, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt (§ 49 Abs. 1 HGB) – und zwar unabhängig davon, was genau der Prinzipal betreibt.

Beispiel: Antiquitätenhändler Klotz Prokurist Pfeiffer darf nicht nur Gemälde kaufen, sondern auch Käse – denn der Käsehandel fällt ebenfalls unter das, was irgendein Handelsgewerbe mit sich bringen kann.

Nicht umfasst sind allerdings:

  • höchstpersönliche Rechtsgeschäfte (z. B. Testament, Eheschließung),
  • Geschäfte, die dem Inhaber vorbehalten sind (z. B. Jahresabschluss unterschreiben, Prokura erteilen),
  • Grundlagengeschäfte (z. B. Unternehmensverkauf, Änderung der Firma oder des Sitzes).

Für Grundstücksgeschäfte braucht der Prokurist außerdem eine besondere Befugnis (§ 49 Abs. 2 HGB) – die Grundstücksklausel.

Beschränkungen und Missbrauch

Interne Beschränkungen der Prokura gelten Dritten gegenüber grundsätzlich nicht (§ 50 Abs. 1 HGB). Nur die gesetzlich anerkannten Sonderformen – Gesamt– und Filialprokura – sind wirksam.

Ein Geschäft kann aber unwirksam sein, wenn der Prokurist seine Vertretungsmacht offensichtlich missbraucht. Das ist z. B. der Fall, wenn er wissentlich zum Nachteil des Prinzipals handelt und der Geschäftspartner das erkennt oder grob fahrlässig übersieht (Evidenztheorie).

Beispiel: Prokurist Pfeiffer stellt eigenmächtig Wechsel über hohe Summen aus, die seinen Chef Klotz ruinieren würden. Die Bank hätte den Missbrauch leicht erkennen können. Ihr Vertrauen auf die Prokura ist daher rechtsmissbräuchlich – Klotz haftet nicht.

Handlungsvollmacht

Die Handlungsvollmacht (§§ 54-58 HGB) ist im Kern jede Vollmacht, die ein Kaufmann in Zusammenhang mit seinem Handelsgewerbe erteilt, die aber keine Prokura ist (§ 54 Abs. 1 HGB). Mit anderen Worten: Wer als Handlungsbevollmächtigter für ein Handelsgewerbe auftritt, kann im Handelsverkehr agieren, ohne Prokura oder gesetzliche/organmäßige Ermächtigung zu besitzen.

Die Handlungsvollmacht nimmt damit eine Mittelstellung ein zwischen der umfassenden Prokura und einer einfachen BGB-Vollmacht. Typische Beispiele sind Filialleiter ohne Prokura, Ein- und Verkäufer, Kassiererinnen im Kaufhaus oder Kellner.

Anders als oft angenommen, erlaubt § 54 Abs. 1 HGB, dass ein Kaufmann seinen eingegliederten Hilfspersonen nicht einfach eine Vollmacht über ein einzelnes Geschäft hinaus geben kann, sonst würde der Verkehrsschutz, den §§ 49 f., 54 HGB bieten, unterlaufen.

Handlungsbevollmächtigte müssen nicht zwingend Handlungsgehilfen sein, sind es aber meistens. Sie sollten nach § 57 HGB mit einem Zusatz wie „i. V.“, „i. A.“ oder „per“ zeichnen und auf Zusätze verzichten, die Prokura andeuten.

Eine Eintragung der Vollmacht oder ihres Erlöschens im Handelsregister ist nicht vorgesehen. Nur bei der Generalvollmacht wird manchmal analog § 53 HGB überlegt, um Umgehungen der Prokuraregeln zu vermeiden.

Erteilung

Die Handlungsvollmacht wird nach den allgemeinen Regeln des BGB erteilt (§§ 167, 171 BGB). Eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung genügt.

Anders als bei der Prokura kann sie auch konkludent oder durch Duldung entstehen, etwa wenn jemand typischerweise Aufgaben übernimmt, die mit Handlungsvollmacht verbunden sind.

Beispiel: Dr. Klöbner stellt Herrn Kaiser als Kellner ein. Damit erhält Kaiser konkludent die Vollmacht, die entsprechenden Bewirtungsverträge abzuschließen. Wenn Dr. Klöbner bestimmte Aufgaben wie Forderungseinzug ausschließt, ist eine Vollmacht nur dann gegeben, wenn sie Kaisers Handeln wiederholt geduldet hat.

Auch juristische Personen können als Handlungsbevollmächtigte fungieren. Die Vollmacht muss zwar von einem Kaufmann erteilt werden, aber anders als bei der Prokura kann dieser sich selbst vertreten lassen, was die Unterhandlungsvollmacht ermöglicht.

Umfang und Arten

§ 54 HGB regelt den Umfang der Handlungsvollmacht und schlägt damit einen Mittelweg zwischen Prokura und BGB-Vollmacht ein. Es gibt drei typische Formen:

  • Generalhandlungsvollmacht – berechtigt zu allen gewöhnlichen Rechtsgeschäften des gesamten Handelsgewerbes („kleine Prokura“).
  • Gattungshandlungsvollmacht – erlaubt die üblichen Rechtsgeschäfte einer bestimmten Geschäftsgattung (häufigste Form).
  • Spezialhandlungsvollmacht – nur für ein einzelnes, genau bestimmtes Geschäft.

Der Umfang hängt sowohl von der vereinbarten Art der Vollmacht als auch von der Kenntnis oder dem Kennenmüssen des Geschäftspartners über mögliche Beschränkungen ab. § 54 HGB enthält nur eine Vermutungsregel über den Umfang, nicht über das Bestehen der Vollmacht selbst.

Beispiel: Spekulant Sturm beauftragt den Bankkaufmann Blei, der fälschlich als Filialleiter gilt, mit Wertpapierverkäufen. Blei hat nur eine Gattungshandlungsvollmacht für den Zahlungsverkehr. Ohne gegenteiligen Nachweis bleibt Sturms Vertrauen auf die Vollmacht beschränkt; er könnte allenfalls auf Duldungs- oder Anscheinsvollmacht zurückgreifen.

Gesetzliche Grenzen

Wie bei der Prokura gibt es auch hier Einschränkungen: Privatgeschäfte des Kaufmanns, Inhabergeschäfte oder Grundlagengeschäfte sind nicht erlaubt. Außerdem nicht gedeckt nach § 54 Abs. 2 HGB:

  • Verkauf/Belastung von Grundstücken
  • Aufnahme von Darlehen
  • Eingehung von Wechselverbindlichkeiten
  • Prozessführung

Hierfür braucht es eine gesonderte Vollmacht, die stillschweigend erteilt werden kann.

Rechtsgeschäftliche Grenzen

Beschränkungen, die zwischen Prinzipal und Handlungsbevollmächtigtem vereinbart sind, wirken Dritten nur entgegen, wenn sie davon wussten oder hätten wissen müssen (§ 54 Abs. 3 HGB). Dritte haben keine generelle Nachforschungspflicht.

Beispiel: Einkäufer Eder darf nur bis 50.000 Euro einkaufen. Ein Vertrag über 100.000 Euro wird für den Kaufmann Klotz nur dann bindend, wenn der Lieferant die Beschränkung nicht kannte oder kennen musste.

Sonderformen

Gesamthandlungsvollmacht: Zwei oder mehr Bevollmächtigte müssen gemeinsam handeln. Fraglich ist, ob Dritte den Vertrauensschutz genießen.

Abschlussvertreter (§ 55 HGB): Handlungsbevollmächtigte können auch außerhalb des Betriebs des Prinzipals Geschäfte abschließen, z. B. Handelsvertreter oder Handlungsgehilfen. Umfang im Außendienst wird teilweise eingeschränkt (§ 55 Abs. 2-4 HGB).

Erlöschen

Das Erlöschen richtet sich nach den allgemeinen Regeln (§§ 168 ff. BGB). Zusätzlich erlischt sie, wenn der Erteiler seine Kaufmannseigenschaft verliert.

Anders als bei der Prokura ist die Vollmacht übertragbar und kann auch beim Tod des Kaufmanns erlöschen, wenn dies vereinbart wurde.

Ladenvollmacht

Angestellte in Läden oder offenen Warenlagern gelten als ermächtigt zu Verkäufen und Empfangnahmen, die dort üblich sind. Die Vorschrift wirkt nur, wenn keine Handlungsvollmacht nach § 54 HGB besteht. § 56 HGB begründet eine unwiderlegliche Vermutung, dass eine Vollmacht für bestimmte Geschäfte erteilt ist.

Beispiel: Angermann darf im Möbellager Möbel verkaufen und Zahlungen entgegennehmen, aber nur soweit § 54 HGB keine Vollmacht vorsieht.

Voraussetzungen sind:

  • Handeln durch einen Ladenangestellten
  • Kaufmannseigenschaft des Prinzipals
  • Geschäft in Verkaufsstätte oder Warenlager
  • Gutgläubigkeit des Geschäftspartners

Umfang:

  • „Verkäufe“: inkl. Abschluss von Kauf-, Werk- oder Werklieferungsverträgen und Entgegennahme von Mängelrügen
  • „Empfangnahmen“: Zahlungen
  • Ankäufe sind nicht erfasst

Auch hier gilt: Außenwirkung (was Dritte sehen) und Innenwirkung (was der Angestellte darf) können auseinanderfallen.