Stell Dir das Handelsrecht mal wie einen exklusiven Club vor – Eintritt nur für Kaufleute. Wer da rein will, braucht also eine Art Mitgliedsausweis: die Kaufmannseigenschaft. Ohne die läuft hier nichts.
Das Handelsrecht ist nämlich kein völlig eigenständiges Rechtsgebiet, sondern das Sonderprivatrecht der Kaufleute. Es baut also auf dem allgemeinen Zivilrecht auf, geht aber in einigen Punkten eigene Wege. Warum? Weil im Geschäftsleben andere Regeln gelten: Man erwartet Schnelligkeit, Verlässlichkeit und ein gewisses Maß an Professionalität. Da braucht’s weniger Schutz und mehr Eigenverantwortung.
Drei Dinge solltest Du Dir zum Handelsrecht merken:
- Es gilt nur, wenn wenigstens eine der beteiligten Personen Kaufmann ist (das nennt man das subjektive System).
- Es ergänzt oder modifiziert das allgemeine Privatrecht.
- Und: Es geht vor, wenn es eine spezielle Regel gibt – also Anwendungsvorrang vor dem BGB.
Warum das Ganze? Nun, Kaufleute gelten als Profis. Sie sind geschäftlich versiert, brauchen weniger Schutz und haben ganz eigene Bedürfnisse – etwa, dass Geschäfte zügig abgeschlossen werden und man auf Zusagen vertrauen kann.
Grundsätzlich basiert die Kaufmannseigenschaft auf dem Betreiben eines Gewerbes. Es sei denn, Du bist schon qua Gesellschaftsform Kaufmann – etwa als GmbH oder AG (§ 6 Abs. 2 HGB). Jetzt kommt’s darauf an, wie Du Dein Gewerbe betreibst:
- Wenn Dein Betrieb nach Art und Umfang eine kaufmännische Organisation braucht, bist Du automatisch Kaufmann – ganz egal, ob Du im Register stehst oder nicht (§ 1 HGB). Das nennt man Istkaufmann.
- Wenn Dein kleiner Betrieb das nicht braucht, Du Dich aber freiwillig ins Register eintragen lässt, wirst Du dadurch Kaufmann (§ 2 HGB). Das ist der Kannkaufmann.
- Und wenn Du Land- oder Forstwirt bist, kannst Du Dich freiwillig eintragen lassen, musst dann aber auch dabei bleiben (§ 3 HGB) – der uneigentliche Kaufmann.
- Der Fiktivkaufmann (§ 5 HGB) ist eine Art juristisches Kuriosum: Er ist Kaufmann, weil er im Register steht, auch wenn er eigentlich gar kein Handelsgewerbe betreibt.
- Schließlich gibt’s noch den Formkaufmann (§ 6 HGB) – also Gesellschaften, die schon allein durch ihre Rechtsform als Kaufleute gelten.
Alle anderen, die zwar irgendwie gewerblich tätig sind, aber nicht eingetragen sind oder keinen Kaufmannsstatus haben – etwa Handelsvertreter oder Lagerhalter – werden nur punktuell dem Handelsrecht unterworfen.
Kaufmann kraft Betrieb eines Handelsgewerbes
Damit Du als Kaufmann giltst, musst Du ein Handelsgewerbe betreiben (§§ 1-3 HGB). Klingt klar, ist aber gar nicht so einfach. Dazu brauchst Du drei Dinge: Ein Gewerbe, das nach Art und Umfang kaufmännisch organisiert sein muss, und das Du selbst betreibst.
Gewerbe
Im HGB selbst findest Du keine Definition. Also hilft nur gesunder Menschenverstand – und ein Blick auf die allgemeine Auffassung:
Ein Gewerbe ist eine selbständige, erlaubte, auf Dauer angelegte und nach außen erkennbare Tätigkeit, die mit Gewinnerzielungsabsicht, aber nicht freiberuflich betrieben wird.
Schauen wir uns das genauer an:
Selbständigkeit
Du entscheidest selbst, was Du tust, trägst das Risiko und bist nicht weisungsgebunden. Dass Du wirtschaftlich von Kreditgebern oder Kunden abhängig bist, macht Dich nicht unselbständig. Das betrifft nur Angestellte oder Beamte.
Erkennbarkeit nach außen
Niemand sieht, dass Du Gewerbetreibender bist, wenn Du nur zu Hause in Gedanken Businesspläne schreibst. Deine Tätigkeit muss also im Geschäftsverkehr sichtbar sein.
Auf Dauer angelegt
Wenn Du nur einmal im Jahr Deinen alten Laptop verkaufst, ist das kein Gewerbe. Wenn Du aber regelmäßig Eis auf dem Stadtfest verkaufst – das ist eins.
Erlaubtheit
Hier geht’s nicht um Genehmigungen, sondern um Legalität. Waffenhändler ohne Lizenz? Kein Gewerbe im handelsrechtlichen Sinn – weil verboten.
Gewinnerzielungsabsicht
Früher musste man nachweisen, dass man wirklich Gewinn machen will. Heute schaut man eher darauf, ob man am Markt entgeltlich tätig ist – also Geld für seine Leistung verlangt. Das ist greifbarer als eine innere Absicht.
Keine freiberufliche Tätigkeit
Künstler, Ärzte, Anwälte – all diese Berufe fallen raus. Sie gehören zur Gruppe der Freiberufler, die zwar wirtschaftlich tätig sind, aber nicht als Gewerbetreibende gelten.
Nur wenn sie nebenbei etwas gewerblich machen (z. B. eine Arztpraxis betreibt ein Seniorenheim mit Pflegebetrieb), kann das Handelsrecht relevant werden.
Handelsgewerbe
Jetzt kommt die Unterscheidung: Nicht jedes Gewerbe ist automatisch ein Handelsgewerbe. Nach § 1 HGB ist es das nur, wenn der Betrieb nach Art und Umfang einen kaufmännisch eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Was heißt das konkret? Hier schaut man auf zwei Dinge:
- Art: Wie komplex ist das Geschäft? Welche Produkte? Wie viele Kunden? Welche Abläufe?
- Umfang: Wie groß ist das Ganze? Umsatz, Mitarbeiter, Lager, Kapital, Werbung – all das zählt.
Wenn beides zusammen ergibt, dass man ohne kaufmännische Organisation den Überblick verlieren würde, dann ist’s ein Handelsgewerbe.
Und wichtig: Auch wenn Du (noch) keine kaufmännische Struktur hast, aber Dein Betrieb so angelegt ist, dass Du sie bald brauchst, bist Du trotzdem Kaufmann. Die Eintragung ins Handelsregister ist in diesem Fall nur deklaratorisch – sie bestätigt also, was ohnehin schon gilt.
Betreibereigenschaft
Kaufmann ist nur, wer das Handelsgewerbe betreibt. Das heißt: Es muss auf Deinen Namen laufen, Du bist Träger von Rechten und Pflichten aus dem Geschäft. Dabei ist egal,
- ob Du persönlich im Laden stehst oder jemanden vorschickst,
- ob Du für eigene oder fremde Rechnung handelst,
- ob Du Eigentümer des Betriebs bist oder nur Pächter,
- oder ob Du geschäftsfähig bist – selbst Minderjährige können Kaufleute sein, wenn sie ein Handelsgewerbe betreiben (was allerdings wegen § 112 BGB praktisch geregelt werden muss).
Fiktivkaufmann
Und dann gibt’s da noch die Sonderfigur: den Fiktivkaufmann. Das ist jemand, der eigentlich gar kein Handelsgewerbe betreibt, aber trotzdem im Handelsregister steht. Der Eintrag macht ihn – juristisch betrachtet – zum Kaufmann, auch wenn er’s faktisch gar nicht ist.
Früher war das wichtig, um den guten Glauben des Rechtsverkehrs zu schützen. Heute hat § 2 HGB das im Prinzip übernommen. Trotzdem hat der Gesetzgeber den § 5 HGB behalten – sozusagen als Sicherheitsnetz für Sonderfälle.
Formkaufmann
Außerdem sagt uns § 6 HGB, dass das Handelsrecht auch für Handelsgesellschaften (also Personengesellschaften wie OHG und KG sowie Kapitalgesellschaften wie AG und GmbH, nicht allerdings die GbR) und Körperschaften (wie der Verein, AG und Genossenschaften) gilt.
Scheinkaufmann
Stell Dir vor, jemand tut so, als wäre er Kaufmann – mit allem Drum und Dran: schicke Geschäftspapiere, ein „e. K.“ im Namen, vielleicht sogar ein angeblicher „Prokurist“. In Wahrheit steckt dahinter aber kein echter Kaufmann, sondern jemand, der nur so wirkt. Genau das ist der Scheinkaufmann.
Kurz gesagt: Wer durch sein Verhalten bei anderen den Eindruck erweckt oder aufrechterhält, er sei Kaufmann, muss sich gegenüber einem gutgläubigen Dritten unter Umständen so behandeln lassen, als wäre er einer. Aber eben nur unter Umständen – und nur, wenn das Vertrauen des Dritten auf diesen Eindruck tatsächlich eine Rolle gespielt hat.
Damit wir nicht durcheinanderkommen: Es gibt noch ein paar ähnliche Figuren, die aber nicht dasselbe sind:
- Scheinunternehmer – jemand tut so, als sei er der Chef eines Unternehmens, das in Wahrheit einem anderen gehört.
- Scheingesellschaft – hier wird der Anschein einer Gesellschaft erzeugt, die es gar nicht gibt.
- Scheingesellschafter – jemand tut so, als sei er Gesellschafter (z. B. in einer OHG), ist es aber gar nicht.
Manchmal überschneiden sich die Figuren, aber der Kern ist immer derselbe: Ein falscher Eindruck wird erweckt, auf den sich ein anderer gutgläubig verlässt.
Der Scheinkaufmann ist – trotz des Namens – kein Kaufmann im rechtlichen Sinn. Er betreibt kein Handelsgewerbe (§§ 1-3 HGB), ist nicht im Register (§§ 5, 6 HGB) und hat auch keinen echten „Mitgliedsausweis“ fürs Handelsrecht.
Aber: Weil er selbst den falschen Anschein gesetzt oder unterhalten hat, muss er sich im konkreten Fall so behandeln lassen, als ob er Kaufmann wäre.
Das Ganze basiert auf dem allgemeinen Prinzip des zurechenbaren Rechtsscheins, das wiederum aus § 242 BGB (Treu und Glauben) abgeleitet wird. Man kennt dieses Prinzip auch aus anderen Bereichen – zum Beispiel § 171 BGB (Scheinvollmacht) oder § 15 HGB (Publizitätswirkung des Handelsregisters).
Die Lehre vom Scheinkaufmann ist also nichts Exotisches, sondern ein anerkannter Baustein des handelsrechtlichen Verkehrsschutzes.
Warum braucht man die Figur überhaupt? Ganz einfach: Die §§ 2, 5 und 15 HGB schützen den guten Glauben an die Kaufmannseigenschaft nur, wenn jemand im Handelsregister steht. Was aber, wenn der angebliche Kaufmann gar kein Gewerbe hat oder noch nicht eingetragen ist? Dann springt die Rechtsprechung mit der Figur des Scheinkaufmanns ein – quasi als Lückenfüller für Fälle, in denen der formale Registerschutz versagt. Wie bei jeder Rechtsscheinhaftung müssen aber ein paar Voraussetzungen erfüllt sein:
Keine Vorrangregelung
Die Lehre vom Scheinkaufmann greift nur dann, wenn nicht ohnehin schon §§ 2, 5 oder 15 HGB passen. Sie ist also subsidiär – quasi der Joker, wenn das Gesetz selbst keine Antwort liefert.
Rechtsschein der Kaufmannseigenschaft
Der falsche Eindruck kann auf viele Arten entstehen – durch eigenes Verhalten oder das eines Dritten, ausdrücklich oder stillschweigend. Wichtig ist nur: Aus Sicht eines objektiven Beobachters (also nach dem objektivierten Empfängerhorizont) durfte man tatsächlich annehmen, die Person sei Kaufmann.
Beispiele: Ein Nichtkaufmann nennt seinen Mitarbeiter „Prokurist“. Wer das hört, denkt: „Aha, also ein Kaufmann!“. Oder jemand verwendet eine typische Kaufmannsfirma wie „Modehaus Herbert Klein e. K.“ – das darf eben nur ein Kaufmann.
Allerdings reicht es nicht, wenn der falsche Eindruck nur durch die gerade streitige Handlung entsteht – das wäre ein klassischer Zirkelschluss.
Beispiel: Ein Nichtkaufmann gibt eine mündliche Bürgschaft ab und sagt dann: „Ich war doch Scheinkaufmann, also war die Bürgschaft auch ohne Schriftform gültig!“ – funktioniert natürlich nicht.
Auch wer in einer BGB-Gesellschaft auftritt und den Eindruck einer OHG erweckt, kann damit als Scheinhandelsgesellschaft gelten. Das ist nicht dasselbe wie eine Scheingesellschaft – die gibt’s nämlich gar nicht wirklich.
Zurechenbarkeit
Der Rechtsschein muss dem Betroffenen zurechenbar sein. Das ist der Fall, wenn er ihn selbst gesetzt hat oder ihn pflichtwidrig aufrechterhält, obwohl er’s hätte richtigstellen können.
Ein Verschulden braucht’s dabei nicht – wer also unbedacht eine irreführende Bezeichnung nutzt, haftet trotzdem.
Beispiel: Ein Mann führt das ehemals im Handelsregister eingetragene „Mannheimer Detektivbüro e. K.“ seines Vaters weiter. Ein Geschäftspartner nimmt an, er sei Kaufmann, und erwartet eine schnelle Mängelrüge (§ 377 HGB). Der Mann meint, er habe ja gar nicht gewusst, dass er die alte Firma nicht weiterverwenden durfte – Pech gehabt. Er hat den Schein gesetzt und muss sich das zurechnen lassen.
Wenn der Rechtsschein dagegen von einem Dritten ausgeht, wird’s kniffliger. Dann ist er nur zurechenbar, wenn der „Scheinkaufmann“ das Verhalten kannte oder hätte kennen können – und es ihm zumutbar gewesen wäre, einzugreifen.
Beispiel: Ein Mitarbeiter tritt als „Prokurist“ auf, einmal mit Wissen des Chefs, einmal ohne. Wenn der Chef das erste Mal duldet und beim zweiten Mal die Augen verschließt, gilt der Schein als zurechenbar.
Wichtig: Nur wer voll geschäftsfähig ist, kann überhaupt Scheinkaufmann sein – Minderjährige werden durch den Verkehrsschutz nicht benachteiligt.
Gutgläubigkeit des Dritten
Der andere muss gutgläubig sein – also den Irrtum nicht kennen und auch nicht grob fahrlässig übersehen haben.
Leichte Fahrlässigkeit schadet nicht, aber wer bei offensichtlichen Widersprüchen die Augen zumacht, verliert den Schutz.
Eine Pflicht, das Handelsregister zu prüfen, gibt es grundsätzlich nicht – außer bei größeren Geschäften oder wenn sich Zweifel geradezu aufdrängen.
Kausales Vertrauen
Der Dritte muss tatsächlich auf den Anschein vertraut und deswegen gehandelt haben – also etwa einen Vertrag abgeschlossen haben, weil er dachte, mit einem Kaufmann zu tun zu haben.
Das Vertrauen muss kausal sein, und der Rechtsschein muss im Zeitpunkt des Handelns noch bestanden haben.
Wer beweisen muss, dass dieses Vertrauen ursächlich war, ist umstritten – meist trifft die Beweislast aber den Dritten.
Privatrechtlicher Geschäftsverkehr
Der Scheinkaufmann wirkt ausschließlich im privatrechtlichen Geschäftsverkehr. Im öffentlichen Recht oder Strafrecht spielt die Figur keine Rolle.
Also: keine Buchführungspflicht, keine IHK-Beiträge, keine Klagen unter der Scheinfirma und keine Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen.
Rechtsfolgen
Und was passiert nun konkret? Der Scheinkaufmann bleibt kein echter Kaufmann, aber er wird in bestimmten Fällen so behandelt.
Das hat allerdings Grenzen: Der Rechtsschein wirkt nur zwischen den Beteiligten, nicht gegenüber außenstehenden Dritten. Er wirkt nur zugunsten, nicht zu Lasten des gutgläubigen Dritten.
Ob zwingende Schutzvorschriften dadurch umgangen werden dürfen, ist umstritten – meist lautet die Antwort: eher nein. Wer sich aber arglistig als Kaufmann ausgibt und so Vertrauen erschleicht (z. B. indem er den Geschäftspartner von dem Verlangen nach einer schriftlichen Bürgschaftserklärung durch seine vermeintliche Kaufmannseigenschaft als Bürge abhält), muss sich die Einrede arglistigen Verhaltens entgegen halten lassen.
