Schauen wir uns nun die Regelungen der Rom I-VO etwas genauer an.

Anwendungsbereich

Wenn’s um Verträge mit Auslandsbezug geht, ist zunächst die Frage: Welches Recht gilt eigentlich? Die Rom I-Verordnung gibt hier den Ton an – aber nur, soweit kein spezieller Staatsvertrag vorgeht (Art. 25 Rom I-VO). Ist das geklärt, greift die Rom I-VO für alle vertraglichen Schuldverhältnisse in Zivil– und Handelssachen (Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO).

Entscheidend für diese Einordnung ist: Wir brauchen ein freiwillig eingegangenes Schuldverhältnis. Das bedeutet: Jemand verpflichtet sich aus eigenem Willen zu etwas – egal, ob das durch einen Vertrag oder durch ein einseitiges Rechtsgeschäft passiert (wie etwa eine Auslobung oder ein Preisausschreiben).

Knifflig wird’s bei Gewinnzusagen (§ 661a BGB). Hier gibt’s ja keinen echten Vertrag, sondern nur ein Schreiben, das den Empfänger glauben lässt, er habe etwas gewonnen – und zack, entsteht ein Zahlungsanspruch. Ist das jetzt freiwillig? Die herrschende Meinung sagt: Ja, im weiteren Sinne schon, schließlich entscheidet sich der Unternehmer ja frei, so eine Gewinnaktion zu starten. Dann würde man nach Art. 6 Rom I-VO anknüpfen. Andere sehen das aber anders und sagen: § 661a BGB soll ja unlautere Geschäftspraktiken verhindern – also sei das öffentlich-rechtlich geprägt und falle deshalb unter Art. 9 Rom I-VO (Eingriffsnormen). Am überzeugendsten ist wohl die Ansicht, dass § 661a BGB gerade keinen Vertrag voraussetzt. Dann greifen die Regeln der Rom II-VO, genauer gesagt die des Eingriffsrechts nach Art. 16 Rom II-VO.

Ein paar Dinge sind ausdrücklich außen vor – also bitte nicht verwechseln:

  • Rechts- und Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen (lit. a) – läuft über Art. 7 EGBGB.
  • Familien-, Güter- und Gesellschaftsrecht (lit. b, c, f) – dafür gibt’s eigene Kollisionsnormen.
  • Wechsel, Schecks und andere Wertpapiere (lit. d) – hier gilt das jeweilige Spezialgesetz.
  • Stellvertretung (lit. g) – weiterhin nationales Kollisionsrecht, insbesondere Art. 8 EGBGB.
  • Trusts (lit. h) – sind komplett raus.
  • Vorvertragliche Schuldverhältnisse (lit. i) – werden zwar von der Rom I-VO ausgeschlossen, landen aber über die Verweisung in Art. 12 Rom II-VO meist wieder beim selben Recht.

Reichweite des Vertragsstatuts

Wenn klar ist, welches Recht gilt, dann gilt’s für alles, was mit dem Vertrag zu tun hat. Die Art. 10 und 12 Rom I-VO zeigen, was genau darunter fällt:

  • Das Zustandekommen und die Wirksamkeit des Vertrags (Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO).
  • Vertragsauslegung, Erfüllung, Nichterfüllung und deren Folgen (Art. 12 Abs. 1 Rom I-VO).
  • Außerdem Erlöschen, Verjährung und Nichtigkeit (Art. 12 Abs. 1 lit. d-e Rom I-VO).

Besonderheit: Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO schützt die Partei, die sich auf das Recht ihres Aufenthaltsortes verlassen hat. Beispiel: Ob Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben als Zustimmung gilt, kann je nach Aufenthaltsrecht unterschiedlich sein – und das darf berücksichtigt werden.

Art. 12 Abs. 2 Rom I-VO schließlich sagt: Selbst wenn ein Vertrag ausländischem Recht unterliegt, darf man die tatsächlichen Umstände am Erfüllungsort (Feiertage, Geschäftszeiten etc.) berücksichtigen. Klingt trivial, ist aber praktisch wichtig.

Das Vertragsstatut ergibt sich grundsätzlich aus den Art. 3-8 Rom I-VO. Wichtig: Parteiautonomie vor Objektivität. Wenn die Parteien eine Rechtswahl getroffen haben (Art. 3 Rom I-VO), gilt die – sonst greift Art. 4 Rom I-VO.

Sonderregeln gibt’s für bestimmte Vertragstypen:

  • Beförderungsverträge – Art. 5 Rom I-VO.
  • Verbraucherverträge – Art. 6 Rom I-VO.
  • Versicherungsverträge – Art. 7 Rom I-VO.
  • Arbeitsverträge – Art. 8 Rom I-VO.

Die Reichweite wird durch Art. 10 und 12 Rom I-VO konkretisiert.

Rück– oder Weiterverweisungen sind nicht vorgesehen (Art. 20 Rom I-VO).

Ordre public wie immer als Notbremse (Art. 21 Rom I-VO).

Freie Rechtswahl

Jetzt kommt das Herzstück: die Parteiautonomie. Die Rom I-VO erlaubt den Vertragsparteien, das anwendbare Recht frei zu wählen – egal welches, Hauptsache, es ist staatliches Recht. Die Rechtswahl kann erfolgen:

  • Ausdrücklich oder konkludent (Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO). Aber Achtung: konkludent nur, wenn’s eindeutig ist. Eine bloße Bezugnahme auf deutsches Recht oder ein deutscher Gerichtsstand reicht allein meist nicht.
  • Ganz oder teilweise (Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO). Eine Teilrechtswahl ist möglich, solange sich die Fragen trennen lassen – etwa Erfüllung oder Verjährung.
  • Auch nachträglich (Art. 3 Abs. 2 Rom I-VO).

Im Prozess reicht es oft schon, wenn beide Parteien stillschweigend nach demselben Recht argumentieren.

Was man nicht darf: irgendein nichtstaatliches Recht wählen (z. B. UNIDROIT-Principles oder „lex mercatoria“). Solche Regelwerke können aber vertraglich vereinbart werden – dann eben nur innerhalb des gewählten staatlichen Rechts.

Beispiel: V (Deutschland) verkauft Waren an K (Serbien). Beide wählen das Gemeinsame Europäische Kaufrecht (das es faktisch nicht gibt). Ergebnis: Mangels staatlichen Rechts gilt deutsches Recht (Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO). Die Parteien können aber inhaltlich auf die Regeln des EU-Kaufrechts verweisen – solange sie nicht gegen zwingendes deutsches Recht verstoßen.

Grenzen der Rechtswahl:

  • Reiner Inlandssachverhalt (Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO) – zwei Deutsche schließen in München einen Vertrag und wählen libanesisches Recht? Netter Versuch, aber nein: Zwingendes deutsches Recht (z. B. AGB-Regeln) bleibt anwendbar.
  • Binnenmarktsachverhalt (Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO) – wenn der Vertrag ausschließlich innerhalb der EU spielt, darf eine Drittstaatenwahl nicht dazu führen, dass EU-zwingendes Recht ausgehebelt wird.

Beispiel: Ein deutscher Unternehmer beauftragt einen Handelsvertreter in Österreich, wählt aber kalifornisches Recht. Kalifornien kennt keinen Handelsvertreterausgleich – die EU schon. Nach Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO müssen die zwingenden EU-Vorgaben trotzdem gelten. Fraglich bleibt nur, ob dann das deutsche oder österreichische Umsetzungsrecht greift – und da spricht einiges für letzteres, weil der Vertreter ja in Österreich tätig war.

Mangels Rechtswahl

Wenn keine Rechtswahl getroffen wurde, springt Art. 4 Rom I-VO ein. Der Aufbau ist simpel und examensrelevant:

  • Spezielle Anknüpfungen (Abs. 1) – etwa für Kauf-, Dienstleistungs-, Miet-, Franchise- oder Vertriebsverträge.
  • Allgemeine Regel (Abs. 2) – sonst gilt das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts der Partei, die die charakteristische Leistung erbringt.
  • Ausweichklausel (Abs. 3) – wenn eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat besteht.
  • Hilfsregel (Abs. 4) – wenn sonst gar nichts passt.

Beispiel: Ein deutscher Dienstleister betreut die Website eines französischen Unternehmens. Kein Vertrag über Rechtswahl, keine Besonderheiten – das maßgebliche Recht ist das des Dienstleisters, also deutsches Recht (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO).

Verbraucherverträge

Wenn ein Vertrag zwischen einem Verbraucher (also jemandem, der zu privaten Zwecken handelt) und einem Unternehmer (der geschäftlich tätig ist) geschlossen wird, und die Voraussetzungen des Art. 6 Rom I-VO erfüllt sind, dann darf eine Rechtswahl nicht dazu führen, dass der Verbraucher schlechter gestellt wird als nach dem Recht seines gewöhnlichen Aufenthalts. Das nennt man das Günstigkeitsprinzip.

Heißt übersetzt: Der Unternehmer kann noch so sehr in seinen AGB russisches, italienisches oder marsianisches Recht wählen – der Verbraucher darf sich trotzdem auf den zwingenden Verbraucherschutz seines Heimatrechts berufen, wenn das für ihn besser ist.

Beispiel: Rentner R aus Regensburg friert. Also sucht er online nach einer Heizdecke und landet auf der Website des russischen Großhändlers G. Die Seite ist auf Deutsch, die Lieferung nach Deutschland wird ausdrücklich beworben – also klar: G will deutsche Kunden ansprechen. R bestellt begeistert die „warm-up 5000“ – und zack, im Kleingedruckten steht: russisches Recht gilt. Blöd nur: Nach russischem Recht gibt’s kein Widerrufsrecht wie im deutschen Verbraucherrecht. Also die Frage: Kann R trotzdem widerrufen? Ja! Denn: Zwar wurde russisches Recht gewählt (Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO), aber hier greift Art. 6. Der Vertrag ist ein Verbrauchervertrag, und die Website richtet sich gezielt an deutsche Verbraucher (Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I-VO). Damit muss zusätzlich das deutsche Verbraucherschutzrecht angewendet werden. Und das kennt bekanntlich das Widerrufsrecht nach §§ 312g, 355 BGB. Ergebnis: R darf zurücktreten – warm-up 5000 hin oder her.

Wenn Du es systematisch angehst, läuft Art. 6 Rom I-VO so:

  • Liegt ein Verbrauchervertrag vor? Verbraucher = privat, Unternehmer = geschäftlich.
  • Wurde die unternehmerische Tätigkeit im Aufenthaltsstaat des Verbrauchers ausgeübt oder gezielt auf ihn ausgerichtet? Nur dann greift Art. 6 Rom I-VO überhaupt.

Dann gilt:

  • Bei Rechtswahl: Sie ist zwar zulässig (Art. 6 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO), aber der Verbraucher verliert seinen Schutz nicht (Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO).
  • Ohne Rechtswahl: Es gilt automatisch das Recht des Aufenthaltsstaates des Verbrauchers (Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO).

Wann ist eine Tätigkeit „auf einen Staat ausgerichtet„? Hier wird’s oft tricky, vor allem im Internetzeitalter. Nur weil eine Website weltweit abrufbar ist, heißt das noch lange nicht, dass sie sich gezielt an Kunden im Ausland richtet. Der EuGH hat das im berühmten „Alpenhof“-Urteil schön konkretisiert.

Folgende Indizien sprechen für ein Ausrichten:

  • die Website ist mehrsprachig oder nutzt eine fremde Währung,
  • es werden internationale Vorwahlen angegeben,
  • die Seite nennt Lieferbedingungen für andere Staaten,
  • es gibt gezielte Werbung oder Domainnamen mit internationalem Bezug,
  • oder die Seite wirbt sogar mit internationaler Kundschaft.

Kurz: Wenn der Unternehmer klar signalisiert, dass er auch Kunden aus Deinem Land haben will – dann ist das ein Ausrichten i. S. v. Art. 6 I lit. b Rom I-VO.

Und Achtung: Es muss nicht zwingend ein direkter Kausalzusammenhang zwischen der Website und dem Vertrag bestehen – es reicht, wenn sie objektiv auf das Land zugeschnitten ist.

Aber klar: Art. 6 gilt nicht für jeden Vertrag. Manche Typen sind ausdrücklich ausgeschlossen – und das aus guten Gründen. Dazu gehören etwa:

  • Dienstleistungsverträge, bei denen die Leistung ausschließlich im Ausland erbracht wird. Beispiel: U aus Konstanz bietet Segelkurse auf dem Bodensee an und wirbt in französischen Zeitungen. Der Franzose F aus Colmar bucht. Obwohl Art. 6 an sich passen würde, greift hier Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I-VO: Die Leistung wird nur in Deutschland erbracht. Also gilt deutsches Recht (Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO).
  • Beförderungsverträge, soweit sie keine Pauschalreisen betreffen.
  • Immobilienverträge, die nichts mit Teilzeitnutzung (Timesharing) zu tun haben.
  • Finanzinstrumente, etwa Börsengeschäfte.

Formwirksamkeit

Und weil es ohne Form nicht geht, kümmert sich Art. 11 Rom I-VO um die Formwirksamkeit. Das klingt trocken, ist aber clever gelöst. Denn um Verträge möglichst gültig zu halten (favor negotii), gibt’s eine alternative Anknüpfung:

  • Ein Vertrag ist formwirksam, wenn er entweder die Form des Geschäftsstatuts oder die Form des Abschlussortes erfüllt. Du brauchst also nur eins davon.
  • Bei Distanzverträgen (Telefon, Internet usw.) erweitert Art. 11 Abs. 3 Rom I-VO den Kreis sogar noch: Du kannst zusätzlich auf das Recht des Aufenthaltsortes jeder Partei zurückgreifen.

Beispiel: A (gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland) und B (gewöhnlicher Aufenthalt in Frankreich) telefonieren, während A gerade in Italien und B in Serbien ist. Sie wählen schweizerisches Recht. Der Vertrag ist formwirksam, wenn er die Formvorschriften von einem dieser Länder erfüllt: Schweiz, Italien, Serbien, Deutschland oder Frankreich. Ziemlich großzügig, oder?

Bei einseitigen Rechtsgeschäften (z. B. Auslobung, Preisausschreiben) hilft Art. 11 Abs. 3 Rom I-VO: Hier reicht es, wenn das Rechtsgeschäft die Form des Geschäftsstatuts, des Vornahmeortes oder des gewöhnlichen Aufenthalts erfüllt.

Klar, es gibt Ausnahmen. Zwei wichtige:

  • Verbraucherverträge – ihre Formwirksamkeit richtet sich ausschließlich nach dem Aufenthaltsrecht des Verbrauchers (Art. 11 Abs. 4 Rom I-VO).
  • Immobilienverträge, wenn der Belegenheitsstaat zwingende Formvorschriften vorsieht (Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO).

Beispiel: P verkauft während eines Spanien-Urlaubs sein bayerisches Ferienhaus an S. Der Vertrag wird in Spanien unterschrieben – schriftlich, aber ohne Notar. Nach spanischem Recht okay, nach deutschem nicht (§ 311b BGB verlangt notarielle Beurkundung). Und jetzt die Frage: Ist der Vertrag formwirksam? Nach Art. 11 Abs. 1 gewöhnlicher Aufenthalt in wäre das spanische Recht anwendbar, also ja. Aber gilt vielleicht Art. 11 Abs. 5 gewöhnlicher Aufenthalt in, weil’s um ein Grundstück in Deutschland geht? Nur, wenn § 311b BGB eine international zwingende Vorschrift wäre – also eine Eingriffsnorm. Ist sie aber nicht! Sie schützt nur die Parteien selbst (Warn-, Beweis- und Beratungsfunktion), nicht die Allgemeinheit. Also kein zwingendes öffentliches Interesse. Ergebnis: Der Vertrag ist formwirksam, obwohl kein Notar dabei war.