Wenn’s um außervertragliche Schuldverhältnisse geht – also um Fälle, in denen keine vertragliche Beziehung besteht, jemand aber trotzdem für einen Schaden haftet –, dann ist die Rom II-Verordnung am Zug. Sie gilt (mit Ausnahme von Dänemark, das wie so oft lieber sein eigenes Ding macht) seit dem 11. Januar 2009 in allen EU-Mitgliedstaaten (Art. 32 Rom II-VO).

Aber natürlich gibt’s auch hier ein paar Ausnahmen: Bestimmte Bereiche fallen nicht unter die Rom II-VO, obwohl sie außervertraglich sind. Dazu gehören vor allem Persönlichkeitsrechtsverletzungen (Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO) und Schäden durch Kernenergie (Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom II-VO). In diesen Fällen bleibt’s beim nationalen Recht – also bei den Art. 40 ff. EGBGB. Das gilt übrigens auch für „Altfälle„, bei denen der Schaden schon vor dem 11. Januar 2009 eingetreten ist.

Internationale Verträge, die der Rom II-VO vorgehen könnten (Art. 28 Rom II-VO), gibt’s im Moment nicht. Lediglich das Haager Straßenverkehrsübereinkommen könnte in Einzelfällen eine Rolle spielen – allerdings ist Deutschland hier gar nicht dabei.

Anwendungsbereich

Sachlich greift die Rom II-VO immer dann, wenn es um außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil– und Handelssachen geht (Art. 1 Abs. 1 Rom II-VO). Also: alles, was nicht freiwillig vereinbart wurde. Typische Fälle sind unerlaubte Handlungen (einschließlich Gefährdungshaftung), ungerechtfertigte Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag oder das klassische culpa in contrahendo, also das Verschulden bei Vertragsverhandlungen (Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO). Auch Unterlassungsansprüche sind ausdrücklich mitgemeint (Art. 2 Abs. 2 Rom II-VO).

Ausdrücklich ausgenommen sind laut Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO insbesondere außervertragliche Schuldverhältnisse

  • aus familiären oder familienähnlichen Beziehungen (lit. a) – also z. B. Unterhalt, der ohnehin dem HUP (Haager Unterhaltsübereinkommen) unterfällt.
    Aber Achtung: Wenn’s um eine „normale“ Schädigung zwischen Familienmitgliedern geht (z. B. die Vase des Onkels wird beim Grillabend zerstört), dann bleibt die Rom II-VO trotzdem anwendbar.
  • aus güterrechtlichen, erbrechtlichen oder gesellschaftsrechtlichen Zusammenhängen (lit. b, d). Hier gelten die jeweils speziellen Kollisionsnormen.
  • aus handelbaren Wertpapieren wie Wechseln oder Schecks (lit. c).
  • aus Trust-Verhältnissen (lit. e). Aber: Wenn der Treuhänder z. B. den Begünstigten betrügt, ist das kein trustrechtlicher Fall mehr, sondern ein ganz normaler Schaden – also wieder Rom II-VO.
  • aus Schäden durch Kernenergie – hier gelten eigene internationale Regelungen, und wenn keine greifen, dann wieder Art. 40 ff. EGBGB.
  • aus Verletzungen von Persönlichkeitsrechten – etwa Verleumdung oder Eingriffe in die Privatsphäre. Hier bleibt’s beim nationalen Recht. Dass Persönlichkeitsrechtsverletzungen außen vor bleiben, hat übrigens keine inhaltlichen Gründe – man konnte sich in Brüssel schlicht nicht einigen. Aber vielleicht wird das irgendwann nachgeholt, wenn die Rom II-VO überarbeitet wird.

Die Rom II-VO enthält in den Art. 4-14 eigene Kollisionsnormen, also Regeln, welches Recht bei welchem Sachverhalt gilt. Grob gesagt:

  • Art. 4-9 Rom II-VO: unerlaubte Handlungen
  • Art. 10 Rom II-VO: ungerechtfertigte Bereicherung
  • Art. 11 Rom II-VO: Geschäftsführung ohne Auftrag
  • Art. 12 Rom II-VO: culpa in contrahendo
  • Art. 14 Rom II-VO: Rechtswahl der Parteien

Und: Alle Verweisungen sind Sachnormverweisungen (Art. 24 Rom II-VO). Das heißt: Rück- und Weiterverweisungen anderer Rechtsordnungen sind tabu.

Außerdem gilt – wie immer – der ordre public-Vorbehalt (Art. 26 Rom II-VO), also kein fremdes Recht, wenn es mit den Grundwerten des deutschen Rechts unvereinbar wäre.

Unerlaubte Handlungen

Die Standardregel steht in Art. 4 Rom II-VO – sie ist das Herzstück des Deliktsrechts im internationalen Privatrecht. Es gibt dort drei Stufen:

  • Allgemeine Regel (Abs. 1): maßgeblich ist das Recht des Staates, in dem der Schaden eintritt.
  • Spezialregel (Abs. 2): Wenn beide Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt im selben Staat haben, gilt dessen Recht.
  • Ausweichklausel (Abs. 3): Wenn alles darauf hindeutet, dass der Fall viel enger mit einem anderen Staat verbunden ist, kann dorthin „ausgewichen“ werden.

Beispiel: Der in Passau lebende P lässt seine Drohne steigen, die über dem Inn abstürzt und auf österreichischem Gebiet den Wanderer W verletzt. Ort des Schadens? Österreich. Also: österreichisches Recht gilt, obwohl der Handlungsort (Deutschland) ein anderer war. Entscheidend ist der Erfolgsort, also wo das geschützte Rechtsgut tatsächlich verletzt wurde. Das nennt man den Primärschaden.

Weiteres Beispiel: Urlauber A (aus München) verletzt auf Mallorca den ebenfalls aus Deutschland stammenden B. Beide wohnen in Deutschland – also gilt deutsches Recht (Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO).

Manchmal führt die starre Anknüpfung an den Erfolgsort zu unpassenden Ergebnissen. Dann darf man nach Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO abweichen – aber nur, wenn wirklich eine wesentlich engere Verbindung zu einer anderen Rechtsordnung besteht.

Beispiel: Eine Rumänin stirbt in Italien bei einem Unfall. Ihr Vater erleidet in Rumänien einen Schock, als er davon erfährt. Auf den ersten Blick wäre Rumänien Erfolgsort – aber das wäre für den Schädiger völlig unvorhersehbar. Deshalb greift die Ausweichklausel, und es gilt italienisches Recht, also das Recht des Unfallorts.

Ein Highlight der Rom II-VO ist Art. 4 Abs. 3 S. 2: die akzessorische Anknüpfung. Wenn Deliktsansprüche eng mit einem anderen Rechtsverhältnis zusammenhängen – etwa mit einem bestehenden Vertrag –, dann sollen sie dem gleichen Recht unterliegen. Das vermeidet Widersprüche.

Beispiel: Ein polnischer Handwerker beschädigt bei einem Auftrag in Deutschland die teure Vase eines Dritten. Vertraglich gilt polnisches Recht (Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO). Normalerweise wäre das Delikt deutschem Recht unterstellt (Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO). Aber weil beides eng zusammenhängt, zieht man polnisches Recht für alles heran – das sorgt für einheitliche Ergebnisse.

Ungerechtfertigte Bereicherung

Wenn jemand etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, wird’s nach Art. 10 Rom II-VO geregelt. Die Reihenfolge der Anknüpfung läuft wie eine kleine Checkliste:

  • Zuerst: Gibt’s ein anderes Rechtsverhältnis (z. B. Vertrag, Delikt)? Dann gilt dessen Recht (akzessorische Anknüpfung).
  • Dann: Haben beide denselben gewöhnlichen Aufenthalt? Dann gilt dessen Recht.
  • Sonst: Recht des Staates, in dem die Bereicherung eingetreten ist.
  • Und schließlich: Falls das alles unpassend wirkt, kann die Ausweichklausel greifen (Abs. 4).

Geschäftsführung ohne Auftrag

Fast identisch zu Art. 10 Rom II-VO: Erst das Recht eines bestehenden Rechtsverhältnisses, sonst das des gemeinsamen Aufenthalts, andernfalls das des Geschäftsführungsortes – und wieder eine Ausweichklausel für Sonderfälle (Art. 11 Rom II-VO).

Verschulden bei Vertragsverhandlungen

Das culpa in contrahendo war lange ein Streitfall – Vertrag oder Delikt? Die Rom II-VO macht’s klar: außervertraglich. Aber: Meist führt das Ergebnis trotzdem zum gleichen Recht, das auch für den Vertrag gelten würde, wenn er denn zustande gekommen wäre (Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO).

Wenn das nicht geht (z. B. weil Dritte beteiligt sind), gilt die gleiche Reihenfolge wie bei Art. 4: gemeinsamer AufenthaltErfolgsortAusweichklausel.

Freie Rechtswahl

Und zum Schluss: Die Parteien können grundsätzlich das Recht frei wählen, das gelten soll (Art. 14 Rom II-VO) – genau wie bei der Rom I-VO.

Aber: Bei außervertraglichen Schuldverhältnissen geht das in der Regel erst nach dem Schaden. Vorher nur, wenn beide Parteien gewerblich oder beruflich tätig sind und die Rechtswahl frei ausgehandelt wurde (also nicht einfach in AGB versteckt).

Die Rechtswahl kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen, auf Teile des Schuldverhältnisses beschränkt werden oder später geändert werden.